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Zögernd bewegte er sich weiter, wobei er es fast krampfhaft vermied, den Altar anzusehen. Statt dessen tastete sein Blick abermals über die Wände, und er sah jetzt, daß das, was er für unbearbeiteten Stein gehalten hatte, das genaue Gegenteil war: In den Basalt waren Bilder und Schriftzeichen eingemeißelt, Hieroglyphen einer vergessenen Sprache und Szenen aus einer vergangenen Welt, die einen so unverständlich und sinnlos wie die anderen erschreckend und fremd. Er sah... Dinge, die Lebewesen sein konnten oder auch nicht, Landschaften, die Gebirge darstellen mochten oder unvorstellbare Kreaturen, Linien, die auf unmögliche Weise gekrümmt und gewunden waren, Schriftzeichen, die sich zu bewegen schienen, wenn er nur lange genug hinsah, Bilder, die ihn mit lähmendem Schrecken erfüllten, obgleich er nicht einmal zu sagen vermochte, was sie darstellten. Zeichen, deren bloßes Betrachten ihn mit Unbehagen erfüllte, Bilder, die seinen Augen weh taten ...

Skar begann zu zittern. Sein Herz jagte. Kalter Schweiß bedeckte seine Handflächen und begann sein Gesicht hinunterzulaufen. Jeder Schritt fiel ihm schwerer als der vorhergehende, und gleichzeitig war es ihm unmöglich, stehenzubleiben, jeder Blick, den er auf die fürchterlichen Steinreliefs warf, war peinigender als der vorherige, und gleichzeitig war er gebannt von der morbiden Faszination der Bilder.

Die Alten ... Ennart wußte es nicht, weil irgend etwas verhinderte, daß er die Wahrheit erkannte, so wie er dafür sorgte, daß es Skar unmöglich war, seine Pläne wirklich zu durchschauen, aber das hier waren sie. Dies hier waren ihre wirklichen Bilder. Sie waren die wirklichen Herren dieser Welt gewesen, lange, bevor die Ssirhaa kamen, und nach ihnen die Sternengeborenen. Sie waren immer dagewesen, und sie würden immer da sein, denn sie waren so unsterblich wie die Zeit. Sie existierten noch, irgendwo, vielleicht in den Abgründen einer anderen Dimension gefangen, vielleicht außerhalb der Wirklichkeit, in einer Welt, von der diese entsetzlichen Bilder und Schriftzeichen nur Schatten einzufangen vermochten. Und es war nicht das erste Mal, daß Skar auf Zeugen ihrer vergangenen Macht traf. Er hatte diese entsetzliche, gedankenverdrehende Architektur schon einmal gesehen, in den Katakomben unter Urcôun, der Ruinenstadt im Herzen der Nonakesh, und dann später noch einmal, in den Höhlen tief unter Elay. Aber das waren Ruinen gewesen. Dies hier... lebte. Existierte auf eine furchtbare Weise, die mit Leben vielleicht nicht einmal etwas zu tun hatte, aber sie waren auch nicht tot, sondern etwas dazwischen, eine dritte Form von Sein oder Nichtsein, die seinem menschlichen Begreifen verschlossen bleiben mußte.

Verstört und bis auf den Grund seiner Seele erschüttert blickte er zu Ennart zurück. Ennart sagte irgend etwas, aber dieser unheimliche Ort verschluckte seine Worte; Skar deutete nur die begleitende Geste. Die Haut des Ssirhaa war silbern geworden, und sein Gewand wirkte mit einem Male grau. Erschrocken sah Skar zu Anschi hinüber und stellte fest, daß auch sie sich verändert hatte, ehe er an sich selbst hinabblickte und die gleiche, beunruhigende Feststellung machte: Es gab keine Farben in diesem Raum, nur Schwarz und Weiß und alle nur denkbaren Abstufungen dazwischen.

Und das pulsierende Purpurrot des Altars.

Gegen seinen Willen suchte sein Blick den metallenen Zylinder. Er war ihm jetzt nahe genug, um zu erkennen, daß er hohl war. Hohl, aber nicht leer. Das düstere Purpur erfüllte ihn wie pulsierendes flüssiges Licht, und auf seinem Grund lag etwas, was auf den ersten Blick wie ein gewaltiger blutroter Edelstein aussah, seine Form aber unablässig zu verändern schien, so daß es Skar unmöglich war, es wirklich zu erkennen.

Es war keine Maschine, aber es war auch nichts Lebendes, sondern irgend etwas dazwischen, ein dreifach faustgroßer Ball aus Kristall oder Licht oder beidem, in dem Bewegung war, ein Huschen wie von einem kleinen mißgestalteten Körper, der seine Form ebenso unablässig veränderte wie der Kristall. An der Bewegung war etwas Drängendes, Forderndes. Skar mußte plötzlich an ein Ei denken, das Ei eines Drachen, in dem eine unbeschreibliche Brut darauf wartete hervorzubrechen. Es war ihm unmöglich, den Blutkristall länger zu betrachten. Sein Anblick begann ihm körperlichen Schmerz zu bereiten.

»Spürst du es?« fragte Ennart. Seine Worte streiften Skar nur; er erriet sie mehr, als er sie verstand. »Seine Macht. Die ungeheure Kraft, die er birgt?« Er kam näher, blieb aber nach ein paar Schritten abrupt wieder stehen, als hindere ihn eine unsichtbare Macht daran, weiter zu gehen.

»Die Macht unserer Vorfahren«, fuhr er fort. »Es ist die Kraft der Schöpfung selbst, Skar. Nichts wird uns mehr aufhalten, wenn wir erst gelernt haben, sie wirklich zu nutzen. Wir werden eine neue Welt errichten, mit der Macht von Göttern!«

»Du bist... wahnsinnig«, flüsterte Skar. »Du wirst die Welt zerstören, wenn du das hier auch nur anrührst!«

»Vielleicht«, antwortete Ennart. »Aber wir werden sie neu und hundertmal besser aufbauen! Hilf uns! Hilf uns, Skar, diese Kraft zu verstehen, und wir werden eine Welt erschaffen, in der unsere beiden Völker überleben können! Hilf uns!«

Und plötzlich war die gleiche Stimme auch in ihm, dasselbe, suggestive Flüstern. Hilf uns. Hilf uns, Satai! Du hast die Macht dazu! Du bist der einzige, der es kann! Du kannst alles beenden. Den Krieg. Den Haß. Sogar den Tod!

Er wußte nicht, ob es Ennart war, der seine Gedanken zu beeinflussen versuchte, oder die Stimme dieses Dings, aber er spürte, wie sein Widerstand schmolz. Die Versuchung war groß. Unbeschreiblich groß. Er konnte es tun. Er hatte die Macht dazu. Er konnte ein Gott sein, wenn er wollte. Nein, nicht ein Gott. Er konnte Gott sein, Herrscher über Leben und Tod, Herr einer ganzen Welt, vielleicht des Universums. Und er konnte diese Macht nutzen, nicht um Böses zu tun, nicht um zu herrschen und zu erobern, sondern um alles Leid zu besiegen, den Krieg, den Hunger und die Krankheiten, die Kälte und den Zorn, den Tod und das Alter, den...

Hinter Anschi bewegte sich ein Schatten, und Skar erstarrte. Der Umriß des riesigen steinernen Daij-Djan schien zu flackern, wie das Bild einer Laterna magica, vor deren Lichtquelle eine Motte flatterte, teilte sich, verschmolz wieder zu einer Einheit, teilte sich erneut - und dann gab es zwei, die riesige, steinerne Statue, und das Geschöpf, nach derem Vorbild sie erschaffen worden war, der Daij-Djan selbst, sein Dunkler Bruder, der zurückgekehrt war und mit einem lautlosen Schritt von seinem Sockel heruntertrat, wie ein Körper, der sich aus seinem eigenen Schatten löste. Lautlos, unsichtbar für Anschi und den Ssirhaa, trat er hinter Ennart, starrte Skar aus seinem schrecklichen Nicht-Gesicht heraus an und hob den Arm, die Klaue zu dem einzigen Zweck gekrümmt, zu dem sie geschaffen war.

Soll ich ihn für dich töten, Bruder? wisperte seine Stimme in Skars Gedanken; leise, fast verloren unter dem Flüstern des Versuchers, und doch auf sanfte Weise ebenso mächtig wie sie, vielleicht mächtiger, denn sie war ein Teil von Skar selbst. Es ist nicht schade um ihn. Er ist ein Narr, der nicht einmal ahnt, mit welchen Mächten er sich eingelassen hat. Und er ist nicht der, der zu sein er vorgibt.

Ich weiß, antwortete Skar, auf die gleiche, lautlose Art, die selbst Ennart verborgen blieb.

Soll ich es tun? Du kannst seinen Platz einnehmen. Du kannst alles beenden. Hier und jetzt.

Ja, das konnte er. Aber zugleich wußte er, was geschehen würde, wenn er es zuließ. Enwor würde untergehen, wenn er den Tod an diesen Ort brachte.