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Und die Art, wie er es tat, war charakteristisch für ihn. Die Malerei war für ihn das höchste im Leben, und so beschloß er, mit dem Pinsel in der Hand zu sterben, vor sich das Gesicht des Mädchens, das er so leidenschaftlich liebte. Er mag geglaubt haben, daß es auch für sie das beste wäre, wenn er stürbe...

Ich gebe zu, daß diese Theorie einige Unwahrscheinlichkeiten enthält. Warum, zum Beispiel, waren nur Carolines Fingerabdrücke auf dem leeren Koniinfläschchen? Ich kann mir nur denken, daß, nachdem Amyas es benutzt hatte, seine Abdrücke durch die Strümpfe, in die das Fläschchen eingewickelt war, verwischt worden waren und daß Caroline es nach seinem Tod in die Hand nahm, um nachzusehen, ob jemand es berührt habe. Das wäre doch möglich und plausibel? Und was die Fingerabdrücke auf der Bierflasche anbetrifft, so hatte ja der Verteidiger erklärt, daß sich die Finger eines Menschen unter der Einwirkung des Giftes verzerren und daher die Flasche völlig unnatürlich packen.

Es bleibt noch Carolines Verhalten während der Verhandlung zu erklären. Ich glaube, nun den Grund dafür erkannt zu haben; sie hielt sich für seinen Tod verantwortlich, denn sie hatte das Gift aus meinem Laboratorium genommen und hatte durch ihre Absicht, es selbst zu benutzen, ihren Mann dazu getrieben, sich das Leben zu nehmen. Sie redete sich also ein, des Mordes schuldig zu sein, wenn auch nicht der Art von Mord, deren sie angeklagt war.

Ich halte all das für möglich. Und wenn es so war, wird es Ihnen leichtfallen, die kleine Carla davon zu überzeugen. Sie kann dann ihren jungen Mann heiraten und sich mit dem Bewußtsein trösten, daß die einzige Schuld ihrer Mutter darin bestand, daß sie sich das Leben hatte nehmen wollen. Doch all das wollten Sie ja gar nicht von mir wissen, sondern Sie wollten einen Bericht über die Ereignisse haben, soweit ich mich an sie noch erinnere. Ich habe Ihnen bereits ausführlich die Geschehnisse am Tage vor Amyas' Tod geschildert. Kommen wir jetzt zu dem Tag selbst. Ich hatte sehr schlecht geschlafen; der Gedanke an die beunruhigenden Verhältnisse bei meinen Freunden verfolgte mich. Schließlich fiel ich gegen sechs Uhr morgens in einen tiefen Schlaf und wachte erst gegen halb zehn wie gerädert auf. Kurz danach hörte ich ein Geräusch im Laboratorium. Wahrscheinlich rührte es von einer Katze her, die durch das spaltbreit offenstehende Fenster eingedrungen war. Sowie ich mich angezogen hatte, ging ich hinunter ins Laboratorium. Ich bemerkte sofort, daß die Koniinflasche außerhalb der Reihe stand, und dann stellte ich zu meinem Erstaunen fest, daß die am Tag zuvor noch volle Flasche fast leer war.

Ich war entsetzt und verwirrt. Leider muß ich gestehen, daß meine Gedanken langsam arbeiten. Erst war ich bestürzt, dann besorgt, dann ausgesprochen beunruhigt. Ich fragte die Dienstboten, aber alle behaupteten, keinen Schritt ins Laboratorium getan zu haben, und nach einiger Überlegung rief ich meinen Bruder an. Philip begriff sogleich, was meine Entdeckung bedeutete, und er forderte mich auf, sofort zu ihm zu kommen. Als ich das Haus verließ, begegnete mir Miss Williams, die auf der Suche nach Angela war. Ich konnte ihr versichern, daß ich Angela nicht gesehen habe, und daß sie nicht im Haus gewesen sei.

Ich ging hinunter zur Bucht und ruderte hinüber. Mein Bruder erwartete mich bereits am Ufer, und wir schlugen den Pfad ein, der unterhalb der Schanze verläuft. Sie kennen ja den Weg und wissen, daß man Gespräche, die auf der Schanze geführt werden, hören kann. Wir hörten, daß Caroline und Amyas wieder eine Auseinandersetzung hatten, aber ich achtete weiter nicht darauf. Jedenfalls vernahm ich von Caroline keine Drohung. Es drehte sich um Angela, und ich nehme an, daß Caroline versuchte, Amyas' Entschluß, sie ins Internat zu schicken, rückgängig zu machen. Amyas war jedoch unerbittlich und schrie wütend, es sei alles beschlossen, er würde sogar für sie packen.

Als wir zur Schanze kamen, begegnete uns Caroline. Sie machte einen etwas verwirrten Eindruck, aber es fiel mir nicht weiter auf. Sie lächelte wie abwesend und erklärte, sie hätten über Angela gesprochen. In dem Augenblick kam Elsa den Pfad herunter, und da Amyas uns offensichtlich loswerden wollte, gingen wir weiter. Philip machte sich später schwere Vorwürfe, weil wir nicht sofort etwas unternommen hatten, aber ich sehe das anders an. Wir hatten kein Recht zu der Annahme, daß ein Mord beabsichtigt würde. (Und ich glaube auch, daß er nicht beabsichtigt war.) Natürlich mußten wir etwas unternehmen, aber ich finde es auch jetzt noch richtig, daß wir die Angelegenheit erst eingehend besprachen. Außerdem war ich noch nicht ganz sicher, ob ich mich nicht vielleicht doch geirrt hatte. War die Flasche wirklich voll gewesen? Ich bin nicht so wie mein Bruder Philip, der alles hundertprozentig sicher weiß. Das Gedächtnis spielt einem zuweilen Streiche - wie oft könnte man schwören, daß man eine Sache an einen bestimmten Platz gelegt hat, und findet dann später heraus, daß sie ganz woanders liegt. Je mehr ich über den Zustand der Flasche am vorhergehenden Tag nachdachte, um so unsicherer wurde ich. Philip ärgerte sich sehr darüber. Wir konnten aber unsere Unterhaltung nicht fortsetzen und einigten uns stillschweigend, sie bis nach dem Mittagessen zu verschieben.

Später brachten uns Angela und Caroline Bier. Ich warnte Angela und sagte ihr, daß sich Miss Williams auf dem Kriegspfad befände, und sie entgegnete, sie sei schwimmen gegangen, und sie sähe nicht ein, warum sie ihren scheußlichen alten Rock flicken solle, da sie doch lauter neue Sachen für die Schule bekäme.

Da ich jetzt doch nicht mit Philip allein sprechen konnte, wollte ich mir die Angelegenheit nochmals in Ruhe überlegen und ging den Pfad, der zur Schanze führt, hinunter. Direkt oberhalb der Schanze befindet sich ein Plateau - ich habe es Ihnen gezeigt - dort setzte ich mich hin, rauchte und grübelte und betrachtete Elsa, die Amyas für sein Bild saß.

Ich sehe sie noch immer vor mir in ihrem gelben Hemd, den dunkelblauen Hosen und dem roten Pullover, den sie um die Schultern geschlungen hatte. Sie war so lebendig, so gesund, so strahlend und zukunftsfreudig. Das hört sich an, als hätte ich gelauscht, aber das war nicht der Fall. Sie konnten mich ja sehen und wußten, daß ich in der Nähe war. Elsa winkte mir zu und rief, Amyas sei ein Unmensch, sie dürfe sich keinen Moment ausruhen. Sie sei ganz steif, und alle Glieder schmerzten sie.

Amyas knurrte, daß sie bestimmt nicht so steif sei wie er, ihm täten alle Glieder weh; es sei wohl Rheumatismus. Spöttisch entgegnete Elsa: «Du bist ein armer alter Mann!» Worauf er erwiderte, sie müsse sich eben mit einem jämmerlichen Invaliden begnügen.

Die leichtfertige Unterhaltung der beiden über ihre Zukunft, die einem anderen Menschen so viel Leid verursachen würde, schockierte mich, und doch konnte ich es Elsa nicht übelnehmen. Sie war so jung, so zuversichtlich, so verliebt. Und sie wußte gar nicht, was sie tat, sie wußte noch nicht, was Leid bedeutet. Sie nahm einfach mit der naiven Zuversicht eines Kindes an, daß es Caroline bald wieder gut gehen würde, daß sie <bald darüber hinwegkäme>. Sie sah nichts außer sich und Amyas. Sie hatte mir ja gesagt, daß meine Ansichten altmodisch seien; sie kannte keine Zweifel, keine Gewissensbisse und auch kein Mitleid. Aber kann man von strahlender Jugend Mitleid erwarten? Das ist eine Gefühlsregung, die alten, weisen Menschen vorbehalten bleibt. Sie sprachen nicht sehr viel; kein Maler liebt es, bei der Arbeit viel zu reden. Vielleicht alle zehn Minuten sagte Elsa etwas, und Amyas knurrte eine Antwort. Das war das letztemal, daß ich Elsa so strahlend und so zufrieden sah - auf dem Höhepunkt ihres Glückes.

Dann läutete es zum Mittagessen, und ich ging hinunter zur Schanze. Elsa kam gerade zur Tür heraus. Das Licht blendete mich so, daß ich kaum richtig sehen konnte. Amyas lag auf der Bank, Arme und Beine von sich gestreckt, und starrte das Bild an. Ich hatte ihn schon oft in dieser Stellung gesehen und konnte daher nicht ahnen, daß das Gift bereits zu wirken begonnen hatte.