«Ja, unglaublich.»
«Da haben Sie die wahre Caroline. Sie mußte immer die Erste sein, sie konnte es einfach nicht ertragen, jemanden vor sich zu sehen. Und ihr teuflischer Charakter machte sie zu allem fähig, sogar zu Mord. Sie schien lediglich impulsiv zu sein, aber in Wirklichkeit war sie berechnend. Als sie als junges Mädchen in Alderbury zu Besuch war, schätzte sie uns ab und schmiedete dann ihre Plane. Sie war von Haus aus arm. So kam ich von vornherein nicht in Frage - der jüngere Sohn, der sich selbst sein Geld verdienen muß. Komisch, daß ich heute Meredith und Crale, wenn er noch lebte, finanziell in die Tasche stecken könnte! Eine Zeitlang hatte sie ein Auge auf Meredith geworfen, aber schließlich entschied sie sich für Amyas. Er würde Alderbury erben, das ihn zwar nicht reich machen würde, aber sie hatte bereits erkannt, daß er ein ungewöhnliches Talent besaß, das ihm nicht nur Ruhm, sondern auch Geld einbringen würde. Und das traf dann auch ein. Schon in frühen Jahren wurde Amyas berühmt. Er war kein Modemaler, aber sein Genie wurde anerkannt und seine Bilder gekauft. Kennen Sie seine Bilder? Ich habe eins. Schauen Sie sich's an!»
Er führte ihn ins Eßzimmer und deutete auf die linke Wand. «Da, das ist Amyas!»
Poirot betrachtete das Bild schweigend. Er staunte von neuem, daß ein Mann ein so alltägliches Objekt mit einem so eigenen Zauber erfüllen konnte. Eine Vase mit Rosen stand auf einem polierten Mahagonitisch - dieses abgedroschene Motiv. Aber wie diese Rosen lebten! Sie brannten und flammten, sie strahlten ein fast obszönes Leben aus, und selbst die polierte Tischplatte schien zu vibrieren. Wie konnte man die Erregung, die das Bild hervorrief, erklären? Denn es war aufwühlend. Poirot stieß einen leichten Seufzer aus und murmelte: «Ja... da steckt alles drin.»
Blake führte ihn wieder ins andere Zimmer zurück und sagte : «Ich verstehe nichts von Kunst, und ich weiß nicht, warum ich mir dieses Ding immer wieder anschaue. Es ist, verdammt nochmal, großartig.» Poirot nickte nachdrücklich.
Blake bot seinem Gast eine Zigarette an und sagte: «Und dieser Mann... der Mann, der diese Rosen malte... der Mann, der die <Frau mit dem Cocktailshaker> malte... der Mann, der die erstaunlich schmerzliche <Geburt Christi> malte, dieser Mann wurde in der Blüte seiner Jahre, auf dem Höhepunkt seines Schaffens, seiner überströmenden Lebenskraft ermordet... von einem rachsüchtigen, gemeinen Weib!» Er hielt einen Moment inne. «Sie werden denken, ich sei bitter, ich sei voreingenommen, ungerecht gegen Caroline. Sie war reizvoll... ich habe es selbst empfunden. Aber ich erkannte von vornherein, was dahinter steckte. Diese Frau, Monsieur Poirot, war böse, sie war grausam, berechnend, herrschsüchtig.»
«Man hat mir aber erzählt, daß Mrs. Crale in ihrer Ehe viel auszustehen hatte», entgegnete Poirot.
«Ja, und alle Welt mußte es wissen. Sie war die Märtyrerin! Armer Amyas ! Seine Ehe war eine einzige Hölle, oder wäre es gewesen, wenn er nicht ein so besonderer Mensch gewesen wäre. Er hatte ja immer seine Kunst, verstehen Sie. In die konnte er sich flüchten. Wenn er malte, war ihm alles andere gleich. Er schüttelte Caroline ab, er kümmerte sich nicht um ihr Nörgeln, um ihr Keifen, um diese ständigen Szenen und Auftritte. Jede Woche gab es mindestens einmal einen Höllenkrach wegen irgendeiner Kleinigkeit. Sie genoß das. Solche Auseinandersetzungen stimulierten sie, glaube ich; sie waren ein Ventil für sie. Sie konnte sich all ihre Gemeinheit vom Herzen reden. Nachher war sie wie umgewandelt. Sie schnurrte förmlich, sah aus wie eine glatte, gutgefütterte Katze. Aber ihn nahm es mit. Er wollte Frieden, Ruhe, ein stilles Leben. Selbstverständlich dürfte ein Mann wie er überhaupt nicht heiraten, er eignet sich nicht für ein häusliches Dasein. Ein Mann wie Crale sollte seine Abenteuer haben, sich aber nie binden. Das mußte ihn aufreiben.»
«Hat er sich Ihnen anvertraut?»
«Er wußte, daß ich immer sein Freund war. Er ließ mich manches sehen - er klagte nicht, das lag ihm nicht - aber ab und zu sagte er: <Zum Teufel mit den Weibern! > Oder: <Heirate nie, mein Lieber. Spar dir die Hölle fürs Jenseits auf. >»
«Sie wußten über seine Neigung zu Miss Greer Bescheid?»
«O ja, wenigstens sah ich es kommen. Er erzählte mir, daß er ein wunderbares Mädchen kennengelernt habe. Sie sei ganz anders als alle, die er bisher kannte. Das machte mir keinen tiefen Eindruck, denn Amyas lernte immer eine Frau kennen, die <ganz anders > war. Im allgemeinen sah er einen bereits einen Monat später erstaunt an, wenn man von ihr sprach, und wußte überhaupt nicht mehr, von wem die Rede war. Aber mit Elsa Greer war es wirklich anders. Das merkte ich, als ich nach Alderbury zu Besuch kam. Sie hatte ihn gepackt, hatte ihn fest in den Klauen. Der arme Hammel fraß ihr aus der Hand.»
«Elsa Greer mochten Sie also auch nicht?»
«Nein, auch sie war besitzgierig, auch sie wollte Crale mit Leib und Seele haben; aber ich glaube trotzdem, daß sie für ihn besser gewesen wäre als Caroline. Vermutlich hätte sie ihn ab und zu in Frieden gelassen, sowie sie seiner sicher war oder sie hätte ihn satt bekommen und wäre ihm durchgegangen. Das beste für Amyas wäre gewesen, wenn er sich überhaupt nicht mit Frauen eingelassen hätte.»
«Aber das sah er anscheinend nicht ein?»
Blake seufzte. «Ach ja, dieser Narr mußte immer eine Weibergeschichte haben, obwohl ihm Frauen im Grunde genommen wenig bedeuteten. Die zwei einzigen Frauen, die in seinem Leben wirklich eine Rolle spielten, waren Caroline und Elsa.»
«Hatte er das Kind gern?» fragte Poirot.
«Angela? Oh, Angela mochten wir alle gern. Mit ihr konnte man Pferde stehlen. Wie hat sie der armen Gouvernante das Leben schwer gemacht! Ja, Amyas hatte Angela gern, aber wenn sie es zu toll trieb, wurde er wütend. Dann pflegte Caroline einzugreifen; sie war immer auf Angelas Seite, und das machte Amyas vollständig verrückt. Es erbitterte ihn, wenn Caroline sich mit Angela gegen ihn stellte. Dabei war natürlich Eifersucht im Spiele, verstehen Sie? Amyas war eifersüchtig, weil für Caroline immer Angela zuerst kam, weil sie alles für das Kind tat. Und Angela war eifersüchtig auf Amyas und lehnte sich gegen seine Herrschsucht auf. Er hatte bestimmt, daß sie im Herbst in ein Internat gesteckt würde, und sie war wütend darüber. An sich hatte sie gar nichts dagegen, sie wollte gerne hingehen, aber ich glaube, daß es die hochfahrende Art von Amyas war, die sie empörte. Aus Rache spielte sie ihm alle möglichen Streiche. Einmal steckte sie ihm zehn Schnecken ins Bett. Im großen und ganzen hatte Amyas recht, glaube ich - es war höchste Zeit, daß ihr etwas Disziplin beigebracht wurde. Miss Williams war sehr tüchtig, aber selbst sie mußte zugeben, daß sie Angela nicht gewachsen war.»
Er hielt inne, und Poirot sagte: «Als ich mich erkundigte, ob Amyas das Kind gern gehabt hatte, meinte ich sein eigenes Kind, seine Tochter.»
«Ach, Sie meinten die kleine Carla? Ja, die war sein Liebling. Wenn er gerade dazu aufgelegt war, spielte er sehr gern mit ihr.
Aber seine Liebe zu ihr hätte ihn nicht davon abgehalten, Elsa zu heiraten, wenn Sie das meinen. So groß war seine Liebe zu dem Kind nicht.»
«Hing Caroline Crale sehr an ihrem Kind?» Blakes Gesicht verzog sich krampfartig, und er antwortete: «Ich kann nicht abstreiten, daß sie eine gute Mutter war. Nein, das kann ich nicht.» Er sprach nun langsam, stockend weiter: «Das schlimmste für mich bei der ganzen Sache ist der Gedanke an dieses Kind. Was für eine tragische Basis für ihr junges Leben. Man schickte sie ins Ausland zu Verwandten von Amyas, und ich hoffe, daß sie ihr die Wahrheit vorenthalten konnten.»
Poirot sagte kopfschüttelnd: «Die Wahrheit, Mr. Blake, hat die Eigenschaft, sich auch noch nach vielen Jahren durchzusetzen. Im Interesse der Wahrheit möchte ich Sie jetzt um etwas bitten, Mr. Blake.»
«Was denn?»
«Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einen genauen Bericht über alles, was sich in jenen Tagen in Alderbury abgespielt hat, abfassen könnten, das heißt also, wenn Sie alle Einzelheiten des ganzen Mordfalles schriftlich niederlegten.»