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Als sie wieder auf die Rücken der beiden gewaltigen Flugechsen kletterten, begann Skars linker Arm zu schmerzen.

Mit dem letzten Licht des Tages erreichten sie den Treffpunkt, der nicht aus einer Höhle bestand, wie Anschi gesagt hatte, sondern aus den zerfallenen Resten einer uralten Festung, deren abbröckelnde Mauern selbst am hellen Tag zwischen den millenienalten Kraterwänden so gut wie unsichtbar sein mußten. Skar bemerkte keinerlei Anzeichen von Leben oder gar einer Falle; kein Feuer, keinen Laut, keine Bewegung; aber plötzlich wurden sie von zwei weiteren Daktylen flankiert, die wie aus dem Nichts rechts und links ihrer Reittiere auftauchten, und ein dritter Drachenvogel kam ihnen entgegen, als sich ihre Daktylen mit schwerfälligen Bewegungen auf den Turm der alten Festung herabzuschrauben begannen.

Skar sprang aus dem Sattel, kaum daß das Tier aufgesetzt hatte und ein paar ungeschickte Schritte gehoppelt war. Automatisch sah er sich nach Titch um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Die Gestalten von vier, fünf Errish hoben sich als flache Schatten auf der zerborstenen Turmplattform ab, das war alles.

Er brauchte nichts zu sagen. Eines der Mädchen hob den Arm und winkte ihm, ihr zu folgen, während sich die anderen um ihre Tiere kümmerten oder mit seiner Begleiterin sprachen. Skar ging schneller los als nötig. Mochte die Errish ihren Schwestern erzählen, was in Ennarts Turm geschehen war. Er wollte nicht reden. Er hatte zu viele schlechte Nachrichten überbracht, als daß er noch Gefallen daran fand.

Eine halb zerfallene, geländerlose Treppe führte im Innern des Turmes in die Tiefe. Das Mädchen geleitete ihn durch ein halbes Dutzend leerer, mit nichts als Steinen und dem Staub von Jahrtausenden gefüllter Räume und Korridore, bedeutete ihm, den Kopf einzuziehen und vorsichtig zu sein, und bückte sich unter einem niedrigen Türsturz hindurch. Erst als sie den Arm hob, bemerkte Skar den schwarzen Vorhang, der die Öffnung verschloß. Der Raum dahinter war groß und so verfallen und staubig wie der Rest der Ruine. Aber in einer Ecke brannte ein Feuer, vor dem Skar die beiden ungleichen Silhouetten Kiinas und Titchs erkannte. Ein Stück daneben, weiter von ihnen und der Wärme des Feuers weggerückt, als notwendig erschien, kauerten die Schatten zweier Errish. Bis auf das Mädchen, dessen Leichnam er im Raum der Daktylen gesehen hatte, schien fast allen die Flucht aus dem Turm gelungen zu sein.

Skar bedankte sich mit einem stummen Kopfnicken bei seiner Führerin, ging zum Feuer und ließ sich Titch und Kiina gegenüber zu Boden sinken. Fröstelnd streckte er die Hände über den prasselnden Flammen aus. Er spürte erst jetzt, wie kalt es auf dem Rücken der Daktyle gewesen war. In seinen Fingern war kaum noch Gefühl.

Kiina sah ihn mit einer Mischung aus Freude und Überraschung an, sagte aber kein Wort, während der Quorrl nur weiter blicklos in die Flammen starrte. Skar sah ein halbes Dutzend hastig angelegter, aber frischer Verbände auf seinen Armen und Beinen. Der Gedanke, daß er die Hilfe der Errish angenommen hatte, überraschte ihn ein wenig.

»Wie lange seid ihr schon hier?« fragte er, als weder Kiina noch der Quorrl Anstalten machten, von sich aus zu sprechen. Titch reagierte überhaupt nicht, während Kiina nur in einer sonderbar matten Bewegung die Schultern hob. »Nicht lange. Eine Stunde. Eher weniger.« Sie seufzte. Im flackernden Schein der Flammen sah ihr Gesicht plötzlich wieder so krank und eingefallen aus wie das letzte Mal, als sie zusammen an einem Feuer gesessen hatten. »Wo ist Anschi?«

»Tot«, murmelte Skar. Es fiel ihm überraschend leicht, das Wort auszusprechen. Aber eigentlich bedeutete es auch nichts. Es drückte nicht annähernd das aus, was er dabei empfand. Auch Kiina reagierte nicht darauf, und das wiederum war etwas, was Skar sehr erleichterte. Er wußte, daß sie Anschi gehaßt hatte - sie mußte es einfach, nach dem, was sie erlebt und erfahren hatte. Aber sie wirkte weder zufrieden noch erleichtert, sondern nur teilnahmslos, als hätte sie seine Worte gar nicht gehört.

»Was ist passiert?« fragte Titch plötzlich. Er sah nicht einmal auf. Sein Blick blieb weiter starr in die Flammen gerichtet. Seine rechte Hand zupfte in einer unbewußten Bewegung an einem der frischen Verbände um sein Bein.

Ich wollte, ich wüßte es, dachte Skar. Bei Gott, Titch, ich wollte, ich wüßte es. Laut sagte er: »Der Turm brennt. Ich weiß nicht, ob sie ihn löschen können.« Er zuckte mit den Achseln, um seine Worte zu bekräftigen, und betrachtete nachdenklich seinen linken Arm. Er tat immer noch weh. Während des Rittes war er so angespannt gewesen, daß er den Schmerz kaum bemerkt hatte, aber jetzt war es, als stächen Millionen winziger feiner Nadeln in seine Haut. Der Schmerz war nicht sehr schlimm, aber von jener penetranten Art, die es einem unmöglich machte, ihn zu ignorieren.

»Aber selbst wenn es ihnen gelingt«, fuhr er nach einer Pause fort, »haben sie nichts mehr als eine Ruine. Es war Ennart, dessen Macht wir gespürt haben. Nicht die des Turmes.« Was nur die halbe Wahrheit war. Aber Skar hatte sich längst entschieden, weder Kiina noch dem Quorrl etwas von dem zu erzählen, was in den Katakomben unterhalb des Turmes geschehen war, und wie es ihm gelungen war, die Kreatur zu besiegen, die Ennart in seinem Wohnsitz heraufbeschworen hatte. Er wußte auf beide Fragen keine Antwort.

»Anschi ist tot, sagst du?« fragte Titch, als hätte er Skars Worte erst jetzt richtig verstanden. »Was ist geschehen?«

»Ian hat sie erschlagen«, antwortete Skar knapp. Sein rüder Ton überraschte ihn selbst, und wenn auch Titch nicht darauf reagierte, so sah doch Kiina verwundert auf.

»Ian?«

»Er muß sich irgendwie befreit haben«, sagte Skar. »Ich will nicht darüber reden.«

Kiina schien das zu akzeptieren, während er bei Titch nicht einmal sicher war, ob er seine Antwort verstanden hatte. Skar beugte sich vor, warf einen Holzscheit in die Flammen und betrachtete abwechselnd seinen prickelnden linken Arm und den Quorrl. Keines von beiden gefiel ihm. Um seinen Arm würde er sich später kümmern - da war etwas, im Hintergrund seiner Gedanken, aber nicht sehr weit, was damit zu tun hatte, damit und mit Anschi. Der Anblick des Quorrl bereitete ihm Sorge. Ihre Flucht aus dem Turm und der stundenlange Flug hierher mußte auch Titch bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erschöpft haben, aber das war nicht alles. Titch wirkte... leer. Nicht einfach nur erschöpft, sondern ausgebrannt, eine Hülle aus Fleisch und Blut und Knochen, der die Seele abhanden gekommen war.

Was hast du erwartet? flüsterten seine Gedanken. Er hat seinen Gott getötet.

»Ist mit dir... alles in Ordnung?« fragte er zögernd.

Zum ersten Mal, seit Skar hereingekommen war, sah der Quorrl auf. Seine Lippen verzogen sich zu einem bitteren, harten Lächeln. »Natürlich«, antwortete er. »Sollte es nicht?«

»Ennart war -«

»Ich weiß, wer Ennart war«, unterbrach ihn Titch, so laut und herrisch - fast drohend, daß die beiden Errish auf der anderen Seite des Feuers überrascht aufsahen. Skar verstand. Der Quorrl wollte nicht darüber reden. Und er akzeptierte es ebenso, wie Titch die Tatsache respektierte, daß er nicht über Anschis Tod sprechen wollte. Fast nur, um überhaupt etwas zu sagen und das Schweigen nicht quälend werden zu lassen, wechselte er abrupt das Thema.

»Was geschieht jetzt?«

»Was sollte deiner Meinung nach geschehen?«

Skar spürte, daß es besser gewesen wäre, zu schweigen. Sie waren alle erschöpft und auf die eine oder andere Weise der Verzweiflung nahe. Es war nicht der Zeitpunkt, Pläne machen zu wollen, die über ihr bloßes Überleben hinausgingen. Alles, was dabei herauskommen konnte, war ein Streit zwischen Titch und ihm. Aber er konnte auch nicht einfach schweigen und den Quorrl seinem Schmerz überlassen.