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»Die haben wir«, sagte Skar ruhig. Er zog sein Tschekal eine Handspanne weit aus der Scheide, so daß Anschi den blitzenden Stahl sehen konnte. »Siehst du? Und wenn es deine Schwestern sind, die die Tiere bewachen, dann solltest du sie davon überzeugen, uns gehen zu lassen. Es sei denn, dir liegt nicht viel an ihrem Leben.«

»Selbst wenn ich es täte!« widersprach Anschi erregt. »Ihr könnt sie nicht fliegen.«

»Ich kann es«, sagte Kiina.

Skar sah sie zweifelnd an. Er wußte, daß Kiina zumindest einen Teil der geheimen Kräfte der Errish beherrschte. Sie hatte einen Drachen geritten, als sie zu ihrem Heer gestoßen war, und auch wenn ihre Fähigkeiten lange nicht an die Anschis heranreichen mochten, würden sie sicher ausreichen, einen so primitiven Intellekt wie den einer Daktyle zu lenken. Unter normalen Umständen.

Aber die Umstände waren nicht normal. Kiina war krank und am Ende ihrer Kräfte, und sie würden die Daktylen nicht einfach nur reiten müssen. Skar war nicht so naiv, sich einzubilden, daß man sie nicht verfolgen würde. Was ihnen bevorstand, war eine verzweifelte Jagd, bei der sie das Wild waren.

»Bist du sicher?« fragte er.

Kiina lächelte schwach. Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Und du?« Skar wandte sich mit einem fragenden Blick an Titch. »Kannst du eine Daktyle reiten?«

»Wenn sie mein Gewicht tragen kann.«

»Ein Tier für drei Reiter?« Anschi machte ein abfälliges Geräusch. »Selbst wenn dieses dumme Kind das Unmögliche schafft und eine Daktyle lenkt, wird sie unter eurem Gewicht einfach vom Himmel fallen.«

»Wieso ein Tier, Anschi?« fragte Skar. »Wir werden zu zweit sein. Du wirst die zweite Daktyle reiten. Zusammen mit Titch.« Anschi erbleichte noch ein bißchen mehr und starrte den Quorrl an.

Titch grinste. Und diesmal gab er sich sogar Mühe, wie ein Ungeheuer auszusehen.

8.

Etwas hatte sich verändert. Skar spürte es im gleichen Moment, in dem sie auf den Gang hinaustraten, ohne sagen zu können, worin diese Veränderung bestand. Der stählerne Korridor war so still und schwarz wie immer, das magische Schweigen des Turmes allumfassend, aber etwas ... war anders geworden. »Was machst du?« fragte Titch alarmiert, als er stehenblieb und sich umsah.

Skar antwortete nicht gleich. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, worin diese unheimliche Veränderung bestand, die er fühlte. Es war nichts, was plötzlich da war, sondern das genaue Gegenteiclass="underline" etwas fehlte. Etwas, von dem er vor einer Sekunde noch nicht einmal gewußt hatte, daß es existierte, und das er unmöglich in Worte fassen konnte. Es war, als spüre er erst jetzt, daß dieser Turm mehr als ein Gebäude gewesen war, daß er außer der zerfallenden Technik der Alten noch etwas viel Düstereres, Bedrohlicheres beherbergt hatte. Es war keine Gefahr, die er spürte, sondern fast so etwas wie Erleichterung.

Er sah die drei anderen der Reihe nach an. Titch und Kiina wirkten nur verwirrt, der Quorrl ein wenig alarmiert und vor allem müde, aber auf Anschis Zügen spiegelte sich die gleiche bange Furcht, die auch er spürte. Ihre Hände zitterten.

»Was ist los mit dir?« fragte Titch noch einmal.

»Nichts«, antwortete Skar ausweichend. »Es ist... nichts. Ich habe mich getäuscht.«

Titch runzelte zweifelnd die Stirn, und auch Kiina sah nicht besonders überzeugt aus. Trotzdem widersprach keiner von ihnen, als sie weitergingen. Nach ein paar Schritten blieb Titch wieder stehen und berührte eine scheinbar x-beliebige Stelle an der Wand. Das schwarze Metall teilte sich, und dahinter kam eine jener beweglichen Kammern zum Vorschein, die die Stelle von Treppen in diesem Alptraumturm einnahmen. Der Quorrl wandte sich mit einem fragenden Blick an Anschi.

»Nach... unten«, sagte Anschi zögernd. »Die Daktylen sind direkt unter uns. Nur ein Stockwerk.«

»Wie viele Wachen gibt es?«

»Woher soll ich das wissen?« fauchte Anschi. »Ich bin hier nicht gefangen, weißt du? Du und dein Quorrl-Freund habt doch -«

Es geschah völlig warnungslos, genau wie am Tag zuvor, und genau wie da war es kein wirkliches Beben, sondern etwas wie ein Erzittern in der Wirklichkeit selbst, etwas, das laut- und bewegungslos war und Skar und den anderen trotzdem ein Gefühl vermittelte, als würde der gesamte Turm wie unter einem Hammerschlag erzittern. Und gleichzeitig war es anders, vollkommen anders; hatte er gestern etwas wie ein verzweifeltes Ringen einander ebenbürtiger Kräfte verspürt, so war es jetzt wie eine lautlose Explosion auf rein geistiger Ebene, ein rasches, krampfhaftes Zucken in der Realität, als hätten sich zwei Welten berührt und jede einen Teil der anderen dabei zerstört, wie Feuer und Wasser, die aufeinandertrafen und sich zu kochendem Dampf vereinigten. Skar taumelte zurück, stürzte halbwegs durch die Tür, die Titch geöffnet hatte, und fand im letzten Augenblick am Rahmen Halt. Auch der Quorrl und Kiina wankten, während Anschi mit einem spitzen Schrei auf die Knie herabsank und das Gesicht zwischen den Händen verbarg.

Es ging unglaublich schnell; eine Sekunde, vielleicht zwei, und doch war es ein Augenblick, der kein Ende zu nehmen schien. Skar glaubte etwas wie einen Schrei in seinen Gedanken zu hören, den Schrei einer Stimme, die gleichzeitig befreit wie gequält klang. Er fand sein Gleichgewicht wieder und wollte zu den anderen gehen, aber er konnte es nicht. Seine Augen vermittelten ihm andere Eindrücke als sein Gleichgewichtssinn: er spürte, daß der Turm fest und unverrückbar wie seit Jahrtausenden dastand, aber was er sah, das war ein Gang, dessen Wände zuckten und brodelten wie geschmolzener Teer und der sich peitschend hin und her wand, als hätte sich der stählerne Korridor in eine riesige Schlange verwandelt. Aus den Schatten griffen Dinge nach ihnen, die sich seine menschlichen Sinne zu erkennen weigerten, und in seinem Kopf war noch immer dieses entsetzliche, lautlose Brüllen, in dem sich Triumph und abgrundtiefe Qual zu etwas Neuem, Furchtbarem verbanden.

Und dann war es vorbei, ganz plötzlich und endgültig.

Die Stimme erlosch. Der Gang hörte auf, sich vor seinen Augen zu drehen und zu winden wie ein lebendiges Wesen. Stille schlug wie eine Woge über ihnen zusammen. Aber nur für einen Moment. Dann hörte Skar, zum ersten Mal seit er in diesem Turm aufgewacht war, Geräusche. Laute, die nicht in seiner unmittelbaren Nähe entstanden: ein dumpfes, rhythmisches Pochen, das aus dem Boden und den Wänden gleichzeitig zu dringen schien, Schreie, Stimmen, das Geräusch entfernter, rennender Schritte. Irgendwo brüllte ein Drache.

»Was ist jetzt los?« knurrte Titch.

»Ennarts Magie«, murmelte Skar. »Sie erlischt. Sie...« Er sprach nicht weiter, als er begriff, was das, was er gerade gesagt hatte, wirklich bedeutete.

»Magie?« Titch schüttelte heftig den Kopf. »Das hier hat nichts mit Magie zu tun.«

»Nenn es wie du willst«, antwortete Skar. »Aber was immer es war, es ist nicht mehr da.« Und das namenlose Ding unter ihnen war frei. Er sprach den Gedanken nicht laut aus, aber er wußte, daß es so war. Was immer der Ssirhaa getan hatte, um das entsetzliche Erbe der Alten zu manipulieren: die geistigen Fesseln, mit denen er es gebunden hatte, waren erloschen. Es war frei.

Mit klopfendem Herzen wandte er sich zu Anschi um. Die Errish hatte die Hände heruntergenommen und starrte ihn an, und in ihrem Blick war nichts als Entsetzen. Ennarts geistige Fessel war auch von ihr abgefallen, aber sie mußte die Wahrheit im gleichen Augenblick erkannt haben wie Skar. Sie war mit ihm unten gewesen. Sie hatte gesehen, was der Tempel barg. Ihre Blicke begegneten sich, und Skar war endgültig davon überzeugt, daß Anschi wieder sie selbst war. Die Errish wollte etwas sagen, aber Skar signalisierte ihr mit einem raschen Kopfschütteln, zu schweigen; eine Bewegung, die Titch auffallen mochte, deren wahre Bedeutung er aber unmöglich erraten konnte. Rasch streckte er die Hand aus, half Anschi auf die Füße und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tür. »Los!« Titch beäugte ihn und die Errish mißtrauisch, sagte aber kein Wort, sondern trat als letzter hinter ihnen in die Kammer und schloß die Tür. Es wurde quälend eng. Die Kammer war für zwei Personen gebaut, nicht für drei Menschen und einen sieben Fuß großen Quorrl. Aber die gespenstische Fahrt dauerte nur Augenblicke, ehe sich die Tür wieder öffnete und sie auf einen weiteren Korridor hinaustraten, der sich nicht im Geringsten von dem über ihnen unterschied. Die Schreie und der Lärm waren hier lauter. Aus einer offenstehenden Tür zehn Schritte neben ihnen drang flackernder Feuerschein.