Выбрать главу

»Hallo, Kumpel«, sagte Freds. »Tut mir leid, daß wir so lange gebraucht haben, aber wir haben gefunden, wonach wir suchten. Hoffentlich hast du dich nicht gelangweilt.«

»Nein«, sagte ich.

4

Auf dem Rückweg erklärte Freds dann, er wolle sich den Tiger View mal genauer ansehen. »He, da sind wir ganz in der Nähe, und du bist gar nicht neugierig? Ich meine, vielleicht sehen wir sogar einen der Tiger, die sich da rumtreiben.«

»Sunyash mag keine Tiger in ihrer Nähe.«

»Wir bewahren eine sichere Entfernung. He, das ist doch direkt da drüben.« Er sprach kurz mit Dawa, und Sunyash bewegte sich durch die Nacht auf den Schimmer des Schweinwerfers zu. Wir blieben stehen, als wir durch eine Lücke zwischen den Bäumen die beleuchtete Lichtung sehen konnten, die sich unter den verschwommenen Formen der Aussichtstürme des großen Lagers erstreckte.

Auf der Lichtung war mitten auf einem niedergetrampelten und blutigen Grasstreifen ein junges Schaf, eigentlich noch ein Lamm, an einen Pfosten gebunden. Die verstümmelte und halbwegs aufgefressene Leiche eines anderen Lamms lag am Rand des Lichtkreises. Das noch lebende Lamm kauerte sich elendig nieder und senkte dann und wann den Kopf, um an dem gebrochenen Gras zu knabbern. Das Seil, mit dem es an den Pfosten gebunden war, war straff gespannt; es hatte sich so weit wie möglich von dem Pfosten entfernt.

»Mein Gott«, sagte ich angewidert. »Ein Köder?«

»Glaube schon«, sagte Freds. »Ich habe gehört, sie garantieren einem, daß man Tiger sieht, wenn man im Tiger View wohnt, und so machen sie es wohl. Sie machen es so ziemlich jede Nacht, und die Tiger wissen das und kommen auf einen kleinen Snack vorbei. Ziemlich ekelhaft, was?« Im schwachen Licht wirkte Freds’ Grinsen wütend. »Ich weiß noch, wie einer der Schüler in meinem Internat einen Kaimanfisch in einem großen Aquarium hielt, und er fütterte ihn mit kleinen Elritzen oder Goldfischen oder was weiß ich, und der Kaimanfisch lag ganz ruhig auf dem Boden des Aquariums, und plötzlich wirbelte er hoch, und ein Goldfisch fehlte, du weißt schon, und wir fanden das richtig aufregend und saßen vor dem Aquarium und sahen zu und kamen uns wie Nazis vor. Aber so etwas!«

»Und in den Türmen sehen Leute zu?«

»Klar! Das ist doch der Sinn der Sache! Und Tiger sind schmutzige Killer, sie fangen schon mit dem Fressen an, bevor das kleine Ding ganz tot ist, und so weiter.«

»Verschwinden wir hier, bevor wir zusehen müssen.«

»Ja, gut. Obwohl mir gerade in den Sinn gekommen ist, daß wir eigentlich … weißt du, was wir eigentlich tun sollten? Wir sollten eigentlich …«

»Wir sollten was, Freds?«

Aber er hatte sich schon in ein Gespräch mit Dawa vertieft und beugte sich gleichzeitig weit über die Seite der Plattform. »Freds!« flüsterte ich scharf und zog ihn an seinem Gürtel wieder hinauf. »Was, zum Teufel, tust du da?«

»Ich suche einen Felsbrock oder so.« Dawa unterbrach ihn mit einem schnellen tibetanischen Redeschwall und deutete dabei die ganze Zeit über auf den Scheinwerfer.

»Freds«, sagte ich warnend, »ganz gleich, was du vorhast, mir gefällt es nicht.« Doch Freds hörte Dawa zu und nickte und murmelte »Toll, toll, gute Idee, darauf hätte ich selbst kommen müssen«, und ich glaube nicht, daß er mich überhaupt hörte.

Als Dawa Sunyash auf das große Lager zuführte, ergriff ich Freds mit beiden Händen und schüttelte ihn. »Freds, was hast du vor?«

»Wir wollen diesen perversen Arschlöchern nur einen kleinen Schrecken einjagen, George, es wird nur einen Augenblick dauern. Ich wollte mit Steinen gegen die Schweinwerfer schmeißen, aber Dawa meinte, ich sollte auf den Generator zielen, und das ist eine viel bessere Idee. Komm schon runter mit mir, halte dich an den Riemen fest, dann geht’s ganz leicht.«

»Nein, Freds!« Doch er zerrte mich mit über die Seite, und ich hatte keine andere Wahl, als mich an den Riemen der Plattform festzuhalten und so sanft wie möglich hinabzulassen. Als ich den Boden berührte, ließ sich Freds schon etwas von Dawa geben. Einen Dolch von der Größe einer Machete. Vielleicht war es auch eine Machete. »Oh, mein Gott«, sagte ich.

»Psst!« sagte Freds. »Komm mit!«

Dawa und Sunyash trotteten davon, und mir blieb keine Wahl. »Freds, sag mir sofort, was du vorhast, oder ich falle über dich her und halte dich fest, bis du es mir sagst.«

»Psst, George, wir müssen jetzt leise sein.« Er flüsterte tatsächlich. »Dawa schlägt einen Kreis um die Lichtung und schaltet ihren Generator aus, und wenn das Licht ausgeht, werden wir das kleine Lamm retten und den reichen Leuten etwas zum Nachdenken geben.«

»Scheiße.«

»Psst.«

»Du hast zuviel Zeit mit Colonel John verbracht, weißt du das, Freds?«

»Psst!«

Wir blieben in der Dunkelheit stehen, knapp außerhalb des erhellten Kreises. Erneut fiel mir auf, daß ich im umgebenden Dschungel kein Geräusch eines Tieres oder Vogels hörte, und ich knuffte Freds gegen den Arm und flüsterte ihm ins Ohr: »Hör doch, Freds! Kein Geräusch! Wahrscheinlich ist ein Tiger irgendwo in der Nähe.«

»Wir beeilen uns lieber«, murmelte er.

Ich hatte den Eindruck, schon seit einigen Jahren dort zu hocken. Das Schaf auf der Lichtung sah sich mit großen Augen um und blökte gelegentlich. Ich konnte mich gut in das Tier hineinversetzen.

Dann erloschen plötzlich die großen Scheinwerfer. Auf den Aussichtstürmen erklangen unwirsche Stimmen. Freds lief auf die Lichtung, und ich folgte ihm. Das Schaf blökte vor Furcht. Freds schnitt das Seil durch und griff sich das Schaf, bevor es sich bewegen konnte. »Hier, George«, flüsterte er schnell. »Halte es mal einen Augenblick, ich will nur eben das tote Tier auf die Treppe eines Turms legen. Wenn noch ein Tiger vorbeikommt, sollen sie ihn wirklich gut sehen können.« Er kicherte wie Colonel John und drückte mir das lebende Lamm an die Brust. Ich hielt es fest und hörte mehr, als ich sah, daß Freds ein paar Teile des gerissenen Schafes aufhob. Mir kam in den Sinn, daß das Schaf und ich ein sehr schönes Sonderangebot — zwei für den Preis von einem — für jeden Tiger abgaben, der zufällig vorbeikam und sich entschloß, die Dunkelheit auszunutzen, und so folgte ich Freds schnell, nur, um in der Nähe seines Dolches zu bleiben oder zumindest zu gewährleisten, daß er auch gefressen wurde, falls es sich so ergeben sollte; doch das Schaf hatte andere Vorstellungen.

Es versuchte heftig, sich zu befreien, und gerade, als ich Freds erreicht hatte, stieß es sich mit allen vier Beinen von mir ab, und wir prallten gegen Freds, und wir alle drei fielen Hals über Kopf zu Boden. Ich landete auf einem klebrigen Etwas, wobei es sich um die Eingeweide des Schafes zu handeln schien, das Freds zu dem Turm trug, und wurde dann von dem lebendigen Schaf wieder davon herausgeholt, dessen Seil sich um meine Hüfte und meinen rechten Arm geschlungen hatte. »Bin gleich fertig«, flüsterte Freds ganz leise, »sei doch nicht so ungeduldig.« Ich hätte gern geschrien, wußte jedoch nicht, ob das nicht unser Risiko vergrößert hätte, und zerrte das Lamm also an meine Seite und wich seinem wütenden Tritt aus; in der Tat trat ich sogar zurück, traf es direkt hinter dem Kopf, hob das arme, blökende Ding hoch und versuchte, ihm die Luft aus den Lungen zu drücken, während ich hinter Freds zu dem Aussichtsturm taumelte.

Über uns erklangen immer noch zahlreiche Stimmen: hohe, aufgeregte, und tiefe, beruhigende. Freds warf das, was er gerettet hatte, die Stufen hoch, und es schlug mit einem bumm bumm auf und brachte jedwede Geräusche von oben zum Erliegen. In der Totenstille vernahmen wir nun ferne Dschungelgeräusche und ein Rascheln, von dem ich fieberhaft hoffte, daß es von Sunyash stammte; und über uns im Aussichtsturm ein wütendes Flüstern und ein Klicken und Hämmern, das mir verdächtig nach Schrotflinten oder Gewehren klang, die oben auf das Geländer gelegt wurden. Falls wir im Turm Schutz suchen mußten, würden sie uns zweifellos erschießen. Falls nicht, und wir davonliefen, würden sie uns vielleicht auch erschießen, und falls wir davonkommen sollten, wanderten wir immer noch zu Fuß des Nachts durch einen Dschungel, in dem es Tiger gab, beschmiert mit Schafblut und ein lebendiges Lamm in unseren Armen.