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»Bei allen Göttern«, flüsterte Anschi. »Was geschieht hier?«

»Diese verdammten Narren«, murmelte Skar. Plötzlich empfand er nichts als Haß auf den Toten. »Sie haben dieses... dieses Ding zum Leben erweckt und wußten nicht einmal, was sie taten! Es wird sie alle vernichten. Und uns dazu.«

Sie eilten weiter. Es wurde wärmer, sehr schnell und auf sehr unangenehme Art. Die Luft, die ihnen entgegenschlug, roch nach Feuer, und sie hörten das Prasseln der Flammen, noch ehe sie den Feuerschein sahen. Skar blieb abermals stehen. Er wußte nicht genau, wo sie sich befanden. Anschi hatte ihn auf einem anderen Weg heruntergeführt als Ennart gestern. Aber er fühlte, daß es jetzt nicht mehr sehr weit sein konnte.

»Wo?« fragte er einfach.

Anschi deutete nach vorn und machte gleichzeitig eine Bewegung nach rechts. »Der dritte Gang. Aber du -«

»Du wartest hier auf mich«, unterbrach sie Skar. »Ich gehe allein.«

»Warten?« Anschi lachte unecht und schüttelte heftig den Kopf. »Ich werde ganz bestimmt nicht allein hier in diesem Turm zurückbleiben.«

Skar wollte einfach losgehen, aber Anschi hielt ihn am Arm zurück. Er schüttelte ihre Hand ab, aber er hatte die Hartnäckigkeit der Errish unterschätzt. Mit zwei raschen Schritten trat sie an ihm vorbei und verstellte ihm den Weg.

»Es wird dich töten«, sagte sie.

»Das wird es auch tun, wenn du dabei bist.« Er wollte Anschi einfach beiseiteschieben, aber sie klammerte sich mit erstaunlicher Kraft an seinen Arm, so daß er wohl oder übel abermals stehenbleiben mußte.

»Sei vernünftig«, sagte er. »Ich habe dich nicht mitgenommen, damit du dich umbringst, sondern nur, um mir den Weg zu zeigen.«

»Du findest ohne mich nicht zurück«, behauptete Anschi. Sie machte eine Geste in die Richtung, aus der der Feuerschein kam. Es war spürbar wärmer geworden. Die Luft wurde stickig, und in das Prasseln der Flammen mischten sich Schreie. Sonderbarerweise sahen sie noch immer keinen Menschen. »Es ist zu gefährlich, den Aufzug zu benutzen. Aber es gibt eine Treppe. Ich kann sie dir zeigen.«

Skar resignierte. Er spürte, wie wenig Sinn es hatte, weiter auf Anschi einzureden. Und zugleich war er fast erleichtert bei dem Gedanken, nicht allein gehen zu müssen. »Also gut«, sagte er. »Aber bleib immer dicht bei mir. Und ...« Er zögerte. »Falls mir etwas zustößt, und du davonkommst«, fuhr er fort, ohne die Errish dabei anzusehen, »dann versuche dich zu Del durchzuschlagen. Er ist vielleicht der letzte, der euch noch retten kann, wenn er erfährt, was hier passiert ist.« Er ging weiter, ehe Anschi auch nur Gelegenheit zu einem weiteren Wort fand.

Es wurde immer heißer. In der Luft schienen unsichtbare Flammen zu sein, so daß selbst das Atmen zur Qual wurde, und der Boden unter ihren Füßen glühte. Manchmal durchlief ein Zittern die metallenen Platten.

Dann fanden sie den ersten Toten.

Es war ein Mann aus Ians Volk, ein Zauberpriester aus dem Süden, aber Skar erkannte ihn nur am Schnitt seiner Kleidung. Sein Körper war verbrannt. Skar blieb stehen, starrte erschüttert auf den schwarz gewordenen Leichnam herab und streckte die Hand nach ihm aus, wagte es aber nicht, ihn zu berühren. Ein Gefühl eisigen Entsetzens breitete sich in ihm aus. Er hatte plötzlich das Gefühl, zu wissen, wieso ihnen bisher niemand begegnet war.

»Ihr Götter!« stöhnte Anschi. »Was -«

»Vielleicht nur ein Unfall«, unterbrach sie Skar. Die Lüge klang selbst in seinen eigenen Ohren dünn, aber er fuhr trotzdem mit einer weit ausholenden Geste fort: »Dieser ganze Trümmerhaufen kann jeden Moment in sich zusammenbrechen.« Das Sprechen bereitete ihm Mühe, und es war ganz und gar nicht nur die Hitze, die ihm die Kehle zuschnürte.

»Ein Grund mehr, sich zu beeilen«, sagte Anschi unsicher. Sie machte einen Schritt, blieb stehen, bückte sich mit sichtlichem Widerwillen und zog das Schwert des Toten aus seinem Gürtel. »Vielleicht können wir das Schlimmste noch verhindern.« Skar sah auf den Leichnam des Zauberpriesters herab und fragte sich, was in aller Welt Anschi hier noch verhindern wollte. Aber er sagte kein Wort, sondern folgte der Errish, als sie weiterging.

Den zusammengebrochenen Teil des Ganges zu passieren, erwies sich fast als unmöglich, denn die Wände glühten, und die Luft, die ihnen entgegenfauchte, war heiß wie der Atem eines Drachen. Nach einem Dutzend Schritte fanden sie den zweiten Toten. Er war auf die gleiche gräßliche Weise ums Leben gekommen wie der erste. Skar zwang sich, ihn nicht anzusehen, aber er bemerkte dennoch, daß der Teil seiner sonderbaren Rüstung, der aus Metall bestand, nicht einfach verkohlt war. Er war geschmolzen. Skar unterdrückte ein Husten, wandte sich angeekelt ab und ging rasch weiter.

Ohne Anschis Führung wäre er verloren gewesen, denn er war viel zu aufgeregt, um sich noch auf den richtigen Weg zu besinnen. Aber Anschi eilte mit weit ausgreifenden Schritten vor ihm her, eine gehetzte Gestalt, die im unheimlichen roten Glühen des Feuers selbst zu flackern schien wie ein blutiges Schemen. Sie fanden keine Leichen mehr, und Skars Furcht begann sich schon ein bißchen zu legen, als er weit vor Anschi ein grelles Licht gewahrte; Feuerschein, aber viel heller als das wabernde Licht, das sie umgab.

Die Errish ging langsamer. Der Gestank von brennendem Fleisch schlug ihnen entgegen, als sie sich der Kammer des Ssirhaa näherten, und Skar wußte schon, was sie erwartete, ehe er es sah.

Was er nicht wußte war, wie schlimm es sein würde.

Die Männer mußten sich vor dem unheimlichen Angreifer hierher zurückgezogen haben, und ihre Stellung und zerbrochene, nutzlose Waffen bewiesen, wie verbissen sie ihr Leben verteidigt hatten. Ennarts Zimmer war ein Chaos; die wenigen Möbel verbrannt und zu Asche zerfallen. In die Wände waren die gezackten schwarzen Brandspuren von Scannern eingegraben, mit denen die Verteidiger sich gewehrt haben mußten, gegen ein Wesen, das nicht zu töten war, ganz einfach, weil es nicht lebte. Eines der Fenster war getroffen worden und zu einer bizarren Struktur aus trüb gewordenem Glas zerlaufen.

Und doch hatte das Entsetzen seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. Anschi deutete mit der Spitze ihres Schwertes auf den Eingang, vor dem sich die Männer zu ihrem letzten Gefecht versammelt hatten, und Skar schloß für einen Moment die Augen, sammelte jedes bißchen Kraft, das noch in ihm war, um sich gegen den letzten, allergrößten Schrecken zu wappnen.

Und trotzdem schrie er auf, als er hinter der Errish in den Tempelraum trat.

Die Kammer war so zerstört, wie es ein von Menschenhand geschaffener Raum nur sein konnte. Boden, Decke und Wände waren geborsten; handbreite Spalten und ein Spinnennetz feinerer Sprünge und Risse hatte den massiven Fels wie eine Kuppel aus Glas bersten lassen, und in der Luft hing noch immer ein Hauch der ungeheuren Hitze, die den schwarzen Basalt der Wände gesprengt hatte. Die kunstvollen Bilder und Schriftzeichen waren zerstört, und die Statue des Daij-Djan von ihrem Sockel gestürzt und wie von Hammerschlägen zermalmt. Aber von alledem sah Skar kaum etwas. Sein Blick hing wie gebannt an dem schwarzen Altarstein in der Mitte der Kuppel. Er war zerborsten, der meterhohe Metallzylinder, der daraufgestanden hatte, umgestürzt.

Skars Blick saugte sich daran fest. Sein Herz schien auszusetzen. Für Augenblicke weigerte sich sein Verstand einfach, zu glauben, was seine Augen sahen. Was er längst wußte.

Das pulsierende Purpurlicht war erloschen. Auf dem Grund des umgestürzten Zylinders lagen glitzernde Splitter, manche fein wie gemahlenes Glas, manche groß und scharfzackig wie Dolche. Der Blutkristall war zerbrochen.