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«Was Sie da sagen, ist hochinteressant. Auch für mich ist diese Situation ein Rätsel. Kein wohlerzogener Mann, kein Mann von Welt hätte es so weit kommen lassen dürfen.» Blakes schlaffes Gesicht belebte sich. «Aber der springende Punkt ist, daß Amyas kein normaler Mensch war. Er war Maler, verstehen Sie; seine Malerei ging ihm über alles, und zuweilen nahm seine Besessenheit ungewöhnliche Formen an. Ich verstehe diese sogenannten künstlerischen Menschen nicht - ich habe sie nie verstanden. Für Crale brachte ich etwas Verständnis auf, da ich ihn ja von Kindheit an kannte. Er stammte aus den gleichen Kreisen wie ich, und in vieler Hinsicht gehörte er immer noch zu uns; nur wo es sich um seine Kunst handelte, fiel er aus dem Rahmen. Er war nicht etwa ein Dilettant, keineswegs, er war ein erstklassiger Maler, viele sagen sogar, er sei ein Genie gewesen. Das mag stimmen, aber die Folge davon war, daß er ein unausgeglichenes Wesen hatte, möchte ich sagen. Wenn er ein Bild malte, so existierte nichts weiter für ihn; kein Mensch durfte ihn stören. Er war dann wie im Traum, war völlig besessen von seiner Arbeit. Erst nach Beendigung des Bildes wachte er aus seinem Traum auf und wurde wieder normal. Und das erklärt auch, wieso diese Situation entstehen konnte. Er hatte sich in diese Elsa Greer verliebt, er wollte sie heiraten. Er war bereit, ihretwegen Frau und Kind zu verlassen. Aber er hatte angefangen, sie zu malen, und er wollte unbedingt das Bild vollenden, alles andere interessierte ihn nicht, er sah nichts anderes. Und daß die Situation für beide Frauen unmöglich war, schien ihm nie in den Sinn gekommen zu sein.»

«Hatten die beiden dafür Verständnis?»

«Gewissermaßen ja. Elsa war begeistert von seiner Malerei, aber sie war natürlich in einer schwierigen Situation. Und Caroline... also Caroline... ich habe sie immer sehr gern gehabt. Es hat einmal eine Zeit gegeben, da ich.. da ich mir Hoffnungen auf sie machte; sie wurden jedoch schon im Keim erstickt. Aber ich blieb stets ihr ergebener Freund.»

Poirot nickte nachdenklich. Dieser etwas altmodische Ausdruck war charakteristisch für den Mann. Meredith Blake war einer der Männer, die ihr ganzes Leben einer romantischen Liebe weihen, die treu und selbstlos ihrer Herzensdame dienen. Vorsichtig die Worte wägend, fragte Poirot: «Sie müssen ihm doch um ihretwillen sein Verhalten sehr verübelt haben?»

«O ja... ich habe Crale sogar deswegen Vorwürfe gemacht.»

«Wann?»

«Am Nachmittag.. vor dem Unglückstag. Sie waren alle bei mir zum Tee. Ich nahm Crale beiseite und sagte ihm, daß es beiden gegenüber Unrecht wäre.»

«Das haben Sie gesagt?»

«Ja. Ich glaubte nämlich, daß er sich gar nicht klar darüber sei.»

«Wahrscheinlich nicht.»

«Ich sagte ihm, daß er Caroline in eine unmögliche Situation gebracht habe. Wenn er Elsa wirklich heiraten wolle, hätte er sie nicht ins Haus bringen dürfen, um... um mit seinem Glück vor Caroline sozusagen zu prunken. Das sei für Caroline eine schwere Beleidigung.»

«Und was antwortete er?» fragte Poirot gespannt. «Er sagte: <Caroline muß es schlucken.) Ich fand das abscheulich. Ich wurde wütend, sagte, daß er, wenn er sich schon nicht um die Gefühle seiner Frau kümmere, wenn es ihm gleich wäre, wie sehr sie litte, doch wenigstens an Elsa denken solle, denn auch sie sei ja in einer unmöglichen Lage. Darauf antwortete er nur, auch sie müsse es schlucken! Und er fügte hinzu: <Du scheinst nicht zu wissen, Meredith, daß ich augenblicklich das beste Bild meines Lebens male. Es wird gut, das sage ich dir. Und ich lasse es mir nicht durch den Zank von zwei eifersüchtigen Weibern verderben - ich denke nicht daran!) Es hatte also keinen Zweck, mit ihm zu reden. Ich sagte ihm noch, er habe anscheinend das Gefühl für die elementarsten Anstandsbegriffe verloren; Malerei bedeute schließlich nicht alles. Da unterbrach er mich und sagte: <Für mich schon!) Darauf erklärte ich ihm sehr energisch, daß er seine Ehe nicht zerstören dürfe, schließlich müsse er auch an das Kind denken. Ich hätte zwar Verständnis dafür, daß ein Mädchen wie Elsa einen Mann um den Verstand bringen könne, aber gerade um ihretwillen dürfe er nicht so rücksichtslos sein. Sie sei noch jung und habe sich blindlings in ihn verliebt, könnte es aber später bitter bereuen. Er solle sich doch zusammenreißen, mit Elsa Schluß machen und zu seiner Frau zurückkehren.»

«Und was sagte er?»

«Er blickte mich verlegen an, dann klopfte er mir auf die Schultern und sagte: <Du bist ein guter Kerl, Meredith, aber du bist zu sentimental. Warte ab, bis das Bild fertig ist, dann wirst du einsehen, daß ich recht habe.) Ich rief: <Dein Bild soll zum

Teufel gehen!) Worauf er grinsend erwiderte, das könnten sämtliche hysterischen Weiber Englands nicht fertigbringen. Dann sagte ich, er hätte wenigstens soviel Anstand besitzen müssen, die Affäre vor Caroline geheimzuhalten, bis das Bild fertig sei, worauf er antwortete, das sei nicht seine Schuld. Elsa habe aus der Schule geplaudert. Sie habe die Idee gehabt, es sei unanständig, keine klare Situation zu schaffen. Gewissermaßen kann man das von dem Mädchen verstehen, ja es ihr sogar zugute halten; so schlecht sie sich auch benahm, sie wollte wenigstens ehrlich sein.»

«Durch zu große Ehrlichkeit ist schon viel Kummer und Schmerz entstanden», bemerkte Poirot.

Meredith blickte ihn zweifelnd an; offensichtlich fand er diese Ansicht zynisch. Seufzend sagte er: «Es war für uns alle eine höchst peinliche Situation.»

«Der einzige Mensch, den das nicht gestört zu haben scheint, war Amyas Crale», bemerkte Poirot.

«Weil er ein krasser Egoist war. Ich sehe ihn heute noch vor mir, wie er grinsend fortging und zu mir sagte: <Du kannst ruhig schlafen, Meredith. Es wird schon alles gut werden!)»

«Der unverbesserliche Optimist», murmelte Poirot. Blake erklärte: «Er nahm die Frauen nicht ernst, selbst wenn ich ihm gesagt hätte, daß Caroline verzweifelt sei.»

«Hat sie Ihnen das gesagt?»

«Nicht direkt, aber wie sah sie an dem Nachmittag aus ! Totenblaß, gespannt, verzweifelt fröhlich. Sie sprach und lachte viel. Aber ihre Augen! Es lag ein so tiefer Kummer darin... Es war das Ergreifendste, was ich je gesehen habe.» Schweigend betrachtete ihn Poirot. Der Mann, der da vor ihm saß, schien sich gar nicht darüber klar zu sein, wie unvereinbar alles, was er von der Frau erzählte, mit einer Mörderin war. Meredith Blake sprach weiter. Offensichtlich hatte er nun seine anfängliche mißtrauische Feindseligkeit aufgegeben. Hercule Poirot war ein guter Zuhörer, und Menschen wie Meredith Blake lieben es, in die Vergangenheit zurückzuschweifen. Er schien mehr für sich als für seinen Gast zu sprechen. «Ich hätte Verdacht schöpfen müssen, denn Caroline brachte das Gespräch auf mein Steckenpferd. Ich muß gestehen, daß ich davon besessen war. Das Studium der alten englischen Heilkräuterkunde ist äußerst interessant. Es gibt so viele Pflanzen, die früher als Heilmittel benutzt wurden und heutzutage völlig aus der Pharmakologie verschwunden sind. Ja, ich muß zugeben, daß das Brauen von Säften eine Leidenschaft von mir war. Die Pflanzen zur richtigen Zeit pflücken, sie trocknen, sie im Mörser zerstampfen.. und all das. Und an diesem Tag hielt ich meinen Gästen einen Vortrag über den zweijährigen gefleckten Schierling. Man pflückt die Früchte kurz vor der Reife, gerade bevor sie gelb werden. Das Präparat, das man daraus gewinnt, heißt Koniin. Es ist ein tödliches Gift, aber ich habe bewiesen, daß es in kleinen Dosen sehr gut gegen Keuchhusten und auch gegen Asthma ist...»