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Was Sie hier haben, ist eine depressive Krise… Ich habe keine…!

… eine sogenannte agitierte Variante.

Der Zwerg und seine Riesin haben MICH verprügelt! Sie waren darauf aus! Vielleicht kannten sie sich vorher gar nicht. Sie haben sich zusammengetan für diese Aktion!

(Ich muss aufhören, ich sollte gar nicht erst mit so etwas anfangen. Die hier sind allzu bereit, mich zum Verrückten zu stempeln. Reiß dich zusammen.)

Natürlich, sagte Darius Kopp, denke ich das nicht wirklich. Der Zwerg ist zweifellos frustriert, wer wäre das nicht in seiner Situation, und wenn einer Streit will, findet er ihn, besonders, wenn er seiner neuen Freundin beweisen muss, was für ein Kerl er ist. Nicht die Größe zählt undsoweiter.

Sie hört sich geduldig an, wie ich mich um Kopf und Kragen rede. Es ist noch nie etwas wirklich Gutes dabei herausgekommen, wenn ich rede. Höchstens im Job. Auch schon eine Weile her.

Raus hier, sagte Juri, du musst raus, solange du noch integrierbar bist. Integrierbar! Es gibt Wörter, die bringen mich auf die Palme. Hast du» integrierbar «zu mir gesagt? Davon abgesehen hatte er recht. Aber seitdem er mich da rausgeholt hat, könnte ich jeden nur noch verprügeln. Dabei bin ich ein friedfertiger Mensch. Nur wissen die das hier nicht.

Ich habe dich ausgewählt, weil ich spürte, dass du keinem jemals absichtlich weh tun könntest. Das hat meine Frau zu mir gesagt, als ich sie, weil ich mein Glück kaum fassen konnte, fragte, warum? Warum ausgerechnet ich?

Weil du ein lieber Mensch bist.

Eine Weile belohnte sie mich dafür. Und irgendwann dann nicht mehr.

Wann kann ich hier raus? Jederzeit, Sie sind kein Gefangener.

Warum haben Sie mich dann überhaupt hierhergebracht? Um Ihren Zustand genauer beurteilen zu können. Ob ich eine Gefahr für andere oder mich selbst darstelle? Zum Beispiel.

(Was kümmere ich Sie, aber wirklich? Sie sind so jung. Sie lernen an mir, stimmt's?)

Schauen Sie, ich habe Sachen zu tun. Ich muss die Urne endlich beerdigen. Ich wurde schon mehrmals angemahnt. Sollte ich dem nicht nachkommen, wird die Urne von Amts wegen bestattet und mein Konto um die Kosten gepfändet. Ich muss das jetzt endlich tun. Und nicht hier bei Fremden herumwohnen und so tun, als würde ich eine neue Arbeit annehmen wollen. Nein. Die Tätigkeit, die mir in diesem Moment als am erträglichsten erscheint, ist die, hier wegzufahren. Ich habe diese Stadt immer geliebt, aber so, wie es im letzten Jahr das Richtige war, hierzubleiben, ist es jetzt das Richtige, das Gegenteil zu tun. Die Kleine muss ich auch endlich zurückrufen. Die junge Frau. Judit. Die Studentin, die die Tagebücher meiner Frau übersetzt hat. Respektive ihre Dateien. Ich hatte ihr einen Laptop geschenkt. Zum Übersetzen und zu sonst allem, was sie wollte. Als sie in den Wald zog, ließ sie alles zurück. Ihre Bücher, ihre Kleider sogar. Kopp gibt zu, den Laptop schon geöffnet zu haben, als sie noch lebte. Ich wollte etwas herausfinden. Und wissen Sie, was ich herausgefunden habe? Dass meine Frau, die die ganze Zeit so tat, als hätte sie mit ihrer Herkunft abgeschlossen, die nie ein Wort ungarisch sprach, alles, was sich in diesem Laptop befand, auf Ungarisch verfasst hat. Wie kann sie sagen, die Vergangenheit ist die Vergangenheit, und dann die ganze Zeit ein geheimes Leben mit dieser Sprache führen? Eine Affäre. Als hätte sie mich die ganze Zeit belogen. Wozu heiratet so jemand?

Die Ärztin ist geduldig und hört sich alles an, auch, was aus ihrer Sicht der Aufklärung des Falls nicht weiter zuträglich ist.

Im Austausch ist Kopp geduldig und macht ihren Test mit. Sie arbeitet einen Katalog ab. Guckt auf einer kleinen Karte nach, was sie machen muss. Sie streicht mich ab, sie xt mich ein, sie vergibt Punkte von o bis 6. Und wiederholt, dass das, was er da habe, eine mittelschwere Depression sei.

Ich bin nicht depressiv, ich trauere, sagte Kopp milde. Und auch wenn Familie, Freunde und auch Fremde so tun, als ginge das Leben weiter, und zwar nach exakt zweieinhalb Wochen — ich bin fertig damit, wenn ich damit fertig bin und nicht eher.

Das schien etwas zu sein, das sie in der Lage war, zu verstehen. Sie nickte.

Schätzen Sie sich als arbeitsfähig ein?

Ich war heute früh bei einem Bewerbungsgespräch.

Und, wie lief es?

Er zuckte die Achseln.

Sie machte irgendeinen Strich auf ihrem Klemmbrett, das machte Kopp wieder wütend, aber er schluckte es herunter, und er tat gut daran. Gehen konnte er deswegen aber noch lange nicht. Das Protokoll der Polizei konnte wegen seiner Einlieferung ins Krankenhaus nicht abgeschlossen werden. Das müssen wir natürlich abschließen. Kopp, vom großen Weinen ermattet, unterzeichnete alles brav, ohne es noch einmal zu lesen. Die Anzeige bekommen Sie per Post. Da hätte er fast gekichert.

In der Zwischenzeit hatte ihm die Ärztin ein Bett besorgt, vielleicht wollte er doch noch eine Nacht bleiben, damit auch ihr Oberarzt ihn sich anschauen konnte, aber Kopp bestand darauf zu gehen. Ich habe Sachen zu erledigen. Bevor man jemanden zwangseinweisen darf, bedarf es schon extremerer Vorkommnisse. Und so blieb ihnen nur noch zu bummeln, wie sie es immer tun, wenn sie dich länger beobachten wollen. Schauen, was du machst. Nichts werde ich machen. Wenn es sein muss, bleibe ich in Gottes Namen sogar eine Nacht, ich werde nichts auf mich kommen lassen.

Schätzen Sie sich als handlungsfähig ein? Ja, das tue ich. Ich bin handlungsfähig. In den Augen dieses Taxifahrers hier dürfte ich sogar recht normal wirken. Jemand, der von unterwegs telefoniert.

Mit einer gewissen Judit. (Ich habe ihren Nachnamen vergessen. Sie ist unter» Judit «gespeichert, so muss ich sie also ansprechen. Judit, und Sie.) Ob man sich noch heute treffen könnte. Es war schon später Nachmittag, als sie ihn endlich gehen ließen. Die Zeit wurde knapp, er wollte unbedingt seine Sachen aus der Wohnung holen, bevor Juri zurück sein würde.

Judit war noch an der Uni, sagte aber zu, sofort loszufahren.

In dem Cafe, wie neulich?

Ja, wieder in dem Cafe.

Er ließ sich an Juris Wohnung absetzen, bereit, seine Siebensachen auch dann an sich zu raffen, wenn jemand da sein sollte, früher zurück etc. Aber es war niemand da. Kopp raffte seine Siebensachen an sich, weniger wegen der Klamotten als wegen des Passes, er sah nach, ob er noch gültig war. Noch lange. Du bist tot, und mein Pass ist noch Ewigkeiten gültig.

Wenig später sah er sie vom Auto aus in einer Bushaltestelle stehen. An ihr vorbeifahren oder sie mitnehmen? Er entschied sich fürs Mitnehmen. Und bereute es sogleich. Sie war unangenehm berührt, sah sich um, bevor sie einstieg. Um die Anspannung etwas zu lösen, gab sich Darius Kopp gesprächig, erzählte ihr, er müsse noch heute nach Ungarn aufbrechen, um das Begräbnis seiner Frau zu organisieren. Erst nach vollendetem Satz fiel ihm ein, dass er ihr nicht gesagt hatte, was für Texte es waren, die sie zu übersetzen hatte. Und mittlerweile weiß sie mehr als ich. Sie ist möglicherweise gar nicht wegen des Mitnehmens befangen oder wegen meines Zustands — Wie ist denn mein Zustand? — sondern wegen dem, was sie gelesen hat. Was haben Sie gelesen? Er kann sie nicht fragen, und sie würde es ihm ohnehin nicht sagen. Lesen Sie selbst.

Er wartete unten auf der Straße, sie holte den Laptop und einen Ausdruck aus ihrer Wohnung. Er entlohnte sie großzügig mit frisch aus dem Automaten gezogenem Geld. Sie bedankte sich und war angenehmerweise sichtlich erfreut über das Plus. Ich mag es, dass Sie so eine nette, bescheidene junge Frau sind. Rothaarig mit Sommersprossen.

Eine Weile saß er noch im Auto vor ihrem Haus. Der Laptop und der Umschlag mit dem Ausdruck lagen auf dem Beifahrersitz. Wenn Judit einige Stunden später wieder herunterkommt, um mit ihren Freunden auszugehen, wird sie mich immer noch hier sitzen und lesen sehen. Aber nein. Er ließ den Wagen an, fuhr vorsichtig aus der Seiten- auf die Hauptstraße, raupte durch den ohrenbetäubenden Feierabendverkehr der anderen zu einer Tankstelle.