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Und da tauchten sie auf. Sie kamen aus dem sehr hellen Bereich einer Treppe zur Erdoberfläche. Hand in Hand: eine sehr große Frau und ein sehr kleiner Mann. Ein Zwerg. Ein richtiger Zwerg, nicht nur sehr klein gewachsen. Ein richtiger, verwachsener Zwerg, und die Frau war vielleicht nur normal groß, sie wirkte nur im Vergleich mit ihm so riesig. Darius Kopp hörte auf, wütend zu sein, und wurde ergriffen. Wird das meine Rettung sein? Eine Frau, die Hand in Hand mit einem Zwerg geht? Gehen auch Männer mit Zwerginnen? Irgendwo bestimmt. Muss man deswegen den Tränen nahe sein? Ich bin es. Nach Hause gehen, weinen, für danach keine Pläne.

Die beiden wackelten vorbei, er sah ihnen hungrig hinterher. Sie passierten ein Riesenplakat mit einer übermenschengroßen Schnullerflasche in Form einer Sanduhr, in der der meiste Sand schon abgelaufen war. Ein Schlag sei allen gebärfähigen Frauen versetzt, diese ihre Fähigkeit ist ihnen nicht für alle Zeiten verliehen worden, ihr egoistischen Schlampen! Kopp bekam einen trockenen Mund. Er trat näher an das Plakat heran. Da steht nur die Nummer der Plakatfirma. Ist der, der dieses Plakat entworfen hat, schuld an irgendetwas? Ist der, der seine Wandfläche dafür zur Verfügung gestellt hat, schuld an etwas? Ist der, der diese Kampagne in Auftrag gegeben hat, schuld an irgendetwas? Darius Kopp fingerte zitternd und schwitzend nach seinem Handy, um ein Foto von der Nummer zu machen, als er schmerzhaft in den Arm gestoßen wurde:

He, Sie da!

Es war der Zwerg.

Ob er nicht wenigstens freundlich fragen könnte, bevor er ihn und seine Freundin fotografiere.

Wie bitte?

Das gehört sich ja wohl so! Ein jeder Mensch hat ein Recht am eigenen Bild, jawohl, so ist es.

Was, wie bitte, was soll dieser Unsinn?

Ob Kopp denke, ob er etwas denke, keine Ahnung, was ich angeblich denke, ich weiß, was ich denke, dass, wenn mich dieser Gnom noch einmal mit seinem dreckigen Finger berührt…

Schon gut, Alter, um dich geht's überhaupt nicht!

Aber im Gesicht des Zwergs ist schon das gewisse Grinsen, der will das doch, der will Ärger, seine dromedarhafte Freundin im Hintergrund grinst auch so, ihr will er sich beweisen, und sie will, dass er sich beweist. Man könnte sich noch erklären. Schau mal, dieses Plakat, findest du nicht auch, dass das ein Affront ist, ein sehr schmerzlicher Affront gegenüber Frauen, die nicht…, es kann Frauen geben, die sind so…, sie würde in Tränen ausbrechen, wenn sie das hier sähe, was denken sich die Leute eigentlich…?

Du denkst wohl, der kleine Mann kann sich nicht verteidigen, was? Lösch es, oder ich lösch dir gleich alles!

Woraufhin Darius Kopp das Blut ins Gehirn schoss, die Linke, in der er das Telefon hielt, entzog er dem Zwerg, während er die Rechte zu einer Faust ballte und zuschlug. Leider traf er nicht den K.o.-Punkt und auch sonst keinen wesentlichen, er traf irgendetwas an der Peripherie, und der Zwerg hatte nur darauf gewartet, er kam quasi durch die Luft geflogen, krallte sich an Kopp fest, und im nächsten Augenblick prügelten sie wild aufeinander ein. Der Zwerg versuchte, Kopp umzureißen, Kopp taumelte, das Hemd rutschte ihm aus der Hose, Nähte krachten, der Zwerg versuchte, seine Krawatte zu fassen zu bekommen.»Die Horrorqualen der Zirkuselefanten«, las Kopp auf einem Zeitungsaufsteller am Rande seines Blickfelds, während er seinerseits versuchte, den Zwerg an der Gurgel zu packen. Kopp fing an zu winseln. Der Gegner dachte, wegen der Schmerzen, die er ihm zugefügt hatte. Er lachte schnaufend. Woraufhin Darius Kopp die Augen schloss und einfach wild drauflosschlug, treffe er wen oder was auch immer. Er traf nicht mehr viel. Die Polizei kam und trennte sie.

Kopps Augen glühten, er fletschte die Zähne und schnaufte, wie ein wildes Tier. Er sah aus wie ein böser Mann. Trotzig blieb er dabei — aber viel Trotz brauchte er gar nicht. Er war einfach nicht bei sich, er war in einem heißen, überhellen Raum gefangen. Später ebenso, er sah ein Tisch- oder ein Stuhlbein und Linoleum von undefinierbarer Farbe. Wer gefoltert wird, fällt dorthin. Da fühlte er die Schmerzen bzw. machte sich bewusst, dass er Schmerzen hatte. Im Kiefer, im Brustkorb. Rippen geprellt. Aber darum kümmert sich keiner. Keiner untersucht meine Blessuren. Wie können Sie das verantworten? Ich könnte innere Verletzungen haben! In meinem Ohr klebt etwas. Meins oder seins? Den Blutalkoholspiegel messen Sie natürlich.

Haben Sie sonst irgendwas genommen? Drogen? Medikamente? Wie ein hospitalisierter Elefant schüttelt er immerzu den Kopf. Sie lassen ihn allein.

Das ist unverantwortlich. Ich könnte mir etwas antun. Wenn ich mich orientieren könnte. Aber was ich sehe, ist nur ein Tischbein und das Linoleum. Ich kann nirgends hin. In meinem Gesicht kleben Rotz und Tränen.

Meine Frau! Meine Frau! Darius Kopp schluchzte, weil er absurderweise daran dachte, dass er so nicht nach Hause gehen konnte. Sie würde ihn verstoßen, wenn sie hört, was er getan hat. Und dabei weißt du: Niemals hätte sie dich wegen so etwas verstoßen, aber was nützt das jetzt alles, denn nach Hause kannst du trotzdem nicht.

Zuerst ist sie nur aufs Land gezogen, wir hatten gerade unsere Jobs verloren, beide gleichzeitig, und das nicht zum ersten Mal, so was kommt vor, aber sie hat sich einfach verweigert, sie hat sich geweigert, die Stadt je wieder zu betreten, sie hat sich geweigert, unsere Wohnung zu betreten, sie hat den ganzen stürmischen Herbst und den ganzen harten Winter in einer Hütte am Waldrand überstanden, so harte Winter wie in den letzten 2 Jahren habe ich noch nie erlebt, sie hat das alles durchgestanden, und im Frühling ist sie doch gestorben. Sie hat sich erhängt, an einem Baum, abseits des Wegs, anderthalb Tage, bis sie jemand fand, barfuß, ich habe sie nicht gesehen, aber ich weiß, ihre Füße waren ganz ohne Hornhaut, immer. Das ist alles ein Alptraum. Ich sehe das Linoleum, nahe bei mir leuchtet eine Lampe, gleich holen sie mich zum Verhör, gleich kommt die Folter, das ist immer schon meine heimliche Angst gewesen. Ich habe das niemandem erzählt. Ich habe behauptet, niemals zu träumen, aber in Wahrheit träumte ich, dass du 3 Stühle weiter von mir in einer Reihe sitzt, und sie fangen an, Leute zu erschießen, und du wirst die Nächste sein.

Darius Kopp schluchzte, wie man es hier noch nie gesehen hat, und man hat hier schon viel gesehen. Seine Klage rührte jemanden, den er nicht sehen konnte, weil er gar nichts sehen konnte, er hörte nur entfernt, dass um ihn herum telefoniert wurde, und er weinte nur, weinte heiße Tränen, während ihm die Verhörlampe ins Gesicht leuchtete. Geliebte, Geliebte, Geliebte.

Irgendwann kam eine Frau, stellte sich als Psychologin vor oder Psychiaterin. Nannte ihn beim Namen, fragte ihn einiges, das er mit Ja und Nein beantworten konnte, er hielt die Augen dabei geschlossen, wegen der hellen Lampe, bis sie ihn bat, sie zu öffnen.

Bitte öffnen Sie die Augen, damit ich Ihren Zustand beurteilen kann.

Er öffnete sie, und da war überhaupt keine Lampe. Oder sie haben sie inzwischen weggedreht. Hinter der Frau standen zwei Männer, Sanitäter. Für den Fall, dass ich doch gefährlich sein sollte?

Ist jemand bei Ihnen zu Hause?

Woraufhin Kopp in etwas ausbrach, das sarkastisches Lachen und jaulendes Weinen zugleich war. Er bekam Atemnot, fingerte routinemäßig nach seinem Asthmaspray. Es war in seiner Hosentasche, aber er schaffte es nicht, es hervorzuholen.

Warten Sie, sagte die Frau, ich helfe Ihnen. Ich denke, etwas zur Beruhigung wäre auch angezeigt.

Er schüttelte den Kopf. Geht schon. Geht schon. Geht schon. Er schloss wieder die Augen.

2

Manchmal verdichten sich wie Eiter die Dinge. Am 22. Mai, dem Samstag vor Pfingsten letztes Jahr, war Darius Kopp außerstande aufzustehen. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so müde war. Die elende Heimfahrt vom letzten Job am Freitag hatte die halbe Nacht gekostet, danach musste ferngesehen werden. Es graute schon der Morgen, als er endlich einschlief. Arbeit und Schlaf, Arbeit, Arbeitsweg und Schlaf. That's my life.