»Ihr... ihr wollt Enwor gar nicht erobern«, stöhnte Skar.
»Das wolltet ihr niemals. Ihr... ihr wollt es zerstören. Ihr wollt unsere Welt nicht. Ihr wollt eure eigene bauen. Aber dazu muß die alte erst vernichtet werden. Erst unsere, und dann eure.« Die beiden letzten Worte galten nicht mehr Ennart, sondern Titch, der neben den Ssirhaa getreten war und abwechselnd ihn und Skar voller fassungslosem Entsetzen anstarrte.
»Was dir und deinen Brüdern gestern geschehen ist, ist dasselbe, was sie uns antun, Titch«, fuhr er fort. Er machte eine weit ausholende, zornige Handbewegung. Seine Stimme wurde beschwörend. »Es ist dieser Turm. Der Haß, der unsere Gedanken vergiftet und uns dazu zwingt, diesen Krieg zu führen. Begreif doch, Titch! Sie werden nicht aufhören zu kämpfen, egal ob Del siegt oder nicht! Sie werden sich gegenseitig umbringen, bis keiner mehr da ist, gegen den sie kämpfen können.«
»Und wenn es so wäre?« fragte Ennart.
»Und danach sind die Quorrl an der Reihe«, fuhr Skar fort, noch immer an Titch gewandt. Er wußte, daß der Quorrl die Wahrheit schon längst erkannt hatte. Sie war der Grund des namenlosen Entsetzens, das Skar in seinem Blick gelesen hatte, vorhin, aber auch gestern, als Titch ihn um ein Haar getötet hätte. »Erst uns, und dann euch, Titch. Sie müssen uns nicht einmal töten. Sie brauchen nur zuzusehen, wie wir es selbst tun!« Er konnte regelrecht sehen, wie sich etwas in dem Quorrl krümmte. Titchs Lippen zitterten, aber er brachte keinen Ton hervor, sondern starrte nur abwechselnd Skar und den Ssirhaa an. Es war nicht nur ein Verrat. Ennart war nicht nur Titchs Herr. Er war sein Gott.
Ein Gott, der zur Erde herabgestiegen war, um seine eigenen Kinder zu vernichten.
Titch stöhnte. »Ist das ... ist das wahr, Herr?«
»Es ist zumindest ein interessanter Gedanke, über den nachzudenken sich lohnt«, antwortete Ennart kalt. Lächelnd wandte er sich wieder an Skar. »Und wer weiß - vielleicht stimmt es sogar. Aber selbst wenn... was willst du dagegen tun?«
»Töte ihn, Titch!« sagte Skar.
Titch stöhnte wie unter Schmerzen. Seine Hände zuckten, wurden zu Klauen. Die beiden Zauberpriester hinter Ennart hoben ihre Waffe und wichen hastig ein Stück von dem Quorrl zurück, und auch Skar spannte sich.
Nur Ennart bewegte sich nicht. Reglos und mit einem milden Lächeln stand er da, so völlig von seiner Macht überzeugt, daß er Titch nicht einmal ansah.
Der Quorrl stöhnte erneut. Seine Hände hoben sich, streckten sich nach Ennarts Hals aus, verharrten für die Dauer von drei, vier endlosen Herzschlägen dicht vor seiner Kehle und sanken wieder herab. Mit einem erstickten Keuchen taumelte der Quorrl zurück, prallte gegen die Wand und sank wimmernd in die Knie. »War es das, was du wissen wolltest?« fragte Ennart ruhig. »Du wolltest meine Macht testen. Du hast es getan. Ich bin froh, daß ich nicht der einzige bin, der seinen Gegner unterschätzt hat, Satai.« Er streckte den Arm aus, ergriff Skars unverletzte rechte Hand und drückte so fest zu, daß Skar vor Schmerz aufstöhnte. »Aber jetzt ist es endgültig genug, kleiner Mann!« fuhr er fort, mit einer Stimme, die wie aus Eis war. »Du hast erfahren, was du wissen wolltest; du brauchst dir also nicht vorzuwerfen, daß du es nicht wenigstens versucht hast. Und nun wirst du tun, was ich von dir verlangt habe, oder das Mädchen stirbt.«
»Niemals!« Skar keuchte vor Schmerz. Wenn Ennart noch um eine Winzigkeit fester zudrückte, würde er ihm die Hand brechen. »Titch!« stöhnte er. »Er ist kein Gott! Er ist nichts als ein böser alter Mann, der -« Er schrie vor Schmerz auf und fiel auf die Knie, als Ennart seine Hand unbarmherzig zusammenpreßte. Seine Berührung war kalt wie Eis, und etwas war falsch daran. Aber der Schmerz war einfach zu schlimm, als daß er den Gedanken zu Ende verfolgen konnte.
»Wie du willst.« Ennart ließ seine Hand los und versetzte ihm einen Stoß, der ihn vollends zu Boden schleuderte. »Titch!« Der Quorrl hob den Blick. Seine Augen waren verschleiert, und seine Lippen und Hände zitterten noch immer. Aber nach einer Sekunde erhob er sich gehorsam und trat mit demütig gesenktem Haupt auf den Ssirhaa zu.
»Geh zu dem Mädchen«, befahl Ennart. »Und nimm deinen Freund mit. Er soll zusehen, wie sie leidet. Vielleicht hilft ihm das, seine Meinung zu ändern.«
»Herr...«, begann Titch. »Ihr -«
»Hast du, verstanden?« herrschte ihn Ennart an. Titch krümmte sich wie unter einem Hieb und widersprach nicht noch einmal. Aber als er sich zu Skar umdrehen und ihn am Arm ergreifen wollte, hielt Ennart ihn mit einer raschen Bewegung zurück. »Das ist deine letzte Chance, Satai«, sagte er. »Ich weiß, wieviel dir an dem Mädchen liegt. Willst du wirklich, daß sie vor deinen Augen gefoltert wird?«
»Was versprichst du dir davon, Ennart?« fragte Skar. »Willst du mir nur deine Macht beweisen, oder glaubst du wirklich, du könntest mich zwingen? Wer sagt dir, daß ich die Kräfte dieses Ortes nicht entfessele, um dich zu vernichten?«
»Das kannst du nicht«, antwortete der Ssirhaa. »Auch du bist nichts als ein Werkzeug, Satai. Ein unwilliges Werkzeug, aber trotzdem nicht mehr.«
»Wie die Quorrl.«
»Wie die Quorrl«, bestätigte Ennart.
Es war sein Todesurteil.
Titch bewegte sich so schnell, daß nicht einmal Skar wirklich sah, was er tat, obwohl er es den Bruchteil einer Sekunde vorher in seinen Augen las.
Der Quorrl stieß einen gellenden Schrei aus, versetzte Ennart einen Stoß, der ihn quer durch den Raum und gegen die Wand taumeln ließ und wirbelte herum, ein verschwommener Schatten aus blitzendem Gold und grüngrauen Schuppen, dessen Bewegungen einzeln nicht mehr wahrzunehmen waren, sondern zu einem einzigen, rasend schnellen Huschen wurden, mit dem er die beiden Zauberpriester ansprang. Einer der Männer war tot, ehe er überhaupt begriff, was geschah: Titchs Faust traf seinen Schädel mit entsetzlicher Wucht und zerschmetterte ihn. Der andere versuchte seine Waffe in die Höhe zu reißen, aber auch seine Reaktion war viel zu langsam. Der Quorrl packte ihn, brach seinen Arm, so daß er die Waffe fallen ließ, riß ihn wie ein Kind in die Höhe und brach ihm das Genick. Der ganze Kampf war so schnell vorüber, daß die beiden Männer tot am Boden lagen, noch bevor Ennart sich wieder aufgerichtet und von seiner Überraschung erholt hatte.
Skar bückte sich hastig nach dem Schläfer, den einer der Zauberpriester fallen gelassen hatte, und richtete die Waffe auf den Ssirhaa. Ennarts Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse aus Haß und Wut, aber er erstarrte mitten im Schritt; vielleicht war er gegen die Wirkung der Zauberwaffen doch nicht ganz so gefeit, wie er Skar vor Tagen draußen in der Wüste hatte glauben machen wollen.
Auch Titch beugte sich herab, um die zweite Waffe aufzuheben. Aber er behielt sie nur einen Moment in der Hand, ehe er sie mit einer angewiderten Geste von sich schleuderte und sich zu dem Ssirhaa umwandte. Seine Miene war starr; das ausdruckslose Raubtiergesicht eines Quorrl, der seinen Feund musterte. »Das nutzt euch nichts, ihr Narren«, sagte Ennart abfällig. Mit einer betont langsamen Bewegung richtete er sich zu seiner vollen Größe von mehr als acht Fuß auf, löste die Spange seines Umhanges und ließ das Kleidungsstück achtlos von den Schultern gleiten. Darunter trug er nichts als schuppige Haut von der Farbe geschmolzenen Goldes. Langsam stand er auf und breitete die Arme aus. Unter seiner geschuppten Goldhaut spannten sich Muskeln wie dicke, knotige Stricke. Seine Augen blitzten kampflustig.
»Du willst kämpfen, Satai?« fragte er. »Dann komm!«
Skar hob drohend die Waffe, wich um die gleiche Distanz zurück, um die Ennart sich ihm genähert hatte, und versuchte umständlich, den linken Arm aus der Schlinge zu nehmen. Ennart beobachtete ihn aufmerksam, machte aber keinen Versuch, den Moment für einen überraschenden Angriff zu nutzen. Er war sich seiner Überlegenheit hundertprozentig bewußt.