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Ja, was eigentlich? Er wußte es nicht, und noch bevor er sein vages Mißtrauen in einen Gedanken oder gar eine Frage kleiden konnte, wandte Anschi sich endgültig um und verließ den Raum. Skar folgte ihr über den Eisenkorridor bis zu einer weiteren, gleichförmigen Tür, hinter der sich ein überraschend heller Raum befand. Kiinas Zimmer, das drei Fenster hatte wie sein eigenes. Draußen über dem Hof schien die Sonne; noch oder schon wieder. Entweder, er war nur wenige Augenblicke bewußtlos gewesen, oder die ganze Nacht, dachte er erschrocken. Vielleicht mehr als nur eine Nacht.

Kiina schlief, wie Anschi behauptet hatte, aber sie lag nicht im Bett, sondern saß in einem hochlehnigen, geschnitzten Stuhl direkt vor dem größten der drei Fenster, so daß der Sonnenschein direkt auf ihr Gesicht fiel und Skar für einige Sekunden Gelegenheit bekam, sie in aller Ruhe zu betrachten. Ihre Züge waren entspannt und wirkten sehr friedlich. Sie sah noch immer ein wenig krank aus, aber wirklich nur noch ein wenig - ihre Haut war blaß, und unter den Augen und auf den Wangen lagen angedeutete Schatten, die ihr etwas sonderbar Verwundbares und gleichzeitig Reizvolles gaben. Wie fast immer in letzter Zeit, wenn Skar sie ansah, überkam ihn ein rasches, heftiges Gefühl von Zuneigung, eine Wärme und Verbundenheit, die ein bißchen wie Liebe war, aber von einer Art, wie er sie nie zuvor kennengelernt hatte. Eine Zärtlichkeit völlig neuer, ihn selbst verwirrender Weise. Das schlafende Mädchen hatte etwas an sich, das es schutzbedürftig machte. Skar verspürte plötzlich den Wunsch, die Hand auszustrecken und Kiinas Wange zu streicheln. Er war zornig auf sie gewesen, weil sie ihm die Verantwortung für ihr Leben aufgebürdet hatte, ohne ihn zu fragen, ob er das überhaupt wollte, aber jetzt begriff er, wie lächerlich er sich verhalten hatte. Sie verlangte nicht nur, sie gab auch. So schwer es sein mochte, für das Leben eines anderen zu bürgen, so wichtig war es auch, denn es gab dem eigenen Leben einen Sinn.

Anschi zerstörte den Zauber des Augenblicks, indem sie neben Kiina trat und sie unsanft an der Schulter rüttelte, bis sie die Augen aufschlug. Das Mädchen blinzelte, hob verwirrt die Hand ans Gesicht und sah erst die Errish, dann Skar an. Für eine halbe Sekunde blieb ihr Blick leer, dann erkannte sie Skar und lächelte. »Wie fühlst du dich?« fragte er leise.

»Gut«, antwortete Kiina automatisch. »Müde. Was ist... wo -« Sie stockte, als ihre Erinnerungen schlagartig zurückkehrten, blickte Anschi mit neuem Schrecken an und stand mit einem Ruck auf.

Um aus der gleichen Bewegung heraus in Anschis Arme zu stürzen, die gedankenschnell vortrat und sie auffing. Skar war ihr sogar näher, aber Anschi schien die Bewegung vorausgeahnt zu haben.

Eine halbe Sekunde lang blieb Kiina reglos und zitternd stehen, wie ein Kind an die Brust des kaum älteren Mädchens gepreßt. Dann riß sie sich los, wich mit einem Schritt an Skars Seite zurück und funkelte Anschi zornig an.

»Faß mich nicht an!« sagte sie. »Rühr mich nie wieder an, du verdammte Hexe!«

»Wie du willst.« Die Errish zuckte scheinbar gleichmütig mit den Schultern. »Das nächste Mal lasse ich dich fallen - einverstanden?«

»Du -«

»Kiina!« Skar ergriff das Mädchen bei den Schultern und drehte es mit sanfter Gewalt herum, allein um den Blickkontakt zwischen ihr und der Errish zu unterbrechen. Ihre Zeit war zu kostbar, um sie mit etwas so Sinnlosem wie einem Streit zwischen Anschi und ihr zu vergeuden. »Sie kann nichts dafür«, sagte er sanft, aber so eindringlich, wie er konnte, ohne theatralisch zu werden.

»Bist du da so sicher?« fragte Anschi.

Skar sah sie über Kiinas Schulter hinweg scharf an. Aber er schluckte die ärgerliche Bemerkung herunter, die ihm auf der Zunge lag. »Würdest du uns einen Moment allein lassen?« bat er. »Nein«, sagte Anschi freundlich.

Kiina sog hörbar die Luft ein, und auch Skar verspürte erneut Zorn, den er diesmal kaum noch zu beherrschen vermochte. »Wir werden sie jetzt wieder allein lassen«, fuhr Anschi mit einer Kopfbewegung auf Kiina fort. »Sie braucht Ruhe, Skar.« Mit einem gezwungenen Lächeln wandte sie sich an Kiina. »Du wirst sehen, Kleines: wenn du erst einmal vierundzwanzig Stunden geschlafen hast, sieht alles ganz anders aus.«

»Ich glaube, ich habe eine Woche geschlafen«, murmelte Kiina. »Nicht ganz«, antwortete Anschi. »Und es war auch kein Schlaf. Du warst...« Sie zögerte, suchte nach Worten und zuckte mit den Schultern. »Du warst beinahe tot«, sagte sie schließlich. »Eine interessante Erfahrung, wie ich vermute. Irgendwann mußt du mir davon erzählen.«

Zu Skars Überraschung blieb Kiina ganz ruhig. Nur die Wahl ihrer Worte paßte nicht zu dem Ton, in dem sie sprach. »Sicher. Ganz kurz, bevor ich dich umbringe, du Miststück.«

Anschi lachte, ging aber nicht weiter auf das Geplänkel ein, sondern wiederholte ihre auffordernde Geste, sich wieder zu setzen. Und Skar gab ihr sogar recht. Kiina war verwirrt. Auch zornig, aber vor allem verwirrt. Anders als Skar hatte sie von den Ereignissen der letzten Tage ja nichts mitbekommen. Es mußte ihr schwerfallen, sich in dieser völlig fremden Umgebung zurechtzufinden. Und sie war noch sehr schwach. Selbst durch den Stoff ihres Kleides hindurch konnte Skar spüren, wie sie zitterte. Ihr Pulsschlag ging sehr schnell.

Aber er hielt sie noch einmal zurück, als sie sich setzen wollte. Sein Blick suchte den ihren, forschte nach etwas Fremdem darin, jenem Ausdruck leichter Benommenheit, den er in Anschis Augen gesehen hatte. Er fand nichts. Wenn sie etwas mit Kiinas Geist gemacht hatten, dann etwas, was er nicht zu erkennen vermochte.

»Anschi hat recht«, sagte er bedauernd. »Ruh dich aus. Wir haben später Zeit genug, miteinander zu reden.« Er bugsierte Kiina mit sanfter Gewalt auf ihren Sitz zurück und richtete sich wieder auf. Das Mädchen erschlaffte, als ginge von dem Stuhl eine betäubende Wirkung aus, aber die Furcht wich nicht aus ihrem Blick.

»Was ist mit uns passiert, Skar?« fragte sie. »Wo sind wir hier?«

»Später«, sagte Anschi, ehe er selbst Gelegenheit fand, zu antworten. »Wir hätten gar nicht herkommen sollen«, fügte sie, an Skar gewandt, hinzu. »Du siehst doch, wie schwach sie noch ist.« Sie ergriff ihn einfach beim Arm, schubste ihn zum Ausgang und wartete ungeduldig, bis er den Raum verlassen hatte. Skar warf noch einen Blick über die Schulter zurück, kurz bevor die Tür sich schloß. Kiina schien bereits wieder eingeschlafen zu sein. »Bist du jetzt zufrieden?« fragte Anschi ärgerlich, als sie wieder in dem Zimmer waren, in dem er erwacht war. »Du hast gesehen, daß wir nichts mit ihr getan haben. Außer der Kleinigkeit, ihr Leben zu retten, heißt das.«

Nein, Skar war ganz und gar nicht zufrieden. Im Gegenteil. Kiinas Anblick hätte ihn erleichtern sollen, aber er tat es nicht, sondern schürte seine Beunruhigung eher. Daß Ennart scheinbar ehrlich zu ihm war, machte alles nur noch schlimmer. Ein Gegner, der es nicht einmal mehr nötig hatte, zu lügen, war eine erschreckende Vorstellung.

»Was ist gestern passiert?« fragte er.

»Nichts«, antwortete Anschi, eine Spur zu schnell und ohne ihn anzusehen. »Ein unbedeutender Zwischenfall. Er wird sich nicht wiederholen. Die Quorrl sind nicht mehr da.«

»Ist das ein anderes Wort für tot, oder heißt es -«

»Es heißt, nicht mehr hier«, unterbrach ihn Anschi gereizt. »Wir haben deinen schuppigen Freunden nichts getan, wenn es das ist, was dich beunruhigt.«