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So wäre es wohl weitergegangen, wenn nicht Elsa Greer aufgetaucht wäre. Elsa Greer...» Er schüttelte den Kopf. «Was war mit Elsa Greer?»

Überraschend murmelte der alte Herr statt einer Antwort: «Armes Kind... Armes Kind!»

«So denken Sie über sie?»

«Ich bin ein alter Mann, und dies ist vielleicht der Grund, daß mich die Jugend in ihrer oft hemmungslosen Grausamkeit manchmal zu Tränen rührt.» Er stand auf, nahm ein Buch vom Regal, blätterte darin und las dann vor:

«Wenn deine Liebe tugendsam gesinnt Vermählung wünscht, so laß mich morgen wissen Durch jemand, den ich zu dir senden will, Wo du und wann die Trauung willst vollziehn. Dann leg ich dir mein ganzes Glück zu Füßen Und folge durch die Welt dir als Gebieter.

Auch in Julias Worten ist die Liebe innig mit der Jugend verbunden. Keine Schüchternheit, keine Zurückhaltung, keine sogenannte jungfräuliche Sittsamkeit. Es ist der Mut, die Hartnäckigkeit, die grausame Kraft der Jugend. Shakespeare kannte die Jugend. Julia wählte Romeo, Desdemona verlangte Othello. Sie hatten keine Zweifel, diese Jugend kannte keine Furcht.»

«Für Sie sprach also Elsa Greer mit Julias Worten?» fragte Poirot nachdenklich.

«Ja. Sie war ein vom Glück verwöhntes Kind, sie war jung, schön, reich. Sie fand den Mann, nach dem sie sich sehnte, und sie verlangte ihn - es war kein junger Romeo, es war ein verheirateter, keineswegs mehr junger Maler. Elsa Greer hatte keinen Sittenkodex, der sie hemmte; für sie galt der moderne Kodex: <Nimm, was du verlangst - wir leben nur einmal!>» Seufzend lehnte sich Mr. Jonathan zurück. «Sie war eine raubgierige Julia, jung, erbarmungslos, aber sehr verwundbar. Tollkühn setzte sie alles auf eine Karte. Und als sie anscheinend schon gewonnen hatte... da, im letzten Moment, kam der Tod, und auch die lebendige, feurige, fröhliche Elsa starb. Zurück blieb nur eine rachsüchtige, kalte, harte Frau, die aus ganzer Seele die Frau haßte, die den Tod ihres Geliebten herbeigeführt hatte.» Er hielt inne und sprach dann mit veränderter Stimme weiter. «Entschuldigen Sie bitte diese sentimentale Abschweifung. Ein grausames junges Mädchen mit einer grausamen Lebensauffassung, aber ein interessanter Charakter. Strahlende Jugend! Wenn sie vorbei ist, was bleibt übrig? Eine mittelmäßige Frau, die ihr ganzes Leben lang einen Helden sucht, um ihn auf ein leeres Piédestal zu stellen.»

«Wenn Amyas Crale kein berühmter Maler gewesen wäre...» warf Poirot ein.

«Sehr richtig, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Die heutigen Elsas sind Heldenanbeterinnen - ein Mann muß etwas vollbracht haben, muß jemand sein... Caroline Crale hätte auch in einem Bankbeamten oder einem Versicherungsagenten Qualitäten entdecken können. Sie liebte den Menschen Amyas Crale, nicht den Maler Amyas Crale. Caroline Crale war nicht grausam - Elsa Greer war es... Aber sie war jung und schön und unendlich rührend.» Nachdenklich ging Poirot zu Bett; es beschäftigte ihn, wie verschieden die beiden Frauen beurteilt wurden.

5 Der Polizei-Oberinspektor

Mr. Hale, Polizei-Oberinspektor a. D., zog bedächtig an seiner Pfeife und sagte schließlich: «Eine merkwürdige Liebhaberei haben Sie, Monsieur Poirot.»

«Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich», stimmte Poirot vorsichtig zu.

«Der Fall liegt schon so lange zurück.»

Obwohl Poirot diese Feststellung allmählich auf die Nerven ging, erwiderte er sanft : «Das macht es natürlich schwieriger.»

«Die Vergangenheit aufwühlen...» sagte Hale sinnend. «Wenn es wenigstens einen Zweck hätte!»

«Es hat einen Zweck.»

«So?»

«Man kann aus Liebe zur Wahrheit die Wahrheit suchen. Und das tue ich. Und dann dürfen Sie die junge Dame nicht vergessen.»

Hale nickte. «Ja, ich kann es ihr nachfühlen. Aber, entschuldigen Sie, Monsieur Poirot, Sie sind doch ein einfallsreicher Mann, Sie könnten ihr doch einfach eine Geschichte erzählen.»

«Sie kennen die junge Dame nicht», erwiderte Poirot. «Aber... ein Mann wie Sie!»

Poirot richtete sich auf. «Mon cher, ich mag ein vollendeter Lügner sein... Sie scheinen mich dafür zu halten. Aber die Lüge läßt sich nicht mit meinen Begriffen von Ethik vereinbaren. Ich habe meine Prinzipien.»

«Entschuldigen Sie, Monsieur Poirot, ich wollte nicht Ihre Gefühle verletzen, aber es wäre doch sozusagen ein gutes Werk.»

«Da bin ich nicht einmal so überzeugt davon.»

«Es ist natürlich bitter, wenn ein unschuldiges, glückliches Mädchen in dem Augenblick, da es sich verheiraten will, erfährt, daß seine Mutter eine Mörderin war. Ich an Ihrer Stelle würde Miss Crale sagen, daß es sich tatsächlich um Selbstmord gehandelt habe. Sagen Sie ihr, daß Depleach den Fall schlecht geführt habe, sagen Sie ihr. Sie seien fest davon überzeugt, daß Crale sich vergiftet habe.»

«Aber das halte ich für höchst unwahrscheinlich! Ich glaube nicht eine Sekunde, daß Crale sich vergiftet hat. Glauben Sie das etwa?» Hale schüttelte bedächtig den Kopf.

«Verstehen Sie denn nicht?» fuhr Poirot fort. «Ich muß die Wahrheit haben, nicht eine wenn auch noch so plausible Lüge.» Hale, dessen grobgeschnittenes rotes Gesicht noch röter wurde, blickte Poirot fest an und sagte schließlich: «Sie sprechen von Wahrheit. Ich erkläre Ihnen hiermit, daß wir überzeugt sind, im Falle Crale der Wahrheit zu ihrem Recht verholfen zu haben.»

«Diese Erklärung ist für mich ungemein wichtig», entgegnete Poirot rasch. «Ich weiß, daß Sie ein ehrlicher und fähiger Mann sind. Aber sind Ihnen nie Zweifel an Mrs. Crales Schuld gekommen?»

Die Antwort erfolgte prompt. «Auch nicht der geringste Zweifel, Monsieur Poirot. Von Anfang an deuteten alle Umstände auf sie, und alle Tatsachen, die wir später entdeckten, bestätigten diese Ansicht.»

«Können Sie mir einen Überblick über das Anklagematerial geben?»

«Ja. Als ich Ihren Brief erhielt, habe ich die Akten noch einmal durchgesehen.» Er nahm ein Notizbuch vom Tisch. «Ich habe die hauptsächlichsten Punkte zusammengestellt.»

«Ich danke Ihnen, lieber Freund, ich bin höchst gespannt.»

Hale räusperte sich und begann dann in amtlichem Ton : «Am 18. September um 2.45 Uhr nachmittags wurde Inspektor Conway von Dr. Andrew Faussett angerufen, der ihm mitteilte, daß Mr. Amyas Crale plötzlich auf seinem Besitz Alderbury verschieden sei und daß er in Anbetracht der Umstände und auf Grund einer Erklärung von einem gewissen Mr. Blake der Ansicht sei, es handle sich um einen Fall für die Polizei. Inspektor Conway begab sich sofort in Begleitung eines Wachtmeisters und des Polizeiarztes nach Alderbury. Dr. Faussett führte ihn zur Leiche von Mr. Crale, die nicht berührt worden war.

Mr. Crale hatte in einem abgeschlossenen Teil des Gartens gemalt. Der Platz wurde als die <Schanze> bezeichnet, weil er die Küste beherrschte und nach der See zu durch eine Brustwehr mit Zinnen abgeschlossen war, an der einige Miniatur-Kanonen standen. Der Platz lag etwa vier Minuten vom Haus entfernt. Mr. Crale war zum Mittagessen nicht ins Haus gegangen, da er in der Mittagszeit gewisse Lichteffekte ausnutzen wollte. Er war daher allein in der Schanze geblieben, was, wie bereits gesagt wurde, nicht ungewöhnlich war. Mr. Crale legte wenig Wert auf regelmäßige Mahlzeiten, oft genügte ihm ein Sandwich. Am liebsten blieb er völlig ungestört. Die Personen, die ihn zuletzt lebend gesehen hatten, waren Miss Elsa Greer - Gast im Hause -und Mr. Meredith Blake, ein Nachbar. Die beiden waren zusammen zum Haus gegangen und hatten mit den anderen Hausbewohnern das Mittagsmahl eingenommen. Danach wurde auf der Terrasse Kaffee serviert. Nachdem Mrs. Crale ihren Kaffee getrunken hatte, erklärte sie, sie wolle zur Schanze gehen und nachsehen, wie Amyas' Arbeit voranginge. Miss Cecilia Williams, die Gouvernante, begleitete sie, da sie einen Pullover ihrer Schülerin, Miss Angela Warren, der Schwester von Mrs. Crale, suchen wollte, den das junge Mädchen wahrscheinlich am Strande hatte liegenlassen. Die beiden Damen begaben sich zusammen zur Schanze, und während Miss Williams den Pfad, der zum Strand führt, hinunterging, betrat Mrs. Crale die Schanze. Miss Williams hörte nach einigen Sekunden einen Schrei des Entsetzens und eilte zurück. Mr. Crale lag tot auf einer Bank.