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Einen schwächeren Mann als Skar hätte die Reise umgebracht, denn obwohl Jella die Wunde sofort ausgebrannt hatte, hatte er sehr viel Blut verloren, und dazu kam das Gift, das noch immer in seinem Körper wühlte; nicht mehr so grausam und schnell wie vor ihrem unfreiwilligen Aufenthalt im Turm der Zauberpriester, aber unerbittlich. Später erzählte ihm Kiina, daß er geschrien und um sich geschlagen hätte wie ein Rasender, so daß es selbst Titch manchmal schwergefallen war, ihn zu bändigen. Skar spürte, daß er dem Tod diesmal sehr nahe gewesen war; näher als jemals zuvor. Aber an all dies entsann er sich nur nebelhaft, als er am vierten Morgen nach ihrer Abreise das erste Mal wirklich erwachte.

Er war allein, und er fror, das waren die ersten Eindrücke, die er hatte, und beide waren sehr intensiv. Der Schmerz in seinem linken Arm war noch da, aber viel schlimmer war der Biß der Kälte, die sich wie eisiges Glas an seine Haut schmiegte. Es war nicht mehr völlig dunkel, aber auch noch nicht richtig hell, und aus irgendeinem Grund wußte er, daß es die Dämmerung des Morgens war, nicht der Sonnenuntergang. Wo war er? Skar setzte sich auf, mit vorsichtigen, kleinen Bewegungen, ohne den linken Arm zu belasten und jederzeit auf wütenden Schmerz gefaßt. Aber er kam nicht. Das Pochen in seiner linken Seite ließ nicht nach, aber es wurde auch nicht schlimmer. Er unterdrückte den Impuls, die Decke beiseite zu schlagen und seinen Arm zu betrachten. Er wußte, was er sehen würde, und er hatte Angst davor. Obwohl die letzten drei Tage für ihn praktisch nicht existierten, erinnerte er sich an alles, was vorher geschehen war. Er glaubte, Kiinas Schrei noch immer zu hören.

Dann begriff er, daß er tatsächlich etwas hörte. Es war ein Schrei, aber nicht der eines Menschen, sondern das mißtönende Krächzen eines Vogels - eines sehr großen Vogels, der Stimme nach zu urteilen -, der aber beruhigend weit entfernt war. Neugierig sah er sich um.

Er befand sich nicht in einem Gebäude, sondern lag auf moosbewachsenem, sehr kaltem Waldboden, und das Dach über ihm bestand nicht aus Stein oder Stroh, sondern aus den tiefhängenden Ästen der sonderbar dickstämmigen, geschuppten Nadelbäume, die ihn umgaben. Sein Blick reichte nicht sehr weit. Die kleine Lichtung, auf der sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, war auf allen Seiten von dornigem Gestrüpp umschlossen, so dicht, daß selbst ein weniger aufmerksamer Beobachter als Skar sofort begriffen hätte, daß irgend jemand kräftig dabei nachgeholfen hatte, den Lagerplatz im Unterholz zu tarnen. Nur eine Armeslänge neben ihm befand sich ein zweites, verlassenes Nachtlager aus Decken und Fellen, und auf der anderen Seite der Lichtung gewahrte er den Abdruck eines gewaltigen Körpers im Moos. Keine Feuerstelle, trotz der bitteren Kälte. Titch hatte es nicht gewagt, Feuer zu machen... Aber wo war er? Und vor allem - wo war Kiina?

In Skars Neugier mischte sich eine schwache Spur von Besorgnis. Er wußte nicht, wo er war. Er hatte Bäume und Büsche wie diese hier nie zuvor gesehen, aber die klirrende Kälte und die sonderbare Vegetation verrieten ihm, daß sie sich sehr weit im Norden befinden mußten. Nahe der Grenzen des Quorrl-Landes. Vielleicht schon hinter ihnen. Irgendwo in der grauen Dämmerung vor ihm knackte etwas. Skar setzte sich weiter auf, spannte sich unwillkürlich und erkannte Kiina in dem Schatten, der gebückt und fluchend aus der Mauer aus Dornen hervortrat, die die Lichtung umgab. Sie blieb mitten im Schritt stehen, als sie sah, daß er wach war, und obwohl er in dem schlechten Licht ihr Gesicht nicht erkennen konnte, spürte er ihr Erschrecken. Er versuchte zu lächeln, sagte sich, daß sie es wahrscheinlich ebensowenig sehen würde wie er umgekehrt ihre Reaktion, und wartete, bis sie ihren Schrecken überwunden hatte.

»Du bist... wach.« Mehr noch als das spürbare Stocken ließ ihn die Banalität der Worte begreifen, wie überrascht Kiina war, ihn nicht mehr schlafend vorzufinden. Sie war jetzt nahe genug, daß er ihr Gesicht erkennen konnte, aber der Ausdruck darauf war nicht der von Erleichterung. Im Gegenteil. Sie wirkte erschrocken, bestürzt, verängstigt - das alles und noch mehr, so daß er sich unwillkürlich fragte, was geschehen sein mochte, während er mit dem Tod gerungen hatte.

»Wo ist Titch?« fragte er, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. Kiina machte eine vage Geste hinter sich. »Er... wollte sich ein wenig umsehen. Aber er kommt gleich zurück.« Sie lächelte nervös, trat unsicher von einem Fuß auf den anderen und gab sich einen sichtbaren Ruck. »Wie fühlst du dich?«

»Gut«, antwortete Skar. Es war nicht einmal gelogen. Er hatte Schmerzen und war ein Krüppel und fror erbärmlich, aber er hatte trotzdem das intensive Gefühl, einen Kampf gewonnen zu haben, nicht verloren. »Wie lange war ich -«

»Drei Tage«, unterbrach ihn Kiina. »Wir sind in Cant.«.

»Cant?«

»Das Land der Quorrl. Sie selbst nennen es so. Wußtest du das nicht?«

Skar verneinte. Kiinas Lächeln wurde noch unsicherer und nervöser. Sie konnte nicht mehr still stehen, sondern begann sich unruhig hin und her zu bewegen. Ihr Blick glitt fast hilfesuchend über die Barriere aus Dornen und Zweigen hinter ihm. Aber der Grund ihrer Befangenheit war nicht irgend etwas, was geschehen war während seiner Bewußtlosigkeit, sondern er selbst. Die Furcht, die er spürte, war die, einem Sterbenden auf dem Totenbett gegenüberzutreten oder einem geliebten Menschen sagen zu müssen, daß er nur noch wenige Tage zu leben hatte. Jenes völlig unbegründete, aber quälende Gefühl der Mitschuld dem Schmerz anderer gegenüber, das Skar zu gut kannte, um nicht plötzlich seinerseits Mitleid mit Kiina zu empfinden. Es war nicht jedermanns Sache, schlechte Nachrichten zu überbringen. Er konnte das beurteilen. Er hatte es oft genug tun müssen.

»Setz dich zu mir«, bat er.

Kiina zögerte. Skar sah ihr an, daß sie am liebsten herumgefahren und einfach davongerannt wäre. Aber natürlich tat sie es nicht, sondern trat - in etwas größerer Distanz, als nötig gewesen wäre - um sein Lager herum und ließ sich mit angezogenen Knien auf ihre eigenen Decken sinken. Sie sah übermüdet aus, und sehr erschöpft. Die dunklen Ringe unter ihren Augen waren wieder da. Skar versuchte, ihren Blick einzufangen, aber sie wich ihm aus und griff nervös nach ihrer Decke, um sie sich fröstelnd über die Schulter zu hängen. Es war so kalt, daß ihr Atem dampfte.

»Ich fühle mich wirklich gut«, sagte Skar leise und so überzeugend, wie er konnte. Er streckte die Hand aus und versuchte ihre Wange zu streicheln. »Es gibt keinen Grund, traurig zu sein.« Seine Taktik war falsch. Kiina rückte fast erschrocken weiter von ihm weg und vergrub sich noch mehr in ihre Decke. Wenn sie sich auch oft genug noch wie ein Kind benahm, so spürte sie doch genau, wenn er versuchte, sie auch so zu behandeln, und es machte sie noch immer zornig. Er wünschte sich, Titch käme zurück.

»Warum erzählst du mir nicht, was passiert ist?« fragte er, müde, grundlos enttäuscht und nur, um überhaupt etwas zu sagen.

»Du erinnerst dich nicht?« fragte Kiina. »Deine Hand. Du hast -«

»Davon rede ich nicht«, unterbrach sie Skar. »Ich habe es selbst getan, weißt du? So leicht vergißt man das nicht. Ich meinte das, was danach geschehen ist. Wie sind wir hierher gekommen, und wo, verdammt nochmal, sind wir überhaupt?«