»Das ist... sonderbar«, murmelte das Mädchen. »Ich habe so etwas noch nie gesehen. Aber ich verstehe auch nicht viel von der Heilkunst«, fügte sie mit einem verlegenen Lächeln hinzu. »Habt Ihr irgend etwas berührt, was...« Sie suchte nach Worten. »... was vielleicht giftig war?«
Skar zog seine Hand zurück, preßte den Arm eng gegen den Leib und schüttelte den Kopf. »Laß es gut sein«, sagte er. »Du kannst mir nicht helfen. Ich fürchte, ich weiß, was das ist.«
»Was?« fragte Kiina. Sie schrie fast. Ihre Summe bebte, und im allerersten Moment glaubte Skar, es wäre dasselbe Entsetzen, das er in den Augen der jungen Errish gelesen hatte, beim Anblick seiner Hand. Dann begriff er, daß es das genaue Gegenteil war: kein Abscheu, sondern Angst.
Um ihn.
Seltsamerweise machte ihn die Vorstellung verlegen. Er sah weg und versuchte den Gedanken zu verscheuchen, aber er ertappte sich dabei, seine verkrümmten Finger mit der anderen Hand zu bedecken, als er aufstand.
»Was ist das, Skar?« beharrte Kiina. »Es ... es sieht entsetzlich aus.«
Und es wird bald noch schlimmer aussehen, dachte er schaudernd. Er empfand nicht einmal Furcht, sondern nur Zorn und Verbitterung. Er hatte gewußt, daß etwas in dieser Art passieren würde; nicht was, nicht wann, aber daß etwas passieren würde. Schließlich hatten weder Ennart noch Anschi versäumt, ihm mehr als nur einmal zu erklären, daß Ians Wunderreifen nicht nur Leben bewahrte, sondern auch zerstörte. Aber es war einfach unfair, daß es so schnell geschah. Sie ließen ihm nicht einmal Zeit, Atem zu schöpfen.
»Was ist das, Skar?« fragte Kiina ein drittesmal. »Was geschieht mit dir?«
Skar antwortete auch diesmal nicht, sondern trat mit einem gespielt optimistischen Lächeln auf sie zu. Kiina blieb stehen, aber die beiden Errish hinter ihr hatten sich nicht gut genug in der Gewalt, nicht einen halben Schritt zurückzuweichen.
»Ihr braucht keine Angst zu haben«, sagte er. »Es steckt nicht an.«
Eines der Mädchen senkte verlegen den Blick, während das andere wenigstens versuchte, sich zu einem Lächeln durchzuringen. Sie sind Kinder, dachte Skar bitter. In den letzten Tagen hatte er es fast vergessen, aber plötzlich kam ihm wieder zu Bewußtsein, wie verzweifelt ihre Situation trotz allem war. Die Errish ritten auf Drachen und geboten über das Feuer der Sterne, aber keines dieser Mädchen war älter als Kiina; die meisten sogar wesentlich jünger. Großer Gott - sie fochten einen Kampf, bei dem nichts weniger als ihre ganze Welt auf dem Spiel stand, und alles, was er hatte, war ein Dutzend Kinder!
Er ging an den beiden Errish vorbei und hielt seine Hand über das Feuer. Er spürte nicht einmal die Hitze der Flammen, obwohl sie nahezu seine Finger berührten, aber im grellen Licht sah er, daß die Grenze schwarz gewordenen Fleisches weitergewandert war; nicht viel, nur ein paar Millimeter, aber sie war weitergekrochen. Er versuchte in Gedanken die Zeit zu überschlagen, die ihm noch blieb, bis seine ganze Hand schwarz und tot war, dann sein Arm...
»Ians Band?«
Skar nickte, zog den Arm aber hastig zurück, als Titch sich neben ihn schob und nach seiner Hand greifen wollte. »Ja«, antwortete er. »Ich fürchte.«
Titch sah ihn ernst an, aber ohne ein Spur von Mitgefühl. »Deshalb haben sie sich also so wenig angestrengt, uns einzuholen«, sagte er.
»Was soll das heißen?« fragte Kiina. Sie versuchte, sich zwischen den Quorrl und Skar zu schieben und funkelte Titch wütend an, als er keine Anstalten machte, den Weg freizugeben. »Das soll heißen, daß Ian es nicht für nötig hielt, Skar zu töten«, antwortete Titch ungerührt. »Er stirbt sowieso. Dieses Ding da bringt ihn um.«
Kiinas Augen wurden groß. »Ist das... wahr?« flüsterte sie. »Vielleicht«, antwortete Skar. Er versuchte, Titch einen warnenden Blick zuzuwerfen, aber es gelang ihm nicht; der Quorrl sah nur abwechselnd Kiina und den silbernen Ring an Skars Gelenk an.
»Was ist das für ein Ding?« fragte Kiina erregt. »Warum reißt du es nicht einfach ab?«
»Ich fürchte, das geht nicht«, sagte Skar zögernd. »Es ist... Ian hat behauptet, es würde mich vor dem Gift schützen, das wir beide in Elay eingeatmet haben. Vielleicht stimmt das sogar. Aber es sieht so aus, als hätte es noch eine andere Wirkung.«
»Schneid es ab!« verlangte Kiina noch einmal. »Reiß es herunter, Skar, ehe es noch schlimmer wird!«
Es wird dich töten, wenn du versuchst, es zu entfernen. Aber welche Wahl hatte er schon? Er konnte es versuchen und dabei sterben, oder tatenlos stehenbleiben und warten, bis er bei lebendigem Leib verfault war. In längstens einer Stunde. Zögernd streckte er die Hand aus und berührte das silberfarbene Gewebe. Es war hart wie Stahl, obgleich es so weich und geschmeidig wie anschmiegsames Leder aussah.
Skar nahm all seinen Mut zusammen, packte entschlossen zu und riß mit aller Kraft an dem Band.
Ein entsetzlicher Schmerz explodierte in seinem linken Arm. Skar schrie auf, taumelte und wäre vornüber ins Feuer gestürzt, hätte Titch ihn nicht blitzschnell gepackt und zurückgerissen. Trotz des kräftigen Griffs des Quorrl fiel er auf die Knie, krümmte sich stöhnend und preßte die Hand gegen den Leib. Sein Arm schien bis zur Schulter in Flammen zu stehen.
Es dauerte Minuten, bis der Schmerz so weit nachließ, daß er aufhörte zu stöhnen und sich mühsam wieder aufrichten konnte. Sein Arm war taub. Als er versuchte, ihn zu bewegen, konnte er es nicht. Seine Hand war jetzt voller Blut, das unter dem Band hervorgequollen war.
Helfende Hände unterstützten ihn, als er vom Feuer wegtaumelte und sich stöhnend auf einen Stein sinken ließ. Alles drehte sich um ihn. In seinem Mund war der Geschmack von Blut, und wenn er den Kopf zu heftig bewegte, wurde ihm schwindlig. »Nicht«, flüsterte er, als auch Kiina neben ihm niederkniete und nach seinem Arm greifen wollte. »Es ... geht schon ... wieder.« Er atmete gezwungen tief ein und aus und versuchte vergeblich, den pulsierenden Schmerz in seiner Schulter zu ignorieren.
Kiinas Gesicht war grau vor Schrecken. Sie machte eine hilflose Bewegung, starrte Titch und die beiden Errish sekundenlang fast flehend an und wandte sich dann wieder an ihn. »Mein Gott, Skar, was ...«
»Es ist schon gut«, unterbrach sie Skar. Mit dem letzten bißchen Kraft, das ihm geblieben war, zwang er sich, den Kopf zu heben und sie anzusehen. Er versuchte zu lächeln, aber er spürte selbst, daß es bei einem Versuch blieb. Es wird dich töten, wenn du versuchst, es zu entfernen.
»Nein, es ist nicht gut!« widersprach Kiina. »Es ist schlimmer geworden. Sieh doch!«
Fast gegen seinen Willen sah Skar wieder auf seine Hand hinab. Kiina hatte recht. Es war schlimmer geworden, viel schlimmer. Als ob sein Versuch, Ians Todesgeschenk abzureißen, es zu neuer Wut anstachelte, hatte die Linie verwelkten Fleisches seine Hand erreicht, als hätte er die Fingerspitzen in schwarze Tinte getaucht, die nun unaufhaltsam in seiner Haut emporkroch.
»Du mußt es abreißen, Skar!« stammelte Kiina. Ihr Kopf flog mit einem Ruck in den Nacken, als sie die Errish anstarrte. »Helft ihm doch! Tut doch irgend etwas.«
»Beruhige dich, Kiina«, sagte Skar. »Gib mir ein paar Minuten. Ich kriege dieses verdammte Ding schon herunter. Aber es tut entsetzlich weh. Ich... brauche ein wenig Zeit, um Kraft zu sammeln.« Es gelang ihm sogar, überzeugend zu klingen, wenigstens für seine eigenen Ohren. Aber als er in Titchs Gesicht blickte, erkannte er, daß zumindest der Quorrl die Wahrheit wußte. Der Schmerz war unvorstellbar gewesen; das Schlimmste, was Skar jemals erlebt hatte. Viel zu schlimm, um es noch einmal zu versuchen. Vielleicht würde es ihm sogar gelingen, ihn zu ertragen, denn er war ein Satai, der seinen Körper hundertprozentig beherrschte. Aber das nutzte nichts. Selbst wenn er den Schmerz ertrug - er würde ihn einfach umbringen. Und der Quorrl wußte es.