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Plötzlich lachte sie, leise und bitter und so lange, bis ihr Lachen in ein halblautes Schluchzen überging. Skar wollte zu ihr gehen und sie tröstend an der Schulter berühren, aber Anschi wich vor seiner Berührung zurück.

»Es ist alles gelogen, Skar. Die Geschichte dieser ganzen Welt ist auf Lügen aufgebaut, und sie besteht aus nichts als Lügen. Vielleicht ist es richtig, wenn sie untergeht.«

»Aber nicht so«, widersprach Skar. »Wenn dieses ...« Er suchte nach Worten, fand keine und machte eine hilflose Handbewegung. »Wenn dieses Etwas hier gewinnt, Anschi, dann wird hinterher niemand mehr da sein, um die Wahrheit zu sagen.«

»Welche Wahrheit?« Anschis Augen flammten zornig. »Daß wir den Quorrl ihre Welt gestohlen haben? Daß unsere Macht nichts anderes ist als die schäbigen Trümmer ihrer Zivilisation?«

»Und wenn? Es ist eine Million Jahre her, Anschi. Wir sind längst nicht mehr die, die wir einst waren. So wenig wie die Quorrl. Titch hat das erkannt. Und du kannst es auch. Vielleicht ist alles wahr, was Ennart erzählt hat, und ja, verdammt, vielleicht sind die Errish keine Zauberinnen, sondern nur Frauen, die gelernt haben, die alten Kräfte zu nutzen. Und? Das ist für mich nur ein Grund mehr, diese verdammten Ssirhaa zu besiegen! Laß diese Welt zum Teufel gehen! Wir bauen eine neue auf!« Zu seiner Überraschung lächelte Anschi. »Jetzt klingst du wie Ennart, weißt du das?«

»Vielleicht ist Größenwahn ansteckend«, sagte Skar lächelnd. Aber er wußte sehr wohl, daß Anschi recht hatte. Vielleicht war dies einer der Gründe gewesen, aus denen es ihm so schwergefallen war, den Ssirhaa zu hassen oder auch nur zu verachten. Im Grunde verfolgten sie die gleichen Ziele. Skar hatte Enwor niemals geliebt. Es war seine Heimat, aber es war keine Welt, die man lieben konnte, sondern nur hassen, und allenfalls fürchten. Aber er hatte sie niemals zerstören wollen, nur verändern. »Komm«, sagte er mit einer Geste zur Tür. »Vielleicht holen wir Titch und Kiina noch ein.«

Der Weg zurück zur Kammer der Daktylen glich einem Alptraum. Es war nicht so, daß sie angegriffen oder verfolgt wurden, aber das Innere des Turms war ein einziges Chaos. Das gigantische Gebäude starb, aber es war kein leichter Tod, und mit jedem Schritt hatte Skar mehr das Gefühl, sich im Leib eines riesigen, lebenden Wesens zu befinden, das sich in Todeskrämpfen wand. Überall war Feuer ausgebrochen. Ein paar Korridore, durch die Anschi ihn führte, waren zusammengestürzt oder glühten wie das Innere eines gigantischen Ofens, und mehr als einmal stießen sie auf die Leichen von Zauberpriestern, manche in ihre unheimlichen schwarzen Rüstungen gehüllt, ohne daß sie ihnen hätten Schutz bieten können. Sie brauchten fast fünfmal so lange, um den Weg zurück zu bewältigen, und aus Skars Vermutung wurde beinahe Gewißheit. Ennart hatte den Turm aus einem Schlaf geweckt, der ihn eine Million Jahre lang vor dem Verfall bewahrt hatte, aber er hatte ihn damit auch umgebracht; vielleicht, ohne es selbst auch nur zu ahnen. Vielleicht würde es Ian und seinen Brüdern sogar gelingen, den endgültigen Zusammenbruch noch einmal abzuwenden, aber die unheimliche Macht, die dieser Turm einst besessen hatte, war vergangen. Endgültig.

Als sie die letzte Treppe hinaufstürmten und sich der Halle mit den Daktylen näherten, stießen sie auf einen weiteren toten Zauberpriester. Aber der Mann war nicht verbrannt oder von einem niederstürzenden Trümmerstück erschlagen worden - jemand hatte ihm die Kehle durchgeschnitten. Skar blieb stehen, betrachtete den Toten einen Moment lang alarmiert und sah Anschi fragend an. Sie deutete seinen Blick richtig und nickte. »Ich bin nicht die einzige Errish, die nicht mehr unter Ennarts Einfluß steht«, sagte sie.

Skar schwieg. Er empfand keinerlei Triumph beim Anblick des Toten. Der Sieg bereitete ihm schon lange keine Zufriedenheit mehr. Nicht einmal mehr Erleichterung. Jeder Tote in diesem Kampf war ein Toter zuviel, denn er stärkte nur ihre wahren Feinde. Trotzdem zog er sein Schwert und bedeutete Anschi mit Gesten, zurückzubleiben, als sie sich der Tür näherten.

Die Halle hatte sich verändert. Vor der offenen nördlichen Wand zogen dichte Rauchschwaden vorbei, und der Himmel über dem Turm glühte rot im Widerschein der Flammen, die in seinem Hof tobten. Der Teil der gegenüberliegenden Wand, den Skar sehen konnte, war von rechteckigen roten Feuernestern übersät; Fenstern, hinter denen Flammen loderten. Skar fragte sich, was in einem Gebäude, das ganz und gar aus Stahl bestand, brennen konnte, aber er fand keine Antwort.

Nur noch drei der großen Drachenvögel hielten sich in der Kammer auf. Direkt hinter der Tür lagen die Leichen eines halben Dutzend Zauberpriester, niedergestreckt von Scannerschüssen oder Messerstichen, und unter ihnen gewahrte Skar auch die reglose Gestalt einer Errish. Zwei weitere Schwestern Anschis standen hoch aufgerichtet hinter den Toten. Die Waffen in ihren Händen waren drohend auf Skar gerichtet.

Anschi stieß einen abgehackten, befehlenden Laut aus, schob Skar einfach beiseite und lief zu den Errish hinüber. Die Waffen der beiden Mädchen blieben unverrückbar auf Skar gerichtet, während Anschi mit hastiger, schneller Stimme und in einem unverständlichen Dialekt auf sie einredete, aber er konnte sehen, wie sich das Mißtrauen in ihrem Blick legte und vorsichtiger Erleichterung Platz machte.

»Wo sind die anderen?« fragte er, als Anschi zu ihm zurückkam.

»Fort«, antwortete die Errish. »Zusammen mit Kiina und dem Quorrl. Diese drei haben auf uns gewartet.«

»Woher wußten sie, wo wir waren?«

»Von Kiina«, antwortete Anschi mit einem raschen, fast mütterlichen Lächeln. »Hast du wirklich geglaubt, daß sie ohne dich geht? Sie hat der Daktyle einfach befohlen, den Quorrl abzuwerfen, und dann so lange auf ihn eingeschlagen, bis er aufgegeben hat.«

Trotz des Ernstes ihrer Lage mußte Skar lächeln. Er hätte sich denken können, daß Kiina sich nicht befehlen lassen würde, was sie zu tun hatte. Schon gar nicht von ihm.

»So brauchen wir sie wenigstens nicht zu suchen«, fuhr Anschi fort. »Sie sind in einer Höhle in den Bergen, die ich kenne.« Sie machte eine fragende Geste auf die Daktylen. »Willst du mit mir reiten?«

Skar warf einen mißtrauischen Blick auf die riesigen Flugreptilien. Er war schon mehrmals auf einer Daktyle geritten, aber es war ein Erlebnis, das jedesmal gleich unangenehm war. Ein Flug in fünftausend Fuß Höhe, noch dazu auf dem Rücken einer Bestie, die wenig Hemmungen hatte, eine kleine Pause einzulegen, um ihren Reiter zu verspeisen, war etwas, woran er sich nie gewöhnen würde.

»Sicher«, sagte er. »Wir -«

Der Rest seiner Antwort ging in einem zornigen Schrei unter, der von der Tür her erscholl. Skar sah erschrocken auf und gewahrte eine große, in mattes Schwarz gekleidete Gestalt mit schütterem blonden Haar, und hinter ihr die Schatten von zwei, drei weiteren Männern.

Ian brüllte wie von Sinnen, als er Anschi und ihn gewahrte, und riß sein Schwert in die Höhe.

»Nicht, Ian!« schrie Skar. »Laß dir erklären -«

Aber der Zauberpriester hörte seine Worte gar nicht. Mit einem zornigen Schrei sprang er auf ihn zu, hob sein Schwert und ließ die Klinge mit aller Gewalt niedersausen.

Und plötzlich ging alles so schnell, daß es Skar hinterher wie ein Alptraum vorkam: Er sah das gewaltige Schwert des Zauberpriesters auf sich herabfahren, und er begriff zweierlei gleichzeitig: daß er viel zu langsam war, um dem Schlag noch ausweichen zu können, und daß ihn der Hieb vom Kopf bis zum Gürtel spalten mußte, denn der Zauberpriester schlug mit jener übermenschlichen Gewalt zu, die nur absoluter Zorn oder reine Todesangst bewirken konnte.

Und im gleichen Bruchteil einer Sekunde fühlte er sich an der Schulter gepackt und herumgerissen. Er wußte, was Anschi tat, aber er war unfähig, darauf zu reagieren.