Ich antwortete, ich hätte überhaupt nicht dagegen gekämpft. Dann sagte er, ich sei zu jung, und ich erwiderte, das mache nichts. Ich kann sagen, daß wir die nächsten Wochen sehr glücklich waren. Doch Glück ist nicht das richtige Wort dafür; es war etwas Tieferes, etwas Erschreckendes. Wir waren füreinander geschaffen, wir hatten einander gefunden. Wir wußten beide, daß wir immer zusammenbleiben würden.
Doch etwas anderes geschah; das unvollendete Bild begann Amyas zu verfolgen. «Verdammt nochmal, vorher habe ich dich nicht malen können, du bist mir direkt im Weg gestanden. Aber jetzt will ich dich malen, Elsa - ich muß dich so malen, daß es mein bestes Bild wird! Es juckt mich, ich will meine Pinsel packen, will dich auf der alten Mauer sitzen sehen, im Hintergrund das übliche blaue Meer, die dekorativen englischen Bäume, und du, du sitzt da wie der verkörperte, triumphierende Mißklang. So muß ich dich malen! Aber bevor das Bild fertig ist, will ich keinen Krach haben. Wenn es fertig ist, werde ich Caroline die Wahrheit sagen, und wir werden alles in Ordnung bringen.»
«Wird dir Caroline Schwierigkeiten wegen der Scheidung machen?» fragte ich.
Er antwortete, er glaube es nicht, aber man könne ja bei Weibern nie wissen. Ich sagte, es würde mir leid tun, wenn sie sich aufregen würde, aber schließlich passierten eben solche Dinge.
«Das ist sehr nett und vernünftig von dir, das zu sagen, Elsa. Aber Caroline ist nicht vernünftig, sie war es nie und wird es in diesem Falle bestimmt nicht sein. Sie liebt mich nämlich.» Ich verstehe das, sagte ich, aber wenn sie ihn liebe, müsse doch für sie sein Glück zuerst kommen, und jedenfalls würde sie doch nicht versuchen, ihn zu halten, wenn er frei sein wolle. Er erwiderte: «Solche Probleme kann man nicht nach Schablonen der modernen Literatur lösen. Das Leben ist nicht zahm, es ist wild!»
«Aber wir sind doch zivilisierte Menschen heutzutage!» Lachend erwiderte er: «Zivilisierte Menschen! Caroline würde wahrscheinlich am liebsten mit dem Beil auf dich losgehen. Sie bringt so etwas fertig. Bist du dir nicht klar darüber, Elsa, daß sie leiden wird... leiden! Und weißt du, was Leiden bedeutet?»
«Dann sag es ihr nicht.»
«Ich muß es ihr sagen. Du mußt mir richtig gehören, Elsa, vor aller Welt, ganz offen.»
«Aber wenn sie sich nicht scheiden läßt?»
«Davor habe ich keine Angst.»
«Wovor denn sonst?»
Langsam antwortete er: «Ich weiß nicht...» Er wußte es, er kannte Caroline. Ich kannte sie nicht. Wenn ich nur die leiseste Ahnung gehabt hätte...
Wir fuhren also gemeinsam zurück nach Alderbury. Diesmal war alles schwieriger. Caroline war mißtrauisch geworden. Mir gefiel der Zustand gar nicht. Ich habe von jeher Heimlichtuerei und Lügen gehaßt. Ich fand, man müsse es ihr sagen, aber Amyas wollte nichts davon wissen.
Das Komische ist, daß es ihm im Grunde genommen egal war. Obwohl er Caroline sehr gern hatte und ihr nicht weh tun wollte, war ihm Ehrlichkeit oder Unehrlichkeit völlig gleich. Er malte wie besessen, und alles andere kümmerte ihn nicht. Ich hatte ihn bisher noch nie richtig arbeiten gesehen, und mir wurde zum erstenmal klar, was für ein Genie er war. Seine Kunst riß ihn so mit, daß für ihn die üblichen Anstandsbegriffe gar nicht existierten. Aber für mich war es etwas anderes; ich war in einer scheußlichen Lage. Caroline war böse auf mich, und mit Recht. Man konnte die Situation nur klären, indem man ihr offen und ehrlich die Wahrheit sagte.
Doch Amyas wiederholte nur, er solle nicht belästigt werden, bevor das Bild fertig sei. Ich meinte, es würde wahrscheinlich gar keine Szene geben; dazu habe doch Caroline zu viel Stolz und Würde. «Ich will ehrlich sein», sagte ich. «Wir müssen ehrlich sein.»
«Zur Hölle mit deiner Ehrlichkeit. Ich male ein Bild, verdammt nochmal.»
Ich konnte seinen Standpunkt verstehen, er aber nicht meinen. Und schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Caroline hatte von einer Reise gesprochen, die sie gemeinsam mit Amyas im Herbst machen wollte, und plötzlich fand ich es abscheulich, daß wir sie in dem Glauben ließen. Vielleicht war ich auch wütend, weil Caroline in einer so gerissenen Weise unfreundlich zu mir war, daß ich nichts dagegen tun konnte. Und so platzte ich mit der Wahrheit heraus. Ich glaube noch heute, daß ich an sich richtig handelte, obwohl ich natürlich nicht die leiseste Ahnung hatte, was ich damit anrichtete.
Der Krach kam gleich danach. Amyas war wütend auf mich, aber er mußte Caroline gegenüber zugeben, daß ich die Wahrheit gesagt hatte. Carolines Verhalten verstand ich nicht. Wir alle gingen am Nachmittag gemeinsam zu Meredith Blake zum Tee, und sie spielte fabelhaft Theater, plauderte und lachte. Dumm wie ich war, glaubte ich, sie habe es geschluckt. Mir war es peinlich, daß ich nicht abreisen konnte, aber Amyas wäre in die Luft gegangen, wenn ich es getan hätte. Ich glaubte, Caroline würde gehen; das hätte für uns alles leichter gemacht. Ich hatte nicht gesehen, daß sie das Koniin nahm. Da ich ehrlich sein will, halte ich es für möglich, daß sie es in der Absicht nahm, Selbstmord zu begehen. Aber im Grunde genommen glaube ich es nicht. Ich glaube, sie war so eifersüchtig und so besitzgierig, daß sie auf nichts verzichten wollte, was sie als ihr Eigentum ansah. Und Amyas war ihr Eigentum. Ich glaube, sie war von Anfang an entschlossen, ihn eher zu töten, als ihn einer anderen Frau zu überlassen. Ich glaube, sie faßte an diesem Nachmittag den Entschluß, ihn umzubringen, und Merediths Vortrag über das Koniin verschaffte ihr die Möglichkeit, ihre Absicht auszuführen. Sie war erbittert, rachsüchtig. Amyas wußte schon immer, daß sie gefährlich war. Ich nicht. Am nächsten Morgen hatte sie die endgültige Auseinandersetzung mit Amyas. Ich saß auf der Terrasse und hörte fast alles.
Er war großartig, geduldig und ruhig. Er bat sie, vernünftig zu sein, und er sagte ihr, er habe sie und das Kind immer noch lieb und würde sie immer gern haben. Er würde alles tun, um sie sicherzustellen. Dann wurde er energisch und sagte: «Aber merke dir das, ich werde Elsa heiraten; nichts kann mich davon abhalten. Wir beide haben uns von jeher gegenseitige Freiheit versprochen. Und so etwas geschieht nun einmal.» Sie erwiderte: «Mach, was du willst; ich habe dich gewarnt.»
«Was meinst du damit, Caroline?» fragte Amyas. «Du gehörst mir, und ich lasse dich nicht gehen. Ehe ich dich dem Mädchen lasse, bringe ich dich um.»
In diesem Augenblick kam Philip Blake. Ich stand auf und ging ihm entgegen; ich wollte nicht, daß er die Unterredung hörte. Schließlich kam Amyas heraus und sagte, er müsse weitermalen. So gingen wir zusammen zur Schanze hinunter. Er war ziemlich schweigsam und sagte nur, daß Caroline unangenehm geworden wäre, aber er wolle nicht darüber sprechen, er müsse sich jetzt auf seine Arbeit konzentrieren, in einem Tag sei das Bild fertig. «Es ist das beste, was ich je gemalt habe, Elsa, auch wenn dafür mit Blut und Tränen gezahlt werden muß!» Etwas später ging ich ins Haus, um mir einen Pullover zu holen, denn es wehte ein kühler Wind. Als ich zur Schanze zurückkam, war Caroline dort; ich nehme an, daß sie einen letzten Versöhnungsversuch machen wollte. Philip und Meredith Blake waren ebenfalls dort. Amyas sagte, er habe Durst und möchte etwas trinken, aber das Bier im Schuppen sei ihm nicht kalt genug.
Caroline versprach, sie würde ihm welches schicken, und das sagte sie in einem ganz natürlichen, fast freundlichen Ton. Was für eine Schauspielerin sie war! Sie mußte da doch schon gewußt haben, was sie tun wollte.
Etwa zehn Minuten später brachte sie selbst eine Flasche, goß ihm ein Glas ein und stellte es neben ihn hin. Keiner von uns sah ihr zu, denn Amyas war in seine Arbeit vertieft, und ich mußte ihm sitzen.
Amyas leerte dann auf seine übliche Art das Glas in einem Zug. Er schnitt eine Grimasse und sagte, es schmecke widerlich, aber wenigstens sei es kalt. Und selbst da hatte ich noch keinen Verdacht geschöpft, ich lachte nur. Nachdem er das Glas ausgetrunken hatte, ging Caroline fort.