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Anschi blieb plötzlich stehen. »Er will nicht zu ...«, flüsterte sie. Sonderbarerweise klang ihre Stimme ganz und gar nicht erleichtert, sondern eher noch entsetzter. »Er will... großer Gott, ich glaube, er will...«

Skar erfuhr nicht, wohin der Dämon Anschis Meinung nach gegangen war. Die Errish schrie auf, riß ihr Schwert in die Höhe und rannte los, wobei es ihr völlig gleich zu sein schien, ob Skar ihr folgte oder nicht - ebenso, wie es sie nicht zu kümmern schien, daß Ians Kopf mit einem Ruck in die Höhe flog und eine Mischung aus Schrecken und jäh aufflammendem Zorn auf seinen Zügen erschien.

Skar beobachtete den Zauberpriester einen Herzschlag lang, ehe er Anschi folgte. Ian fuhr in die Höhe, wie von der Tarantel gestochen, machte aber keinen Versuch, Anschi und ihm zu folgen, sondern wirbelte im Gegenteil auf der Stelle herum und rannte auf den Ausgang zu. Er hatte aus seinem ersten Zusammentreffen mit ihnen gelernt, dachte Skar bedrückt. Aber er würde wiederkommen, in wenigen Augenblicken. Und wahrscheinlich würde er eine ganze Armee mitbringen.

Er zögerte jetzt nicht länger, sondern jagte hinter Anschi her, so schnell er nur konnte. Trotzdem hatte die Errish die Halle fast durchquert, bis es Skar gelang, sie einzuholen. Eine weitere, sehr schmale Seitentür tauchte vor ihnen auf. Anschi machte sich nicht die Mühe, den Riegel zu öffnen, sondern rammte sie einfach mit der Schulter auf und hetzte weiter, ohne auch nur im Schritt innezuhalten. Skar war jetzt sicher, daß es ganz und gar nicht das erste Mal war, daß die junge Errish sich in diesem Turm aufhielt.

Es ging wieder in die Tiefe. Ein Dutzend Stufen führte zu einem kleinen, vollkommen leeren Gewölbekeller herab, dann durch einen neuerlichen Gang, und schließlich befanden sie sich wieder in einem Keller, wo Anschi stehenblieb und sich gehetzt umsah. Der Raum war rund und hatte eine kuppelförmige Decke, und er war leer bis auf eine sonderbare Anordnung in seiner Mitte, deren Bedeutung Skar im ersten Moment nicht klar wurde: Es war ein Kreis aus silbernen, halb mannshohen Kerzenständern, in dessen Zentrum sich ein tonnenschwerer Block aus schwarzem Basalt erhob, so sorgsam poliert, daß seine Oberfläche wie Perlmutt schimmerte. Auf diesem Block stand eine Schale aus strahlend weißem Marmor, in der eine Kugel von der Größe eines Kinderkopfes lag. Sie bestand aus Bronze und war ebenso sorgsam poliert wie der Altarstein. Das Licht der Kerzen spiegelte sich wie der Schein zahlloser winziger Sterne auf ihrer Oberfläche und ließ Skar blinzeln.

»Was ist das?« fragte Skar. Nervös sah er zur Tür. Sie hatten bestenfalls noch Minuten, bis Ian mit seinen Männern hier auftauchen würde. Und der Raum hatte keinen zweiten Ausgang! »Der Nabel der Welt«, antwortete Anschi ernsthaft. »Wenn er ihn zerstört...« Sie sprach nicht weiter, aber das war auch nicht nötig. Skar starrte die so harmlos aussehende Kugel in ihrer Marmorschale an und fragte sich verzweifelt, ob Anschi die Wahrheit gesprochen hatte, oder ob diese Relique nur ein weiteres, von Menschen geschaffenes Symbol war. Aber irgendwie hatte er gar keine große Lust, es herauszufinden...

»Er ist hier«, keuchte Anschi. »Ich spüre es.«

Skar wollte antworten, aber in diesem Moment hörte er ein Geräusch hinter sich, fuhr herum - und erstarrte.

Vor ihnen stand der Dämon.

Anschi hatte recht gehabt. Er war hier, und er hatte auf sie gewartet.

Ein Gigant, mehr als zweieinhalb Meter hoch, mit der Gestalt eines Menschen und einem häßlichen, in zwei absurd großen Hörnern endendem Schädel. Skar sah keine Spur des berüchtigten Klumpfußes, auch keinen peitschenden Schwanz oder Flügel, nichts von all den Scheußlichkeiten, mit denen die Menschen die Satansgestalt im nachhinein ausgestattet hatten, aber was er sah, das war entsetzlicher als alles, was er je erblickt hatte.

Der Dämon hatte keinen wirklichen Körper, sondern schien nur aus einer Masse tobender, höllisch heißer Funken zu bestehen, eine kochende Wolke aus flammender Bewegung, die Hitze und Furcht verströmte wie ein Vulkan Lava und Asche. Obwohl er in der brodelnden Funkenmasse seines Gesichtes weder Mund noch Augen ausmachen konnte, spürte er den Blick des Entsetzlichen wie eine weißglühende Hand. Das Ungeheuer starrte ihn an. Und es war ein Blick, der bis in die verborgendsten Tiefen seiner Seele hinabreichte.

Dann bewegte sich das Ungeheuer. Seine Hand streckte sich aus, hinterließ eine rauchende Spur auf dem schwarzen Basalt des Steinaltars und streifte die Bronzekugel.

Ein ungeheures Dröhnen ließ den Boden erzittern. Staub und kleine Steine regneten von der Decke, die silbernen Kerzenhalter tanzten, und über ihren Köpfen erscholl ein Krachen und Bersten und Poltern, als stürze der gesamte Turm zusammen. Der Boden zuckte wie ein lebendes Wesen, das sich in Krämpfen wand. Wieder war es Anschi, die ihre Erstarrung als erste überwand. Plötzlich schrie sie auf, so gellend und schrill, als hätte man ihr einen weißglühenden Dolch in den Leib gestoßen, riß ihr Schwert mit beiden Händen in die Höhe und sprang mit einem gewaltigen Satz vor, wobei sie zwei der Kerzenständer umwarf. Noch ehe Skar wirklich begriff, was sie tat, flankte sie über den Altarstein hinweg, stand plötzlich unmittelbar vor dem Dämon und schlug mit aller Gewalt zu. Ihre Klinge schnitt pfeifend durch die Luft, traf den Feuerkörper des Entsetzlichen und glitt durch ihn hindurch, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten.

Dann schlug der Dämon zu. Es war nur seine ungeheure Größe, die die Bewegung langsam erscheinen ließ; in Wirklichkeit griff seine Flammenklaue in Gedankenschnelle nach Anschis Schwert und entrang ihr die Waffe. Die Klinge flammte in greller Weißglut auf. Geschmolzenes Metall tropfte zu Boden, und Anschi torkelte mit einem gurgelnden Laut zurück. Das Ungeheuer hatte sie nur gestreift, aber dort, wo seine Finger den bestickten schwarzen Mantel berührt hatten, war das Leinen zu Asche zerfallen. Anschi schrie vor Schmerz, brach in die Knie und krümmte sich. Ihr Gesicht war eine Grimasse aus Pein und Furcht, als sich der Dämon mit einer fast gemächlichen, aber unglaublich kraftvollen Bewegung umwandte und auf sie zustapfte.

Skar schrie entsetzt auf, als er sah, wie sich die Flammenhände des Entsetzlichen nach der knieenden Errish ausstreckten. Er dachte nicht mehr, und er hatte auch keine Angst mehr. Er sah nur die grauenhaften Hände des Ungeheuers sich Anschis Gesicht nähern, und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er noch einmal das Bild des verbrannten Zauberpriesters zu sehen. »NEIN!« schrie er mit überschnappender Stimme. »Tu es nicht! Laß sie! NIMM MICH!«

Und sprang.

Sein Satz war wesentlich weniger elegant als der Anschis, aber ebenso kraftvoll. Mit einem einzigen, verzweifelten Schritt durchquerte er den durchbrochenen Kreis, den die Kerzenhalter bildeten, und warf sich mit weit ausgebreiteten Armen zwischen Anschi und das Ungeheuer.

Und lernte die Hölle kennen.

Das Ungeheuer füllte die Welt vor ihm aus, machte sie zu einem Chaos aus durcheinanderwirbelnden Funken und Glut und Hitze, Hitze, Hitze... Er wollte schreien, aber die Laute wurden zu flüssigem Feuer in seiner Kehle. Lava floß durch seine Adern, und jeder einzelne Nerv in seinem Körper schien in weißer Glut aufzuflammen. Der Funkenleib des Ungeheuers hüllte ihn ein, umschloß ihn wie ein Mantel aus tanzender Glut, durchdrang seinen Körper - und zog sich zurück.

Im ersten Moment begriff Skar es gar nicht. Wie Anschi war er auf die Knie herabgefallen und wimmerte vor Schmerz und Angst, die linke Hand auf den Boden gestützt, der glühend heiß geworden war, die andere in einer abwehrenden Geste erhoben. Irgendwie begriff er, daß er noch lebte, und er wunderte sich auch darüber, aber das stärkste Gefühl in ihm war die Angst, ein Entsetzen, das tiefer war als alles, was er sich vorgestellt hatte, ein ungeheures Grauen, und es war nicht die Angst vor dem Tod oder dem Schmerz, der ihm vorausgehen mochte, sondern nur die Angst vor ihm, dem Ding vor ihm, das so entsetzlich fremd war, so anders als alles, daß Panik die einzig mögliche Reaktion auf sein Dasein war. Plötzlich begriff er, warum die Menschen die Dämonen gefürchtet hatten, wenn es wirklich ein Dämon war, dem er gegenüberstand: es war nicht die Angst vor dem, was sie tun konnten, nicht die Angst vor dem Tod und der Verheerung, die sie brachten, sondern die bloße Angst vor ihrem Dasein. Sie waren Teil einer anderen, entsetzlichen Welt, die zu fremd und bizarr war, als daß ein Mensch sie ertragen konnte. Aber wieso lebte er dann noch?