Was ist ein Chatschaputi?
Wie eine Vier-Käse-Pizza, nur besser.
Sie war fröhlich und gesprächig, wie Kopp sie noch nicht gesehen hatte, ging fast hüpfend vor ihm her, wies ihm den Weg ins Restaurant.
Auf dem Land isst man das schon zum Frühstück. Mit Knoblauch. Die Busse riechen danach. Mein Onkel Temur, der Bäcker, kann auch einen guten Chatschapuri machen. Leider ist er meistens zu faul dazu, und wenn es dann meine Tante macht, bemerkt er jedes Mal, wie er es gemacht hätte, und stopft sich voll dabei.
Sie lachte. Sie aß mit gutem Appetit, schaffte aber auch so nicht mehr als einen Teil von sechs. Wischte sich die Finger mit der Serviette. Einzeln, gründlich, dennoch blieben sie fettglänzend. Kleine, wie Kopp nun sah, sehr gepflegte Nägel. Eine heimlich Schöne. Alles an ihr ist anmutig, die Handbewegungen, die Schultern, der Hals, der aus dem Hemdkragen ragte. Im Hemd sah sie vollkommen flachbrüstig aus, dennoch strahlte sie Weiblichkeit aus. Was hat dich so fröhlich gemacht?
Sie bemerkte, dass er sie ansah, sie lächelte. Ihre Lippen sind voll und auch ohne Lippenstift von der Farbe der Brombeere. Hattest du eine gute Zeit mit meinem Vater? Ja, sagte Darius Kopp höflich. Er ist ein netter Mann. Redet ein bisschen viel, oder?
Ein bisschen, sagte Darius Kopp, damit sie beide lachen konnten.
Für uns ist das nicht immer angenehm. Als wären wir auf dem Markt. Er hat die fixe Idee, dass, wenn man heiratet, alles gut wird. Dabei ist doch schon alles gut. Komm, sagte sie. Wir schauen, ob der Kasbek da ist.
…
Hm, ja. Nein. Es ist zu wolkig. Der Ararat zeigt sich auch nur an 100 Tagen im Jahr. Und jetzt wird Winter. Hat sich so ergeben, sagte Darius Kopp.
Sie saßen auf einer Bank auf dem Platz der Revolution und sahen sich das Nichts an. Wenn wir schon einmal da sind.
Das Geheimnis ist, sagte sie schließlich, du fährst fort, also kann ich's dir sagen, das Geheimnis ist, dass mein Bruder keine Frauen mag. Und ich, ich habe mich dazu entschieden, lieber die Geliebte eines verheirateten Mannes zu sein, als selbst zu heiraten. Deswegen habe ich die Verlobung gelöst. Er ist ein 50jähriger Azeri mit drei Kindern, und ich habe beschlossen, seine Geliebte zu bleiben, bis wir sterben. Seitdem ich das entschieden habe, habe ich keine Angst mehr vor der Zukunft. Wenn ich mir vorstelle, dass er 70 ist und ich 55, könnte ich tanzen vor Freude. Wenn ich bei ihm bin, und es ist noch Zeit, schreibe ich an einem Roman über unsere Beziehung. Ich werde ihn herausgeben, wenn er gestorben sein wird.
Hm, sagte Darius Kopp nach einer Weile. (Wie man innerhalb von Sekunden von einer Seite auf die andere kommen kann. Tut, als wäre sie… Dabei ist sie in Wahrheit… Warum muss immer gelogen werden? Kummer. Und am Ende Trauer.) Hm, sagte Darius Kopp. Du gehst also davon aus, dass du ihn überlebst?
Wenn nicht, dann darf er ihn herausgeben.
Und wenn er ihn nicht herausgibt, sondern verbrennt?
Dann werde ich das nicht erfahren.
(Es ist mir doch gelungen, ihre gute Laune etwas zu dämpfen. Sie lächelt noch, funkelt dabei aber nicht mehr so wie eben.)
Mein Vater hat meine Mutter gegen den Tisch gestoßen, gegen die Wand gestoßen, nicht nur einmal, ein Wirbel ist gesplittert, von da an hatte sie ständig Schmerzen. Deswegen hat sie so viele Tabletten genommen. Aber ich werde bei ihm bleiben und ihn pflegen bis zum Ende. Und zwar, weil ich auch das für mich so entschieden habe.
…
Komm, sagte sie nach einer Weile und stand energisch auf. Wir sammeln ihn wieder ein.
Ich liebe euch, Kinder, sagte der Alte Dawit mit Tränen in den Augen. Ein Arm über ihre Schulter, der andere um Darius Kopps Taille. Ihr seid so klasse, sagte der Alte Dawit, während sie ihn schleppten. Ihr seid so klasse. Immer wieder. Ihr seid so schön. So schön. Wirklich. So schön.
Das Auto war am übernächsten Morgen fertig. Schade, sagte der Alte, du warst noch gar nicht in den Schwefelbädern.
Das nächste Mal, sagte Darius Kopp mit liebenswürdigem Lächeln.
Dann hörte er auf zu lächeln, denn, wie er feststellen musste, hatte er kein Telefon mehr. Das heißt, ein Telefon hatte er noch, es war nur vollständig entladen, denn die Steckdose im Palast, in die er es zuletzt eingestöpselt hatte, führte keinen Strom. Ich vergesse selber immer, welche unter Strom sind und welche nicht, sagte der Alte Dawit und lachte. Was ist das Leben doch voller lustiger Schwänke.
Nicht so witzig. Kopp kann das Telefon im Auto aufladen, aber er kennt den Entsperr-Code nicht. Ohne Entsperr-Code kannst du nicht telefonieren. Notrufe. Wenn es denn stimmt. Funktioniert die Notruf-Taste, wenn man im Ausland ist?
Tut mir leid, sagte der Junge Dawit. Ich kann dir helfen, ein PrePaid-Handy zu besorgen.
Aber ich fahre weiter nach Armenien.
Nach einer kurzen Pause, in der der Junge Dawit nach dem Alten horchte:
Würdest du mich mitnehmen? Ich kann für dich fahren. Ich kenne die Strecke. Ich kann dir vieles abnehmen. Ich bin es gewohnt. Ich suche mir einen Job und dann hole ich Adessa nach.
Nach Armenien?
Nach Deutschland.
Aber ich fahre nach Armenien.
Du wirst zurückkommen müssen. Es ist eine Sackgasse. Du kannst von dort aus nirgends mehr hin, außer in den Iran.
…
Ruf an, wenn du wieder in Georgien bist. In Ordnung, sagt Darius Kopp. Ich rufe an. Oder komm hier vorbei. Du weißt ja jetzt, wo wir wohnen.
Beim Hinausfahren schaute Kopp, ob er den Kasbek diesmal sehen konnte, aber er konnte ihn auch diesmal nicht sehen. Eine weiße Wolke wie eine Lawine hing im Himmel.
17
Als er die Stadtgrenze erreicht hatte, nahmen die Wolken schon die Hälfte des Himmels ein. Die Hälfte, das ist noch gar nichts, es gibt noch genügend sonnige Bereiche, und der Wind weht auch, die Wegbäume neigen sich nach Westen. Eine Stunde später war der Himmel nur noch ein graues Driften, aber Darius Kopp glaubte immer noch an etwas Vorübergehendes. Er hoffte selbst dann noch, als die ersten Schneeflocken auf die Windschutzscheibe trafen, und sogar noch, als die Scheibenwischer von Intervall auf permanent schalteten. Es kann jeden Augenblick aufhören. Die Berge können die Wolken auseinanderschieben. Sie haben die Macht. Aber sie tun es nicht.
Als er an der Grenze ankam, war diese quasi nicht mehr zu sehen. Ein Mensch in einem Tarnanzug und einer Art Cowboyhut, ein baumschöner Mann voller Freundlichkeit beugte sich durchs Seitenfenster, wunderte sich über nichts und half bei den Formalitäten. Ein Visum für eine Person, eine Zwangsversicherung für das Auto, bitte sehr, aber fahren Sie heute nicht weiter als bis Alaverdi, das, was Sie hier sehen, sind die Ränder eines großen Sturms, hat Sie denn keiner gewarnt?
Spassiba, sagte Darius Kopp und fuhr über den Debed. Der sogenannte Sturm blieb lange Zeit ein Gerücht, manchmal hörte es fast ganz auf zu schneien, dann wieder griff der Wind nach Darius Kopp und seinem Fahrzeug und rüttelte sie einmal durch, aber was ist das, frage ich, was ist das verglichen mit den Schneefällen vor zwei Jahren, als ich dachte, ich schaffe es überhaupt nicht mehr bis zu dir.