Выбрать главу

»Ein Riechfläschchen?« fragte Skar überrascht.

»Was hast du erwartet?« Anschi machte ein abfälliges Geräusch. »Einen Zauberspruch?«

Skar schluckte die ärgerliche Antwort herunter, die ihm auf der Zunge lag, und beugte sich statt dessen abermals über Kiina. Die Augen des Mädchens waren noch immer verschleiert, aber ihr Blick begann sich zu klären. Und mit dem Erkennen kehrte die Angst in ihre Augen zurück.

»Skar«, murmelte sie verstört. »Was ist...«

»Nicht jetzt«, unterbrach sie Skar. »Wir müssen verschwinden, Kiina. Wir fliehen.«

»Fliehen?«

»Fliehen?« wiederholte auch Anschi überrascht. »Du mußt verrückt geworden sein, Satai. Du kommst nicht einmal aus diesem Zimmer heraus, geschweige denn aus dem Turm.« Skar beachtete sie nicht. Vorsichtig ergriff er Kiinas Hand, half ihr, sich aus dem Sessel zu erheben und überzeugte sich davon, daß sie aus eigener Kraft stehen konnte, ehe er sie losließ. Auf dem Boden regte sich Ian stöhnend. Titch knurrte drohend und machte einen Schritt in seine Richtung, aber Skar winkte rasch ab, kniete selbst neben dem Zauberpriester nieder und drehte ihn grob auf den Rücken. Ian versuchte instinktiv, seine Hände beiseite zu schlagen, aber seine Bewegungen waren schwach und ziellos. Er atmete keuchend und ungleichmäßig, und Skar begriff erschrocken, daß er ihn um ein Haar getötet hätte. Er hatte das nicht gewollt. Sie wollten fliehen, kein Blutbad anrichten. Und außerdem brauchten sie Ian.

»Sucht alles zusammen, was wir gebrauchen können«, sagte er, an Titch und Kiina gewandt. »Warme Kleider, Decken ... und vor allem Wasser. Beeilt euch.«

»Ihr seid ja wahnsinnig, ihr beiden«, sagte Anschi. »Ihr glaubt doch nicht wirklich, daß ihr hier herauskommt?!«

Skar ignorierte auch diesen Einwurf. Er beugte sich tiefer über Ian, zog ihn an der Schulter in die Höhe und schlug ihm leicht mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Zauberpriester stöhnte, versuchte abermals die Hände zu heben und öffnete die Augen. »Verstehst du mich?« fragte Skar.

Ian antwortete nicht, aber in den Schmerz auf seinem Gesicht mischte sich Haß. Er war wach, und er hatte ihn erkannt. »Hör mir gut zu«, sagte Skar. »Ich habe nicht viel Zeit, mit dir zu diskutieren, Ian. Du wirst uns jetzt sagen, wie wir hier herauskommen. Dafür lasse ich dich am Leben. Wenn nicht, stirbst du.«

Ian versuchte zu antworten, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst; über die Lippen des Zauberpriesters kam nur ein ersticktes Röcheln. Skar stand auf, zerrte Ian mit einer ungeduldigen Bewegung in die Höhe und warf ihn in den Stuhl, in dem Kiina gesessen hatte.

»Wenn du nicht reden kannst, dann wirst du uns führen«, sagte Skar. »Und falls du vorhast, uns in eine Falle zu locken, dann vergiß das lieber. Wahrscheinlich würde es dir sogar gelingen, aber ich verspreche dir, daß wir noch Zeit finden, dich umzubringen.«

»Dann... tu es... doch«, röchelte Ian. Er hustete qualvoll, krümmte sich wie unter Schmerzen und schlug beide Hände gegen den Leib. Skar riß seinen Arm zurück, ehe seine Finger einen der zahllosen Knöpfe und Schalter auf seinem Gürtel berühren konnten.

»Versuch das nicht noch einmal«, sagte er drohend.

Tatsächlich ließ sich Ian gegen die Lehne des Sessels fallen und legte gehorsam die Hände auf die Armstützen. Aber seine Augen funkelten trotzig, als er zu Skar hochsah. »Bring... mich doch ... um, du ... Narr!« keuchte er. »Du erfährst nichts von mir.«

»Überlaß ihn mir«, verlangte Titch. »Ich bringe ihn zum Reden.«

Ians Gesicht verzerrte sich vor Angst. Trotzdem, dachte Skar, würde er nicht reden. Er hatte Angst vor dem, was Titch ihm antun könnte, aber sein Haß auf den Quorrl und ihn, Skar, war größer als seine Furcht. Resignierend schüttete er den Kopf. »Nein. Er wird nicht reden. Und wir haben auch gar keine Zeit, ihn zu verhören. Fessele ihn. Aber gründlich.«

»Ich weiß nicht, wie ihr es geschafft habt, die Wachen zu übertölpeln«, sagte Ian haßerfüllt. »Aber Ennart wird euch vernichten!«

»Das dürfte ihm ziemlich schwerfallen«, antwortete Skar. »Er ist tot.«

»Tot?« Ian versuchte zu lachen, aber seine Gesichtszüge entgleisten. Seine Hände schlossen sich so fest um die Armlehnen, daß das Holz knirschte. »Das ist nicht wahr!«

»Glaube es oder laß es sein«, sagte Skar achselzuckend. Er trat zurück, um Titch Platz zu machen, der mit den Streifen eines in Fetzen gerissenen Bettlakens kam, um Ian an den Stuhl zu binden. Während er es tat, drehte sich Skar wieder zu Kiina und Anschi um, um die Errish im Auge zu behalten. Kiinas Gesicht spiegelte auch jetzt nichts weiter als Verwirrung, aber auf Anschis Zügen hatte sich der gleiche Ausdruck ungläubigen Entsetzens breitgemacht wie auf denen des Zauberpriesters.

»Tot?« flüsterte sie. »Ihr habt ihn... getötet? Aber das ist unmöglich!«

»Nichts ist unmöglich«, antwortete Skar. Er beobachtete Anschi scharf, während er sprach. Die Errish war so erschrocken wie Ian, aber in die Fassungslosigkeit in ihrem Blick mischte sich noch etwas ... Erleichterung? dachte Skar verwirrt.

Vielleicht. Etwas von ihr, ein kleiner, aber ungebrochener Teil der Errish, war noch immer sie selbst. Ian und seine Brüder hatten vielleicht ihren Willen gebrochen, aber es war ihnen nicht gelungen, sie ganz zu einer Puppe zu machen.

»Du wirst uns hier herausbringen«, sagte er.

»Das kann sie gar nicht«, sagte Ian hämisch. »So wenig wie ihr oder ich. Nur Ennart selbst kann das Tor öffnen.«

»Er... er sagt die Wahrheit, Skar«, sagte Anschi unsicher. »Es gibt nur ein einziges Tor, unten auf der Nordseite der Festung. Nachdem die Quorrl uns angegriffen hatten, ließ Ennart es schließen. Und nur er selbst wußte, wie es wieder zu öffnen war.« Skar spürte, daß sie die Wahrheit sprach. Sie war gar nicht in der Verfassung, überzeugend zu lügen.

»Eure Flucht ist zu Ende, ihr Narren«, sagte Ian triumphierend. »Und wenn ihr Ennart wirklich getötet habt, dann werdet ihr euch wünschen, niemals geboren zu sein, das schwöre ich euch.« Er lachte böse. »Einen famosen Fluchtplan habt ihr euch ausgedacht, wirklich.«

Titch versetzte ihm einen Schlag mit der flachen Hand, der ihn halb bewußtlos im Stuhl zusammensacken ließ. Skar runzelte mißbilligend die Stirn, sagte aber nichts. Er war schon froh, daß Titch den Zauberpriester nicht kurzerhand erschlagen hatte. Und er war der Verzweiflung nahe, auch wenn er sich alle Mühe gab, das Kiina und Titch gegenüber nicht erkennen zu lassen. Ian hatte recht gehabt. Sie hatten nicht nur einen schlechten Fluchtplan, sie hatten überhaupt keinen Plan. Alles war viel zu schnell gegangen, als daß er bisher Zeit gehabt hätte, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Was nutzte es ihnen, den Ssirhaa besiegt zu haben, wenn sie keine Möglichkeit fanden, aus diesem verdammten Turm zu entkommen? Seine Wände waren hundertfünfzig Fuß hoch und glatt wie poliertes Glas. Sie müßten schon fliegen können, um ...

»Die Daktylen«, sagte er aufgeregt. »Wo sind Sie, Anschi?« Die Errish schwieg verbissen. Skar trat drohend auf sie zu und hob die Hand. Anschi fuhr zusammen, als hätte er sie bereits geschlagen, und wich vorsichtshalber einen Schritt zurück. Ihr Blick glitt unstet zwischen Skar und Ian hin und her, und Skar konnte regelrecht sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Der suggestive Bann des Zauberpriesters war noch immer stark, aber sie hatte auch Angst. »Sie nutzen euch nichts«, sagte sie schließlich. »Die Startplattform wird bewacht. Niemand kann sie ohne Ennarts Erlaubnis betreten.«