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Wissen Sie etwas darüber, auf welche Weise Ihre Frau beigesetzt werden wollte?

Völlig egal, sagte Flora. Was am wenigsten Schaden verursacht. Was für ein ordinärer Gedanke, über seinen Tod hinaus Wünsche haben zu wollen!

Aber zu einer anderen Gelegenheit sagte sie: am besten verstreuen.

Der Bestatter meldet die Ascheverstreuung an und erhält die Beisetzungsgenehmigung. Im Krematorium wird der Urneninhalt fein gemahlen und in ein Kupfergefäß gefüllt. Am Tag der Verstreuung wird ein Vertreter der Friedhofsverwaltung das Verstreuungsritual durchführen. Wenn Angehörige dabei sind, versammelt man sich in der Feierhalle. Dort werden auf Wunsch 1–3 Musikstücke gespielt und die Möglichkeit einer Rede gegeben. Von dort aus geht der Trauerzug zur Streuwiese und die Amtsperson verstreut die Asche auf der Streuwiese. Die Angehörigen schauen vom Rand aus zu. Es ist für die Angehörigen nicht gestattet, die Wiese zu betreten. Am Tag finden bis zu 2 Verstreuungen statt: ix vormittags und ix nachmittags. Von Montag bis Freitag ist die Verstreuung möglich. Am Rande der Streuwiese können hässliche grüne Plastikvasen angebracht werden, darin künstliches Geblüm. Die dunkellila Tulpen, die ich schön fand, bis ich (1 Sekunde später) merkte, dass sie aus Plastik sind. An manchen Streuwiesen gibt es eine Art Sprinkleranlage, die die Asche einspült. Der Wind kann auch hierbei für Variationen sorgen. Weht die Asche hin und her. Manches landet außerhalb der Streuwiese, das kann man nicht verhindern. Sich mit einem sauberen, gebügelten Taschentuch über das Gesicht fahren, als würde man nur Tränen abwischen.

Oder man könnte einen Rosenbusch direkt in die Asche pflanzen, wie man es mit tot geborenen Babys macht. Nein, keinen Rosenbusch. Parasiten würden sich über ihn hermachen, man müsste ihn zurückschneiden, trotzdem würde er eingehen. Ein toter Rosenbusch aus der Asche meiner toten Frau — wäre denn so etwas zu ertragen?

Oder einen Baum. Ein Baum ist kräftig. Sein Wurzelwerk ist so groß und weit verzweigt wie seine Krone. Es gibt Einzelbäume für mehrere Tausend Euro, oder Gruppenbäume, wo mehrere Aschebehälter ins Wurzelwerk…

Einen Baum? Ja, sind denn alle irre? Welchen Baum?! Vielleicht gleich den, an dem sie sich erhängt hat?

Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume, aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit? Das glaube ich nicht. Ich brauche etwas anderes. Gestrebt hast du mit Treu und Fleiß, Doch all Dein Hoffen war vergebens, Gott rief Dich früh zur Ewigkeit. Die Wahrheit ist, am meisten liebte sie Friedhöfe.

Was kannst du daran mögen? fragte Kopp.

Sie gehören zu den wenigen wirklich stillen Orten in der Stadt. Anders als in Park oder Wald sind Hunde und Spiele verboten.

Und die Namen der Leute und die Grabinschriften. Weinet nicht an meinem Grabe, stört mich nicht in meiner Ruh. Unvergesslich, unersetzlich. 1000X edel, hülfreich, gut. Und die Mädchenstatuen. Wunderschöne Mädchenstatuen. Ihr eine Statue errichten. Aber natürlich hast du das nicht drauf.

Ich kann mich so schnell nicht entscheiden.

Wir bewahren die Urne gerne eine Weile für Sie auf.

Ich selbst darf sie laut den Gesetzen dieses Landes nicht aufbewahren. Weder auf dem Kaminsims noch auf dem Nachttisch, noch im Tresor. Der gefasste Leichenbeschauer, Korrektur: Bestattungsunternehmer schaut mich auch so schon an wie einen, der bereit wäre, mit einer Einbalsamierten in einem Bett zu schlafen, mit einer Wachsmaske über dem Gesicht, das in Wahrheit schwarz und verschrumpelt ist.

Freund Potthoff schlug vor, sich krankschreiben zu lassen, aber Kopp winkte nur ab. Wie so viele andere Dummköpfe dachte ich, in der Routine zu bleiben, und sei es einer verhassten, wäre die beste (weil überhaupt eine) Lösung. Also fuhr Kopp nach zwei Wochen wieder zur Arbeit. Aber du kannst nicht so tun, als wäre etwas normal, wenn es nicht wenigstens ein Minimum gibt, mit dem du übereinstimmen kannst. Sagen wir, dem Job, in dem du kompetent bist und wo die Aufgaben lösbar sind. Aber wenn du dann sehen musst, dass weder kalt noch heiß, weder laut noch leise, weder sprechen noch nicht sprechen, dass die Bettwäsche, die Gabel, das Trinkglas in einer Kantine, der Name einer Möbelhandlung, die Pflasterung des Gehwegs, die gigantischen Brocken Fleisches — schau, da ist ein halber Hirsch — in einer Großlagerhalle, dass nicht einmal dein eigentlich freundlicher Kollege Gero, der regelmäßig online die Robinson-Insel bereist, dass nicht einmal der Sturm auf der Robinson-Insel, dass nichts davon erträglich ist — was willst du da tun?

Kopp schleppte sich noch durch den Juni, er schleppte sich noch durch den Juli. Am Wochenende fuhr er jeweils nach Berlin zurück.»Um aufzutanken. «In so einem Zustand im Auto, Hunderte von Kilometern, und meist im tödlichen Bereich. Du fährst 200, die Straßenlage des Wagens ist gut, nichts zittert, nichts wackelt, kein billiges Plastik klappert, das Lenkrad vibriert nicht, die Lautstärke ist da, aber man gewöhnt sich daran, fährt ruhig dahin, und dann fällt der Blick aufs Tacho und du siehst: wenn jetzt etwas passiert, ist das nicht zu überleben. Aber es passiert nichts. Einmal, in einem früheren Winter, über eine Eisplatte: ein irrsinniges, unterirdisches Dröhnen, du begreifst, das ist eine Eisplatte. Nicht bremsen. Weiter über Eis rasen, bis es aufhört. Irgendwann hört es auf. Wenn nicht, kannst du auch nichts mehr machen, außer draufhalten. Auch bei Rehen. Nicht in den Graben fahren. Höchstens ein wenig ducken, damit es, im Fall der Fälle, über dich hinweg- und durch die Heckscheibe wieder hinausfliegen kann. Aber das hier ist die Autobahn. Keine Rehe, nur Brückenpfeiler, Geisterfahrer und andere Verrückte.

Bis zu einem Montag im August, als Darius Kopp einfach nicht wieder zurückfuhr. Ich habe sogar meine Klamotten, die noch in der Unterkunft dort lagen, niemals abgeholt. Das Handy zwar nicht ausgeschaltet, aber stumm gestellt. Lag da, sah die stumm auf dem Bildschirm aufgereihten Nachrichten, die kleinen Zahlen, dann sah er wieder zum Fernseher. Auch dieser lief zunächst ohne Ton. Später schaltete er ihn vorsichtig hinzu. Am besten sind die Filme über ferne Länder und Tiere. Wandernde Karibus. Wie sie in stummen Massen durch einen Wasserlauf stürzen. Aber so, als hätten sie weder eine Wahl noch auch nur die geringste Zeit dafür. Jungtiere werden abgetrieben, zertrampelt oder verlieren den Kontakt zu ihrer Mutter und sterben etwas später. Was für eine Verschwendung in der Natur. Was für eine Verschwendung. Wem das zu abstrakt ist, schalte um zu Kriegsdokumentationen. Das industrialisierte Sterben unbekannter Massen ist wie ein Actionfilm, nur besser, weil es nicht nur der Effekte wegen erfunden worden ist.

Im Tiefkühler war noch Pizza, er setzte sich auf den Steinfußboden vor dem Backofen und sah durch das Fenster zu, wie sie fertig buk. Der heiße Herd, der kalte Boden. Einer Speise beim Backen zuschauen. Er aß die Pizza in der Tür zur Terrasse sitzend, halb drin, halb draußen, er sah den Fernseher doppelt: mit dem linken Auge direkt, mit dem rechten in der Scheibe der Tür gespiegelt.

Pizza, Alkohol, Fernsehen. Er hatte eine Methode entwickelt, sie funktionierte, ein langer Winterschlaf, es ging ihm nicht schlecht damit. Es war ihm nur nicht möglich, woanders zu sein als in der letzten gemeinsamen Wohnung. Wobei er ihre Räume nie betrat. Sie hatte ein Zimmer und ein Bad bei uns. Ins Bad warf er einmal einen Blick. In der Badewanne lag so etwas wie Sand und trockene Blüten. Bis mich Juri — das ist ein Freund — dazu gezwungen hat, auszuziehen.

Was soll das? So lebt doch kein Mensch! So lebt doch nur ein Penner!

Ich bin kein Penner, sondern ich trauere. Das wäre die einzig korrekte Erwiderung gewesen. Wenn jemand wie Juri so etwas verstehen könnte. Wie man Vollzeit trauern kann. Dass zu trauern nicht ein sich Gehenlassen, gar ein Nichtstun ist, sondern, im Gegenteiclass="underline" ein Akt. Aktiv. Eine Aktivität. Aber so etwas liegt weit außerhalb seines Horizonts. So bin ich in seiner Besenkammer gelandet. Natürlich nicht wirklich. In einem kleinen Zimmer. Aber die Größe des Zimmers ist egal. Worum es geht, ist, dass, wer mich dazu zwingt, unter Menschen zu gehen, ein Verbrecher ist.