Wie kann man in einem Dorf, in dem es drei Quellwasserbrunnen und ein Thermalbad gibt, nicht glücklich werden?
Sinnlose Frage.
Und was wäre sinnvoll?
Zum Beispiel den Strohmatten tragenden Kindern hinterherzugehen. Etwas Abstand halten, nicht, dass noch einer etwas Falsches denkt.
Wieder vorbei an allem. Dem Kinderspielplatz, dem Parkplatz, der Fabrik, dem Dorfladen. Beim 3ten Mal merkst du schon, wie du anfängst, dich langsam auszukennen. Aber, natürlich, ist das eine ganz andere Geschichte, als diesen Weg 6000 Mal zu gehen. Meine Frau ist diesen Weg mindestens 6000 Mal gegangen. Man muss meist auch wieder zurück. Also 12 000 Mal. 12 000 zu 3 für dich. Aber ich lebe noch. Also doch: für mich. So geht das, meine Liebe. So geht das.
Ich hätte das nicht denken dürfen. Jetzt kommt sie bestimmt nicht.
f
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[Datei: vaniliaszinü_szobaban]
In einem vanillefarbenen Raum kopfüber von der Decke aus der Mitte des runden Stucks statt einer Lampe ich kling klang die Fenster stehen offen Nacht der Innenhof der Geruch der Fleischerei jemand feiert lautstark vielleicht weil ich hier hänge jetzt muss man nur noch warten
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[Datei: Elenium]
Gs Mutter schickt ihr Pakete mit Süßigkeiten und Medikamenten.
G verzieht das Gesicht: Hätte sie mich lieber geliebt.
Sie gibt mir Schmerzmittel und Elenium. Habe ich am Ende eine Freundin?
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Elenium (chlordiazepoxid)
Ein Diazepinderivat, das zur Gruppe der Psychopharmaka gehört. Elenium besitzt eine starke beruhigende, Angst und Spannung lösende Wirkung. Vermindert die Peristaltik des Magens und Darmkanals, besitzt eine muskelerschlaffende Wirkung, die Muskelspasmen und Muskelkrämpfe günstig beseitigt, erleichtert das Einschlafen und beseitigt physische und psychische Spannungszustände. Elenium gehört nach pharmakologischen Merkmalen und klinischen Effekten zur Tranquilizergruppe. Die Wirkung ist am stärksten im Gebiet des Thalamus.
Indikationen
Psychiatrie: Angst-, Spannungs- und Unruhezustände, Nervosität verschiedenen Ursprungs, Reizbarkeit, neurovegetative Störungen, Stimmungslabilität, Wetterfühligkeit, chronischer Alkoholismus. Innere Medizin: Gastrointestinale und kardiovaskuläre Beschwerden. Chirurgie: Unruhezustände vor und nach operativen Eingriffen, Muskelspasmen, Gelenk- und Beutelentzündungen. Frauenheilkunde: bei menstruellen und klimakterischen Störungen, in der Geburtshilfe und den Wechseljahren.
Kinderheilkunde: Verhaltens- und Anpassungsstörungen bei Kindern.
Dermatologie: zuckende Dermatosen.
Dosierung: oral individuell je nach Grad des Zustandes des Kranken.
Erwachsene: durchschnittlich 2–4 mal täglich 20–40 mg pro Tag geteilt in Einzeldosen. Bei Schlaflosigkeit in schweren Fällen einmalig 10–20 mg vor dem Schlafengehen.
In den psychiatrischen Fällen fängt man von 50 mg an, stufenweise erhöhend bis 300 mg pro Tag, in 3–4 Einzeldosen geteilt.
Kinder: 5-10 mg pro Tag. In schweren Fällen bis zu 20–30 mg pro Tag in Einzeldosen geteilt.
Kontraindikationen: Bei einzelnen Patienten kann ein Verlangen nach dem Präparat einsetzen.
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[Datei: fü]
Und außerdem, sagt G, komm, wir kiffen.
Wir sitzen im Kreis, wie es scheint, gibt es auch Regeln, der speichelige Papierwurm darf nur in eine Richtung kreisen, ihn rückwärts zu reichen ist verboten. Ich kann nicht rauchen, ich kann mich nicht dazu überwinden zu inhalieren, dabei weiß ich im Prinzip: man muss einatmen, nachdem man gezogen hat. Ich atme nicht ein. Ich halte den Rauch drin, puste ihn wieder aus. Es langweilt mich. Wow, man sieht's dir aber an! sagt G in freudiger Erregung. Um uns herum wird gekichert. Unbekannte. Das heißt, Gs Bekannte. Die meisten wohnen hier, im 20Stöcker. Meist sind es Jungs. Das heißt, jeder ist es, außer G und mir. Ein blonder Pole, Kamil, erzählt mir irgendwas. Es ist auf Deutsch, dennoch verstehe ich es nicht. Er will mit dir ins Bett, sagt G. Er hat einen großen Schwanz, informiert sie mich. Oder magst du das nicht?
Gs Freund ist Montenegriner. Ob er stoned ist oder nicht, kann ich nicht feststellen. Auf einmal fängt er an zu fluchen. Erst denke ich, er hat gehört, was G über den Polen gesagt hat, dann fällt mir ein, dass sie es ja auf Ungarisch gesagt hat, er konnte es nicht verstehen. Später stellt sich heraus, dass er ein Problem mit MIR hat. G versucht, ihn zu beruhigen, sie sprechen serbokroatisch, ich verstehe es nicht, Kamil informiert mich, dass sie sich meinetwegen streiten. Meinetwegen? Aber ich hab nichts gemacht! Komm mit mir rüber, sagt Kamil. Ich gehe lieber.
Balkanisches Rindvieh, sagt G zum Montenegriner. Sie sagt es auf ungarisch, er versteht es dennoch und flucht noch lauter. Geh nicht, sagt G und umarmt mich, ich spüre ihre Brust. Komm, küss mich, sagt sie und küsst mich auf den Mund. Unsere Lippen sind hart, ihre sind etwas speicheliger. Zoran, so heißt der Montenegriner, erklärt etwas mit heiserer Stimme, G johlt. Ich verstehe das alles nicht. Ich verstehe es nie. Meistens verstehe ich überhaupt nicht, was vor sich geht. Wer was warum tut. Wie in einem Traum. Scheinbar muss ich auch eine Rolle dabei spielen, aber ich weiß nicht, verstehe nicht, habe nicht einmal die Chance zu verstehen, woraus diese Rolle besteht. Das Einzige, was sicher scheint, ist, dass ich schuldig bin. Irgendwie schaffe ich es zu gehen.
Wenn wir uns das nächste Mal sehen werden, wird G mit mir böse sein, weil sie sich meinetwegen mit ihrem Freund streiten musste. Tut mir leid.
Allein im Fahrstuhl, es steigen 6 Leute zu, ich steige aus, weil mir der Fahrstuhl so zu voll ist, zu Fuß von der 14ten hinunter, ich höre noch, wie sie hinter der geschlossenen Fahrstuhltür lachen. Kann sein, sie taten es aus Verlegenheit. Ich würde es trotzdem nicht tun, denn ich weiß, das könnte jemandem weh tun. Aber ich bin auch nicht so ein lachender Typ. Es war gut, 14 Etagen nach unten zu gehen. Dienstbotentreppe. Still, kalt, dunkel. Es war gut. Bis ich unten ankam, war ich getröstet.
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Und wenn ich den Weg auch 12 000 Mal liefe? Der Mann, der sich vorgenommen hat, 6000 Mal zwischen dem Brunnen an der Kirche und dem Thermalbad hin- und herzulaufen, um seine Frau einzuholen. Wie lange würde das dauern? Kämst du dann und sähest es dir an?
Du kennst die Antwort. Am Anfang der Beziehung: ja, am Ende: nein. Alles Mist. Was ich auch denke. Es kommt immer Mist heraus.
Man nennt das nicht Mist, sondern Schmerz, Schatz. Ich rede mit mir selbst, als redetest du mit mir. Auch das ist Mist. Die Lösung der Textaufgabe von oben ist übrigens: 650 Meter ä 8 Minuten mal 12000 = 1600 Stunden, bei 8 Stunden pro Tag = 200 Tage.
Am Eingang zum Bad ein zweistöckiges Gebäude, über dem Portal stand Sport-Panziö, aber ob es wirklich eine Pension war, blieb unsicher. Eine Rezeption gab es nicht, dafür eine Terrasse mit Zugang zu zwei gastronomischen Einheiten, eine links, eine rechts. Links kann ma nur trinken, rechter Hand werden Snacks und Eis verkauft, durch ein Fenster an die Gäste auf der Terrasse, durch ein anderes an die Gäste des Bads. Von der Terrasse kann man das Bad überblicken. Drei dampfende Kessel. Alle sitzen darin. Das Dorf war leer, weil alle hier sind. Die Mädchen und die Frauen zwischen 4 und 90 Jahren. Spazieren mit sonniger Haut oder rennen, die Arme um sich geschlungen, fröstelnd, vorsichtig, nicht auf dem Beton ausrutschen, nicht in etwas Spitzes treten, Stolpergang oder Schlendergang, ihr Haar in verschiedenen Formen um ihre Köpfe arrangiert, unter Strohhüten, Stoffhüten, Häkelhüten. In zeltartigen Strandkleidern, geblümten Fähnchen, eine Siebzehnjährige in weißen Shorts. Ihr Hintern ist runder als rund, noch ist sie knackig, kraftvoll erotisch, es ist gut, sie anzusehen. Wie wird man eine Frau? Und wie wird man ein Mann? Früher habe ich nicht darauf geachtet. Als ich dich traf, freute ich mich, ein Mann zu sein. Aus den Lautsprechern im Bad pumpert irgendeine fröhliche Sommermusik, man hört sie nur manchmal durch, wenn es die andere fröhliche Sommermusik, die auf der Terrasse pumpert, erlaubt. Er sind übrigens auch Männer anwesend, aber das zählt nicht. Männer und Babys interessieren nicht. Nur das, was ich mir vorstellen kann: wie du hättest gewesen sein können. Als kleines Mädchen, als größeres Mädchen, als Teenager, als junge Frau, obwohl du da schon nicht mehr hier warst, aber jetzt setze ich dich hier ein. Als Endzwanzigerin, als ich dich kennenlernte, als Enddreißigerin, die du jetzt wärst, als 50jährige, die du in etwas mehr als 10 Jahren gewesen wärst — Je älter die Frauen werden, umso weiter halten sie den Kopf unter den Duschen heraus — und so fort, bis hin zur mutmaßlich Ältesten hier, die dem Augenschein nach stark auf die 90 zugeht. Dass das die Großmutter sein könnte, fiel Darius Kopp nun brühheiß ein. Die Frauen im Alter deiner Schwiegermutter hingegen kannst du getrost überspringen. Kopp nahm einen zu großen Schluck vom zu kalten Bier und musste so stark husten, dass ihm für eine Weile Hören und Sehen verging.