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Ich bin 91 zurückgekommen. Nicht böse sein. Mir hat es bei euch nicht sehr gefallen. Es ist schon ein gutes Land. Aber ich bin Georgier. Georgier sind im Ausland nicht so geschickt wie Armenier. Wollte hier was aufbauen, wo jedes Haus eine Weinlaube hat. Das habe ich am meisten vermisst. Den Geruch der Adessa-Traube. Riechst du das? Sie heißt so, weil sie über Odessa gekommen ist, ihr nennt sie Isabella, wenn mich nicht alles täuscht, das ist auch ein sehr schöner Name, aber ich habe meine Tochter Adessa genannt. Sie ist in Garmisch geboren. Mein Sohn auch. Der heißt auch Dawit. Der Große Dawit, der Kleine Dawit. Ich habe ein Restaurant aufmachen wollen mit guter georgischer Küche und einer Kegelbahn als Besonderheit. Aber kaum haben wir angefangen zu graben, ist alles auseinandergeflogen.

Die  die unzerbrechliche Union. Der freien Republiken, ha! Kennst du den Witz: Kommunismus ist Sozialismus plus Elektrizität? Na, da hatten wir weder Sozialismus noch Kommunismus, und der Strom war auch weg. Ihr wollt unabhängig sein? So geht mit Gott! haben die Russen gesagt. 5 Wochen im Winter ohne Strom und Heizung.

Und seitdem ist es wohl auch nichts mehr geworden damit. Das Haus ist riesig, vom Boden bis zur Decke mit Steinplatten ausgelegt. Ein Palast wie ein Steinbruch voller nackter Glühbirnen. Und so kalt, dass Kopp ausatmet, um zu sehen, ob man auch drinnen seine Atemfahne sieht. Nein, das doch nicht. Während der Alte redet und redet.

Sie nehmen dich aus wie eine Weihnachtsgans, und am Ende bekommst du doch keine Konzession. Wenn man durch Bestechungsgelder wenigstens wirklich was erreichen könnte! Jetzt sitze ich da mit einem riesigen, unfertigen Haus. Wenn Geld da ist, bauen wir weiter, wenn nicht, nicht. Aber schau, hier hast du zum Beispiel ein Gästezimmer, das ist fertig, und ist das nicht schön geworden? Weißt du, was hier vorher war? Gar nichts. Eine Wand. Aber man wusste, dahinter muss was sein, wir haben geklopft, es war hohl, es war auch von außen zu sehen, dass dort noch nicht das nächste Haus anfängt. Wir haben sie eingerissen, und weißt du, was dahinter war? Der Bauschutt! Anstatt ihn abzutransportieren, haben sie ihn eingemauert! Meine Brüder fluchten und sagten, lass uns die dämliche Wand wieder hochziehen, aber ich habe gesagt, nein, dann transportieren wir den Schutt eben jetzt ab. Die haben vielleicht geflucht, wir haben ihn mit Personenwagen in irgendwelche Gruben im Wald gebracht und neben die Bahnschienen und so was, das ist natürlich verboten, aber schau, wie schön dieses Zimmer geworden ist. Mit eigenem Bad.

Er öffnet einen Wasserhahn: nichts. Keine Sorge, das kriegen wir hin, komm mit! Sie steigen gemeinsam in den Keller. Das Licht muss man staffelweise anschalten, in dem man hier Stecker abzieht und sie dort in Buchsen steckt, die an locker baumelnden Kabeln hängen.»Das Licht ist auch noch nicht ganz fertig etc. «Natürlich riecht es muffig. Gleich fällt eine dicke Betontür hinter dir zu und — Keine Angst, das ist nur die Kegelbahn. Da liegen die ganzen alten Sachen, die wir aus Deutschland mitgebracht haben. 40 Handtaschen meiner Frau. Sie wurde von einem Lastwagen überfahren. Fahrrad gefahren und: bumm. Sie hat noch über meine blöden Witze gelacht im Krankenhaus, und dann ist sie doch gestorben. Seitdem bin ich Witwer. Schau, das ist ein Bild von ihr.

Da sind sie schon wieder in der Küche. Es riecht nach fremdem Essen, ein Fernseher ist an die Wand geschraubt, in der Ecke steht eine Liege mit einer zerknüllten Decke. Eine wuchtige Schrankwand nimmt die Hälfte des Raumes ein, darin unzählige gerahmte Fotos. Eine langhaarige junge Frau in weißen Shorts, lachend. War sie nicht schön? Sie hatte eine gute Figur. Zum Schluss natürlich nicht mehr, sie war schließlich auch schon 50. Dieses Bild da, mit der Frau in der Vogelmaske, die auf einem steigenden schwarzen Pferd sitzt, hat sie gemalt. Das Pferd bin natürlich ich, hähä. Und das da — eine Fotomontage: ein Mann im Tarnanzug mit umgeschnallter Kalaschnikow reitet über den Dächern der Stadt — habe ich auf der Straße gekauft. Ist es nicht schön?

Es ist interessant, sagt Kopp wahrheitsgemäß.

Und das hier sind meine 3 Brüder und ich.

Sie legen sich die Arme um die Schultern, ihre Münder stehen offen, sie singen offenbar.

Und das ist meine Mutter als Königin verkleidet bei einem Maskenball und das ist mein Sohn Dawit und das ist Adessa.

Schwarze Haare, weiße Haut, exakte Augenbrauen.

Ist sie nicht schön? Sie kommt bald. Mein Sohn ist oben. Er schläft. Er muss um 4 Uhr morgens zum Flughafen, Gäste abholen. Er arbeitet als Fahrer. Willst du was essen, ich hab gekocht, ich koche immer, ich bin Koch gewesen. Setz dich.

Und schon sitzt du, das da ist dein Platz, das Wachsleintuch klebt ein wenig. Zu essen gibt es eine Art Gulasch mit Bulgur.

Ich koche immer. Ich bin jetzt die Hausfrau. Warte, ich habe auch Servietten. Was möchtest du trinken? In Georgien muss man Wein trinken. Ah, und Brot. In Georgien muss man Brot essen. Wir sind eine Brotessernation! Als wir uns von den Russen getrennt haben, haben wir gemerkt, dass wir kein eigenes Getreide haben. Alles in Kasachstan! Kannst du dir vorstellen. Eine Ration von 300g am Tag, und manchmal hast du nicht einmal das bekommen, wo die Leute doch gewohnt waren, mindestens ein Kilo am Tag zu essen! Mein Bruder ist Bäcker. Er dachte, er könnte reich werden. Aber wenn du kein Mehl bekommst, kannst du nichts machen.

Und jetzt erzähl über dich! Wo kommst du her, wo gehst du hin?

Das ist eine lange Geschichte.

Kopps Plänen nach wäre das alles gewesen, was er dazu gesagt hätte, aber dann, als er sah, wie der Alte ihn so treu und offen ansah — die Frau in der Shorts auf dem Bild, lachend — sagte er schließlich doch:

Ich… meine Frau… und jetzt wollte ich mir den Ararat…

… War deine Frau Georgierin?

Nein.

Der Alte schaut. Als würde er mir nicht so richtig glauben. Walnussfarbene Augen, das Weiße schon ganz gelb geworden.

Ach ja, sagt er schließlich. Der Ararat. Der Kasbek ist aber auch schön. Du kannst ihn vom Raddison aus sehen. Meine Tochter Adessa — Hier nimmt er wieder Fahrt auf, er hat etwas gefunden, zu dem sich etwas sagen lässt — sie ist Fremdenführerin. Habe ich das schon gesagt? Sie macht auch Bergtouren mit den Leuten, mehrere Tage lang. Sie kann dir die Berge zeigen, wenn du willst.

Bevor Kopp etwas erwidern kann, tritt sie ein.

Klein, viel dünner als auf dem Bild, geradezu mager, ihr Hals ragt aus dem Kragen des Hemds, das ist wie meins, hellblau, nur sehr viel kleiner, ihr Haar ist kurz, die Augenbrauen wuchern und sie hat sich die Ohrringe herausgenommen. Die Nichtähnlichkeit mit dem rotlippigen Bild ist frappierend, aber der Alte scheint es nicht zu sehen, oder er ist ohnehin immer begeistert:

Das ist Adessa! Komm herein, Tochter! Schau, wen ich hier habe! Er ist aus Deutschland! Er will den Kasbek sehen!

Sie nickt, lächelt mit geschlossenem Mund, nimmt einen Teller, füllt sich Essen auf, isst, sagt kein Wort. Vielleicht kommt sie auch nicht dazu, denn der Alte redet und redet, ein ausdauerndes Kofferradio, läuft und läuft, erzählt, fängt bei der neuen, von Kopf bis Fuß goldenen (!) Statue des Heiligen Georg auf dem (Achtung!) George-Bush-Platz an und landet innerhalb desselben Satzes bei der Politik. Oder nein, sondern wer sich wie bereichert habe. Hanebüchene Geschichten über Milliarden. Du denkst, das stimmt nicht? Du weißt nur nicht, wie es läuft. Ihr habt kein OligarchenSystem. Nicht mehr. Aber wir lernen das Siegen immer noch vom sowjetischen Zar. Und lacht sich wieder kaputt. Sowjetischer Zar, du verstehst!