»He«, sagte Freds. »Jetzt lassen Sie ihn gefälligst in Ruhe, ja! Das war doch nur eine Idee!«
»Nur eine Idee! Nur eine Idee, den König zu entführen und die Regierung zu stürzen!«
»Na klar«, sagte Freds. »Warum nicht?«
Bahadim konnte es nicht glauben.
»Nein, wirklich«, sagte Freds. »Das haben Sie doch sowieso vor, oder? Sie führen dort unter der Stadt eine Schattenregierung, oder? Warum sollten Sie da nicht die Macht übernehmen? Der Vater des Königs hat dasselbe getan. Wenn Sie dazu bereit gewesen wären, hätten Sie sich verdammt glücklich schätzen müssen, daß George Ihnen den König einfach so ausliefert. Das hätte Ihnen in den Kram passen müssen!«
»Nein!« sagte Bahadim. »Niemals. Sie verstehen das nicht.«
»Das glaube ich auch«, sagte Freds.
Bahadim atmete tief ein. Er war so aufgeregt, daß sein Ast zitterte.
Er riß sich zusammen und beruhigte sich. Nach einer Weile versuchte er, es Freds zu erklären. »Wir in Nepal, wir sind unserem König treu ergeben. Wir lieben unseren König. Er ist unser König, der König eines unabhängigen Nepals, das niemals von einem anderen Land beherrscht wurde.«
»Ja, aber er ist ein Schurke.«
»Nein! Das stimmt nicht. König Birendra ist kein Schurke. Die Leute sagen das vielleicht, weil er König ist, oder weil sein jüngerer Bruder ein Tunichtgut ist. Und die Ranas, sie umgeben ihn — die Königin, die Armee, seine Berater —, sie sind überall um ihn herum und machen es ihm unmöglich, so zu handeln, wie er vielleicht gern handeln würde. Er ist kein starker König wie sein Vater, das gestehe ich ein.
Aber er ist ein kluger Mann, und er weiß, woher die Probleme Nepals rühren. Er will die Dinge verändern.«
»Ach ja?« sagten Freds und ich gleichzeitig.
»Ja. König Birendra möchte politische Reformen, um die wirtschaftlichen Reformen zu unterstützen. Diese Hilfsprogramme sind ihm ein Dorn im Auge, die Bürokratie und die Korruption und die Ranas. Er will ein konstitutionelles Land, verstehen Sie? Aber es liegt nicht in seiner Macht, das zu bewerkstelligen. Viele, viele Leute möchten, daß der Palast das Sagen hat. Der König ist ein Gefangener des Kastensystems, der Macht der Ranas. Sie sind reicher als er, sie beherrschen die Armee, verstehen Sie? Also muß er mit uns zusammenarbeiten.«
»Mit euch!« rief ich.
»Ja. Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen gesagt habe, wir arbeiteten unter der Stadt, um den Menschen zu helfen, mit Geldmitteln, die reiche Nepalis zur Verfügung stellen, die mit unserer Sache sympathisieren?«
»Birendra?« Ich war erstaunt.
»Ja«, sagte Bahadim. »Wir haben Kontakt mit ihm, und er weiß, was wir tun. Er hilft uns. Das ist eine Möglichkeit, mit der er etwas verändern kann, ohne daß die Ranas davon erfahren. Er ist unser Schutzherr. Wir beraten uns durch diesen Riß in seinem Schrank mit ihm. Er ist unser König, wir lieben ihn. Er hat seine Schwächen, doch er gibt sein Bestes, und es liegt nicht an ihm, daß in Nepal so einiges nicht in Ordnung ist, jedenfalls nicht völlig. Er tut, was er kann, genau wie wir.«
»Warum haben Sie mir das nicht gesagt?« fragte ich schockiert.
»Das geht Sie nichts an! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß wir in Nepal einiges geheimhalten, einige Dinge, die allein Nepal gehören. Natürlich können wir nicht verbreiten, daß der König durch eine unterirdische Regierung arbeitet! Wenn das bekannt würde, würden die Ranas es verhindern. Also habe ich es vor Ihnen geheimgehalten.«
»Dann ist das alles Ihre Schuld, nicht wahr?« stellte Freds klar. »Wenn Sie es George erzählt hätten, hätte er nicht versucht, euch auf diese Art zu helfen.«
Bahadims einzige Erwiderung darauf war ein verdrossen klingender nepalesischer Wortschwall.
Ich saß schwankend da oben und dachte darüber nach. »Wenn der König also über Sie Bescheid weiß«, sagte ich zu Bahadim, »müßten Sie imstande sein, die Sache mit den Tunnels und so weiter wieder hinzubiegen.«
»Ja«, sagte er kurzangebunden. »Einige seiner Leibwächter stehen in seinem Vertrauen und wissen von uns. Sie nahmen wahrscheinlich an, daß wir von der Ram Raja Prasad Singh oder einer anderen terroristischen Gruppe unterwandert waren. Wenn sie sich beruhigt haben und wir ihnen alles erklären können, bekommen wir die Sache wieder hin, und dann wird auch die Existenz der Tunnels nicht offenbart werden.«
»Gut«, sagte ich. Ich seufzte. »Es tut mir leid, Bahadim. Ich bin da wohl kurz ausgeflippt, schätze ich. Dieser gottverdammte A. Rana treibt mich noch in den Wahnsinn. Und als Sie mir das mit diesen Wilddieben erzählten …«
»Sie müssen sich darüber keine Sorgen machen«, sagte Bahadim kurzangebunden. »Wir haben den Jeep, den Freds uns gemeldet hat, zu einer militärischen Fahrbereitschaft in Chitwan zurückverfolgt, die von A. Ranas Neffen benutzt wird. Nachdem Freds nun die Leibwache des Königs in ein Gefecht mit den Wilddieben geführt hat, wird sich der König sehr dafür interessieren. Wir werden A. Rana aufhalten und ihm wahrscheinlich sehr große Probleme bereiten. Obwohl es wegen der Verwirrung, die Sie durch Ihre Entführung gestiftet haben, vielleicht einige Zeit dauern wird.«
»Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich habe es verpatzt.«
Er seufzte. »Es ist schon gut«, sagte er zögernd. »Sie haben nur versucht, uns zu helfen.« Eine Pause. »Obwohl ich Ihnen sagen muß, daß wir Ihre Hilfe in dieser Angelegenheit nicht wollen, vielen Dank. Und ich habe immer noch den Eindruck, als gäbe es auch in Ihrem Land noch vieles zu verbessern.«
Wieder zögerte er; dann fuhr er fort: »Wissen Sie, wir bilden nicht die einzige unterirdische Regierung auf der Welt.
Wir haben Kontakte, einige tatsächlich durch Tunnels, andere nur durch Informanten, und sie dehnen sich auf viele Länder aus. Einschließlich des Ihren. Unter Washington, D. C, London, Moskau …«
»Tunnelsysteme?« sagte ich.
»U-Bahnen«, warf Freds ein. »Ist doch klar, George.«
»Nein, nein, nein«, sagte Bahadim. »Sie liegen unter den U-Bahnen und so weiter.«
»Das habe ich dir doch gesagt, George«, sagte Freds. »Das Tunnelsystem von Shambhala ist älter und größer, als du es dir je vorstellen kannst. Es war einmal eine wirklich große Zivilisation. Tausende von Jahren, Tausende von Kilometern.«
»Ja, wirklich sehr verzweigt«, sagte Bahadim. »Und nun wird es wieder benutzt, um die Ranas zu umgehen, verstehen Sie. Oder ihre Äquivalente in anderen Ländern.«
»Na ja«, sagte ich. »Ich muß sie mir mal genauer ansehen. Falls ich jemals zurückkomme.«
»Das würde ich Ihnen empfehlen«, sagte Bahadim, und ich wußte nicht, ob er damit meinte, ich sollte mir sie ansehen oder zurückkehren.
Ich ließ es dabei bewenden und kam mir etwas überwältigt vor. Außerdem war mein Hintern eingeschlafen. Ich mußte meine Sitzhaltung ändern. Während wir durch den Dschungel gekrochen waren, hatten wir uns ganz schön aufgewärmt und von der durch die Fahrt durch die Tunnels hervorgerufenen Unterkühlung erholt, doch nun kühlte der Schweiß uns wieder ab, und mir wurde wieder kalt.
Der Horizont, der im Osten liegen mußte, färbte sich ein wenig grau, doch es würde noch eine beträchtliche Weile bis zum Tageslicht dauern, und wir konnten nichts weiter tun, als dort oben zu sitzen, in einer leichten Brise zu schwanken und zu zittern. Von seinem Hochsitz aus erzählte Freds die unendliche Geschichte seines Lebens; seine Stimme war ein vertrautes Stakkatomuster, das in mein Bewußtsein eindrang und wieder verblich. »Scheiße, hier oben friert man sich ja den Arsch ab. Aber diese Achterbahnfahrt war doch wirklich toll! Meine Augäpfel erfroren, so kalt war’s. Das erinnert mich daran, wie ich unter Kunga Norbu im geheimen Rongbok meine Novizenausbildung absolvierte, und wir kamen zu dem Test, mit dem sie feststellen wollen, wie stark deine Tumo-Kräfte sind. Bei dem bringen sie einen des Nachts zu einem dieser Gletscherbäche auf etwa fünftausend Meter Höhe und ziehen einen nackt aus und gießen ein paar Eimer Wasser über einen und weichen etwa zwanzig weiße Laken im Bach ein und lassen einen dann da oben zurück, und man muß sich nicht nur warmhalten, man muß sich sogar so warm halten, daß man die weißen Laken trocknen kann, so viele wie möglich, und je mehr man im Lauf der Nacht trocknet, desto besser ist es für die Prüfung, daß ist ein strenger numerischer Test, wie jede Aufnahmeprüfung an der Uni und sehr genau, wenn es darum geht, herauszufinden, wer der beste Lama sein wird. Na ja, ich wollte euch ja erzählen, als sie dieses Eiswasser über mich gossen, war der Schock so stark, daß ich meine Tumo-Ausbildung völlig vergaß, ich meine, ich vergaß sie einfach, und da stand ich splitternackt auf fünftausend Meter Höhe um acht Uhr Abends im November und wußte einfach nicht, was ich tun sollte …«