«All das haben Sie erzählt?»
«Ja, während ich ihnen das Laboratorium zeigte. Ich erklärte die verschiedenen Drogen, zum Beispiel Baldrian und dessen Wirkung auf Katzen - einmal daran riechen genügt für sie! Es interessierte sie alle sehr.»
«Alle? Wer ist da einbegriffen?»
«Die ganze Teegesellschaft... also Philip war da und Amyas und natürlich Caroline, auch Angela und Elsa Greer.»
«Das waren alle?»
«Ja... ich glaube. Ja, bestimmt.» Blake blickte ihn neugierig an. «Wer sollte sonst noch dabei sein?»
«Ich dachte, vielleicht die Gouvernante...»
«Ach so. Nein, sie war an dem Nachmittag nicht da. Eine nette Person. Nahm ihre Pflichten sehr ernst. Ich glaube, Angela hat ihr das Leben oft sehr schwer gemacht.»
«Wieso?»
«Angela war ein nettes Kind, aber sehr wild. Immer hatte sie Streiche im Kopf. Eines Tages, als Amyas eifrig malte, setzte sie ihm eine Schnecke oder so etwas Ähnliches auf den Kragen. Er platzte fast vor Wut und wünschte sie zu allen Teufeln. Daraufhin bestand er darauf, daß sie in ein Internat geschickt würde.»
«In ein Internat?»
«Ja. Er hat sie bestimmt gern gehabt, aber oft ging sie ihm sehr auf die Nerven. Und ich glaube... ich habe immer gedacht... »
«Ja?»
«Daß er ein bißchen eifersüchtig auf sie war. Caroline, verstehen Sie, hing ein wenig übertrieben an Angela. Angela stand gewissermaßen an erster Stelle bei ihr... und das gefiel Amyas nicht. Caroline hatte einen Grund dazu, ich möchte mich jetzt nicht darüber auslassen, aber...» Poirot unterbrach ihn. «Caroline Crale machte sich vermutlich Vorwürfe, weil durch ihre Schuld das Mädchen entstellt worden war?»
«Oh, das wissen Sie? Ich wollte es nicht erwähnen, es ist schon so lange her.»
«Und trug Angela es ihrer Schwester nach?» fragte Poirot. «Glauben Sie das nur nicht. Angela liebte Caroline; ich bin sicher, daß sie an die alte Geschichte überhaupt nicht mehr dachte. Aber Caroline konnte es nicht vergessen.»
«Freute sich Angela auf das Internat?»
«Nein. Sie war wütend auf Amyas. Caroline nahm ihre Partei, aber Amyas blieb bei seinem Entschluß. Im allgemeinen war er sehr umgänglich, aber wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war nichts zu machen.»
«Sie sollte also ins Internat - wann?»
«Zu Beginn des Herbstquartals. Ich erinnere mich noch, daß ihre Ausrüstung schon fertig war. Sie sollte in ein paar Tagen hinfahren. Am Morgen des bewußten Tages war die Rede davon, daß sie packen sollte.»
«Und die Gouvernante?»
«Was meinen Sie... die Gouvernante?»
«Wie stand sie dazu? Sie verlor doch dadurch ihre Stellung?»
«Ja, das war wohl so, denn die kleine Carla bekam ja nur ein paar Stunden, sie war damals erst... ich glaube sechs Jahre. Ja, wahrscheinlich hätten sie Miss Williams nicht behalten. Natürlich... Williams, so hieß sie. Merkwürdig, wie einem vieles wieder einfällt, wenn man von alten Dingen spricht.»
«Ja. Sie sind doch jetzt wieder ganz in der Vergangenheit?»
«Gewissermaßen.. ja. Aber da sind Lücken... doch ich erinnere mich noch genau, wie entsetzt ich war, als ich erfuhr, daß Amyas Caroline verlassen wolle... aber ich weiß nicht mehr, ob er es mir gesagt hatte oder Elsa. Ich erinnere mich, daß ich mit Elsa darüber sprach, ich versuchte, ihr klarzumachen, wie unanständig ihr Verhalten sei. Sie, in ihrer kühlen Art, lachte mich jedoch nur aus und sagte, ich sei altmodisch. Das stimmt, aber ich glaube noch immer, daß ich recht hatte. Amyas hatte Frau und Kind und mußte bei ihnen bleiben.»
«Und Miss Greer fand diesen Standpunkt altmodisch?»
«Ja. Immerhin war vor sechzehn Jahren eine Scheidung noch nicht so etwas Selbstverständliches wie heute. Elsa jedoch wollte modern sein und fand, wenn zwei Menschen miteinander nicht glücklich sein könnten, sei es besser, Schluß zu machen. Sie sagte, daß Amyas und Caroline immer Krach miteinander hätten und daß es für das Kind viel besser wäre, wenn es nicht in einer so unharmonischen Atmosphäre aufwüchse.»
«Und dieses Argument leuchtete Ihnen nicht ein? »
«Ich hatte die ganze Zeit über das Gefühl, daß sie gar nicht wußte, worüber sie sprach. Wie ein Papagei plapperte sie diese Dinge herunter, Dinge, die sie in Büchern gelesen oder von ihren Freunden gehört hatte. Irgendwie war sie rührend - es ist zwar komisch, so etwas zu sagen, denn sie war ja so jung und selbstsicher; aber manchmal hat die Jugend etwas unendlich Rührendes an sich.»
Poirot musterte ihn interessiert und murmelte schließlich: «Ich verstehe, was Sie meinen...»
Blake fuhr mehr zu sich selbst als zu Poirot sprechend fort: «Es war einer der Gründe, weswegen ich Crale Vorwürfe machte. Er war fast zwanzig Jahre älter als das Mädchen.»
«Ach, wie selten kann man einem Menschen etwas ausreden», meinte Poirot. «Wenn sich jemand in etwas verbissen hat -namentlich wenn eine Frau im Spiel ist - ist es schwer, ihn davon abzubringen.»
«Das stimmt», sagte Meredith mit einem bitteren Unterton. «Meine Einmischung hat jedenfalls nichts genützt, aber ich besitze ja auch keine Überzeugungskraft, das habe ich nie gehabt.»
Poirot entnahm dem bittern Ton, daß Meredith unter seinem Mangel an Persönlichkeit litt. Seine wohlgemeinten Ratschläge wurden wahrscheinlich stets mißachtet, sicher nicht auf unfreundliche Weise, aber eben einfach beiseitegeschoben. Meredith war ein ausgesprochen untüchtiger Mensch.
Um das peinliche Thema zu wechseln, erkundigte sich Poirot: «Sie haben doch noch immer Ihr Laboratorium?»
«Nein.»
Es klang scharf, wütend, und Blake war rot geworden. «Ich habe es aufgegeben, ich habe alles fortgeschafft. Ich konnte doch nicht weitermachen, nach dem, was geschehen war. Man konnte doch beinahe sagen, daß ich an allem Schuld hatte.»
«Nein, nein, Mr. Blake, Sie sind zu empfindlich. Aber noch eine Frage: waren keine Fingerabdrücke auf der Koniin-Flasche?»
«Ihre.»
«Caroline Crales?»
«Ja.»
«Nicht Ihre?»
«Nein, ich hatte die Flasche nicht angefaßt, hatte nur darauf gedeutet.»
«Aber irgendwann werden Sie sie doch einmal angefaßt haben?»
«Natürlich, aber ich staubte die Flaschen von Zeit zu Zeit ab -ich ließ natürlich nie einen Dienstboten dort hinein - und das hatte ich erst vier, fünf Tage vorher gerade getan.»
«War der Raum verschlossen?»
«Immer.»
«Wann nahm Caroline Crale das Koniin aus der Flasche?» Widerstrebend antwortete Blake: «Sie verließ das Zimmer als letzte. Ich erinnere mich noch, daß ich sie rief und daß sie dann herausgeeilt kam. Sie war ein wenig rot im Gesicht, und ihre Augen waren vor Erregung weit aufgerissen. Mein Gott, ich sehe sie jetzt noch vor mir.»
«Haben Sie an dem Nachmittag noch mit ihr gesprochen? Ich meine, haben Sie mit ihr über den Streit mit ihrem Mann gesprochen?»
«Nicht direkt. Wie ich Ihnen æhon sagte, sah sie aufgeregt aus. Als wir einen Moment allein waren, fragte ich sie: <Ist etwas nicht in Ordnung?) Sie antwortete: <Alles ist nicht in Ordnung...) Sie hätten ihren verzweifelten Ton hören müssen-Amyas Crale war Carolines ganze Welt. Sie fügte hinzu: <Alles ist aus... für immer vorbei. Ich bin am Ende, Meredith!) Dann aber lachte sie, wandte sich zu den andern und war plötzlich unnatürlich lustig.»
Poirot wiegte langsam den Kopf. Er sah wie ein chinesischer Mandarin aus, als er nun sagte: «Ja... ich verstehe... so war es...»
Blake schlug plötzlich mit der Faust auf den Tisch und erklärte beinahe brüllend: «Und ich sage Ihnen, Monsieur Poirot, als Caroline vor Gericht sagte, sie habe das Gift für sich genommen, sprach sie die Wahrheit. Sie hatte keine Mordabsichten, das schwöre ich Ihnen. Das kam erst später.»