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Skar sah fast ängstlich zur Tür. Titch war nur wenige Augenblicke bewußtlos gewesen, aber jede Sekunde war unendlich kostbar. Bisher schien niemand gemerkt zu haben, was geschehen war, aber irgendwann würde Ian oder einer seiner Brüder zurückkehren. Wenn sie überhaupt eine Chance hatten, diesen Turm lebendig zu verlassen, dann nur, solange niemand von Ennarts Tod und ihrer Flucht wußte.

»Sie sind nicht unsere Götter«, stammelte Titch.

»Ich fürchte, wir werden niemals Gelegenheit haben, das herauszufinden, wenn wir noch lange hier herumstehen«, antwortete Skar nervös. Er sah den Quorrl abschätzend an, kam zu dem Ergebnis, daß Titch im Moment wohl eher eine Gefahr als eine Hilfe darstellte, und wandte sich mit einer entschlossenen Bewegung zur Tür.

»Du wartest hier auf mich«, sagte er. »Ich hole Kiina.«

»Warte, Satai.« Titch streckte die Hand nach ihm aus. Trotz seiner ungeheuren Größe und Kraft wirkte die Bewegung hilflos, flehend. Skar blieb stehen. In Titchs Blick rangen noch immer Wahnsinn und Schmerz miteinander, aber er war trotzdem klarer als noch vor Augenblicken. »Du ... du hast keine Chance, allein«, sagte er. »Sie werden dich töten.« Er ließ den Arm sinken, richtete sich vollends auf und fuhr sich mit dem Handrücken durch das Gesicht. An seinen Fingern klebte Blut, als er die Hand wieder senkte, und er humpelte sichtbar. Aber Titch war schon in erbärmlicher Verfassung gewesen, als sie ihn hergebracht hatten. Vielleicht würde sein Zustand zumindest einem flüchtigen Beobachter nicht sofort auffallen.

»Weißt du, wo das Mädchen ist?«

Skar nickte, und Titch machte eine auffordernde Handbewegung zur Tür. Dicht hintereinander traten sie auf den still daliegenden Gang hinaus, wobei Titch eine seiner riesigen Pranken schwer auf Skars Schultern legte und ihn mehr vor sich herschob, als er ihn führte. Wer immer ihnen zufällig begegnen mochte, mußte ihn für einen Gefangenen Titchs halten. Skar bewunderte insgeheim die Umsicht und Kaltblütigkeit des Quorrl, doch ihm wurde auch fast im gleichen Augenblick klar, daß es in Wahrheit das genaue Gegenteil war: Titch mußte Höllenqualen erleiden. Seine Ruhe war in Wirklichkeit nichts als ein verzweifelter Versuch, sich an Äußerlichkeiten zu klammern, zu tun, statt zu denken.

Sie erreichten Kiinas Zimmer, ohne einem anderen Menschen zu begegnen. Der Turm schien ausgestorben zu sein. Die unheimliche Stille, die hier oben herrschte, erschien Skar doppelt bedrohlich und furchteinflößend. Und ein kleines bißchen alarmierte sie ihn auch. Er konnte sich nicht vorstellen, daß niemand Ennarts Tod bemerkt haben sollte. Der Ssirhaa war viel mehr als nur der Beherrscher dieses Turms gewesen. Sie hatten nicht sehr viel Zeit.

Auch die Tür von Kiinas Zimmer teilte sich vor ihnen und glitt wie von Geisterhand bewegt auf, als sie sich ihr näherten. Der dahinterliegende Raum war von hellem Sonnenlicht durchflutet, das Skar im ersten Augenblick blendete. Er erkannte nur Schatten, von denen zwei übergroß und fast mißgestaltet wirkten: Ian und der zweite Zauberpriester. Er blinzelte, hob instinktiv die Hand über die Augen und stolperte mit einem ungeschickten Schritt durch die Tür, als Titch ihm einen Stoß versetzte. Obwohl sich seine Augen noch immer nicht völlig auf das ungewohnte Licht eingestellt hatten, erkannte er, daß sich außer den beiden Zauberpriestern nur Anschi und Kiina im Zimmer aufhielten.

Es ging alles unglaublich schnell; und beinahe zu leicht. Skar erkannte Ian in einem der unförmigen Schatten, taumelte in einem perfekt geschauspielertem Stolpern auf ihn zu und griff scheinbar blindlings um sich, wie um sein Gleichgewicht wiederzufinden, Ian schien im letzten Augenblick etwas zu spüren, denn aus dem Haß auf seinem Gesicht wurde Schrecken, und er versuchte sogar noch, die Waffe zu heben. Aber seine Bewegung war viel zu langsam. Skar packte sein Gelenk, verdrehte es mit einem einzigen kraftvollen Ruck und schlug dem Zauberpriester die Handkante gegen den Adamsapfel, als er die Waffe fallen ließ. Hinter ihm erscholl ein gurgelnder, abgehackter Schrei, als Titch sich auf den zweiten Zauberpriester warf und ihn blitzschnell ausschaltete. Die beiden Männer lagen reglos am Boden, noch ehe sich die Tür mit einem leisen Zischen hinter Titch wieder schloß.

Skar fuhr herum und blieb mitten in der Bewegung stehen, als er sah, daß Anschi zum Fenster zurückgewichen war und ihr Schwert gezogen hatte. Ein leises Gefühl von Verärgerung machte sich in ihm breit. Es war seine eigene Waffe, die die Errish trug. Sein Tschekal. Er trat einen weiteren Schritt auf Anschi zu und streckte fordernd die Hand aus. Die Errish packte den Schwertgriff mit beiden Händen, spreizte die Beine und hob die Waffe ein wenig höher. Ihr Gesicht verriet keine Angst, nur Konzentration.

»Versuch es nicht«, sagte Skar.

Anschi fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und versuchte zur Seite auszuweichen und gleichzeitig Skar und Titch im Auge zu behalten. Ihre Finger spielten nervös am Griff des Tschekal. Sie hielt die Waffe mit aller Kraft, erkannte Skar. Ihre Armmuskeln waren bis zum Zerreißen angespannt, was sie im Ernstfall den Sieg kosten würde. Das Satai-Schwert war viel zu leicht, um es wie einen zentnerschweren Bihänder zu führen. Aber er hatte nicht vor, mit Anschi zu kämpfen.

»Tu es nicht«, sagte er noch einmal. »Selbst wenn du einen von uns besiegen würdest, würde der andere dich töten.« Er machte einen weiteren Schritt auf die Errish zu und blieb wieder stehen. Abermals streckte er fordernd die Hand aus.

Anschis Bewegungen wurden fahriger. Sie machte einen Schritt nach links, blieb wieder stehen, als Titch sich hinter Skar in die gleiche Richtung bewegte und ihr den Weg abschnitt, und sah sich mit kleinen, nervösen Gesten um. Dann senkte sie mit einem Ruck die Arme, warf Skar das Schwert vor die Füße und richtete sich auf.

»Warum sollte ich dir die Genugtuung bereiten, mich zu besiegen? Ihr kommt sowieso nicht weit, ihr Narren.«

Skar bückte sich nach seinem Tschekal, schob es in den Gürtel und wandte sich zu Kiina um. Das Mädchen hatte sich nicht gerührt, seit sie hereingekommen waren. Sie saß in dem Stuhl unter dem Fenster, in dem Skar sie auch das letzte Mal gesehen hatte, und in ihren Augen war die gleiche Leere wie am Morgen. Sie war wach, und ihr Blick folgte Skar, als er auf sie zutrat, aber es war nicht der Blick eines Menschen, der wirklich begriff, was um ihn herum vorging.

Skar beugte sich über sie, nahm ihr Gesicht in beide Hände und zwang sie, ihm direkt in die Augen zu sehen. Auf Kiinas Gesicht erschien ein mattes, teilnahmsloses Lächeln. »Skar?« fragte sie. »Du bist zurück?«

Wütend richtete sich Skar wieder auf und fuhr zu Anschi herum. »Was habt ihr mit ihr gemacht?« fragte er.

Anschi schürzte herausfordernd die Lippen. »Nichts«, sagte sie. »Sie ... schläft, das ist alles.«

»Dann weck sie auf. Sofort.«

»Tu es doch selbst, du großer Held!« sagte Anschi trotzig. »Du...«

Skar war mit einem einzigen Schritt bei ihr, riß sie herum und verdrehte ihren Arm. »Weck sie auf«, sagte er noch einmal, »oder ich breche dir den Arm!«

Anschi keuchte und schlug wild mit der freien Hand um sich, aber Skar ließ ihren Arm nicht los, sondern verstärkte im Gegenteil den Druck auf ihr Ellbogengelenk noch mehr, bis die Errish vor Schmerz stöhnte und ihren Widerstand aufgab. Skar versetzte ihr einen Stoß, der sie vor Kiinas Stuhl auf die Knie fallen ließ, und hob drohend die Hand. »Weck sie auf!«

Zwei, drei Sekunden lang blieb die Errish einfach reglos auf den Knien hocken und starrte haßerfüllt zu ihm hoch, dann erlosch ihr Widerstand. Sie stand umständlich auf, trat an ein kleines Tischchen neben dem Fenster und nahm eine silberne Ampulle von der Größe ihres Zeigefingers zur Hand. Sie öffnete sie, schwenkte das Röhrchen ein paarmal unter Kiinas Gesicht hin und her und verschraubte den Deckel sorgfältig wieder, als Kiina unruhig den Kopf zu bewegen begann.