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Der Raum, in den er gelangte, war ebenso dunkel wie der winzige Verschlag, aber der bleiche Lichtschein, der ihm durch die Öffnung hindurch folgte, zeigte ihm wenigstens, daß er sehr viel größer war. Skar kroch ein paar Schritte weit, schloß die Augen und blieb reglos lauschend sitzen, bis er sicher war, allein zu sein. Dann richtete er sich auf, legte die rechte Hand auf das Schwert im Gürtel und flüsterte Kiina zu, nachzukommen. Es wurde hell, denn sie brachte die Lampe mit sich. Das winzige Ölflämmchen loderte hell auf, als frischer Sauerstoff an den Docht gelangte, und Skar konnte Schemen ihrer Umgebung erkennen. Sie befanden sich in einem großen, annähernd rechteckigem Raum, der das gesamte Innere des Gebäudes einnehmen mußte. An zwei der drei Wände stapelten sich Säcke und Ballen unbekannten Inhalts, und beiderseits der Tür, die der Rückwand genau gegenüberlag, waren mannslange, dicke Rundhölzer zu gewaltigen Bündeln zusammengebunden und aufeinandergestapelt. Es gab keine Fenster.

»Titch hat die Wahrheit gesagt«, murmelte Kiina, nachdem sie sich einmal im Kreis gedreht und dabei ihre Lampe geschwenkt hatte, um sich umzusehen. »Ein Lager.«

»Und offensichtlich eines, das lange Zeit nicht mehr betreten worden ist«, fügte Skar hinzu. Die Luft war hier etwas besser, aber sie roch noch immer trocken und alt und kratzte beim Atmen im Hals. Überall lag Staub.

Kiina zuckte mit den Schultern, stellte die Lampe auf den Boden und bewegte sich auf Zehenspitzen zur Tür. Ehe Skar Gelegenheit fand, sie zurückzuhalten, hatte sie die Hand nach dem Griff ausgestreckt und zog daran. Die Tür rührte sich nicht. »Und jetzt?« fragte Kiina enttäuscht, als sie sich zu ihm herumdrehte.

»Jetzt«, antwortete Skar, »tun wir genau das, was Titch gesagt hat. Wir warten auf ihn.«

»Oder ein Dutzend Quorrl-Bälger, das hereinkommt, um zu spielen«, sagte Kiina stirnrunzelnd.

Skar schwieg dazu. Auch er hatte sich aufmerksam umgesehen, und da waren ein, zwei Sachen, die doch nicht ganz zu dem paßten, was Titch erzählt hatte. Der Staub auf dem Boden, in dem nicht die geringste Spur war, oder der Umstand, daß es nicht das mindeste bißchen Schmutz in dem kleinen Verschlag jenseits der doppelten Rückwand gab, und nur ein einziges, vor mindestens zehn Jahren zerbrochenes Spielzeug.

Wortlos trat er neben Kiina, schob sie sanft zur Seite und betrachtete die Tür. Sie war noch massiver, als es von weitem den Anschein gehabt hatte, viel zu stark jedenfalls, um sie mit Gewalt zu öffnen, selbst wenn sie Werkzeug gehabt hätten und keine Rücksicht auf Lärm nehmen müßten. Aber sie war nicht sehr gut gearbeitet. Wie alles, was von den Quorrl stammte, war sie zweckmäßig und stark, aber grob; zwischen Blatt und Rahmen war ein fast fingerbreiter Spalt, durch den er bequem nach draußen sehen konnte.

»Mach das Licht aus«, sagte er.

»Warum?«

»Weil es draußen noch immer nicht richtig hell ist«, antwortete Skar ungeduldig. »Sie werden den Lichtschein sehen, wenn jemand zufällig vorbeikommt.«

»Und wer sollte das sein?« fragte Kiina spöttisch, beeilte sich aber trotzdem, seiner Anweisung zu folgen und die Flamme auszublasen. »Dort draußen ist niemand. Und schon gar keiner, der irgend etwas zufällig tut.«

Skar sah sich ärgerlich nach ihr um, ehe er wieder nach draußen blickte. Kiinas Worte kamen der Wahrheit näher, als ihm lieb war. Die schmale Straße, die er durch den Türspalt hindurch zum Teil überblicken konnte, war vollkommen leer. Und obwohl es noch immer nicht hell genug war, um viele Einzelheiten zu erkennen, kam sie ihm auf die gleiche, unheimliche Weise verlassen und leer vor wie dieses Lagerhaus. In keinem der Häuser brannte Licht. Nirgends ein Laut. Er begann sich zu fragen, ob in dieser Stadt überhaupt jemand lebte.

»Auf jeden Fall kommen wir hier heraus«, sagte er nach einer Weile. Kiina sah ihn fragend an, und Skar deutete erklärend auf den wuchtigen Riegel, der von außen vor der Tür lag. Ihn durch den Türspalt hindurch mit einem Messer anzuheben oder nötigenfalls mit seinem Tschekal zu zerschlagen, war kein Problem. »Dann sollten wir es tun«, schlug Kiina vor.

»Und einem Quorrl in die Arme laufen, der gerade seinen Nachttopf ausleert?« Skar schüttelte entschieden den Kopf. »Ganz bestimmt nicht. Wir warten hier, bis Titch kommt.«

»Und wenn er nicht kommt?«

Skar wußte, was Kiina meinte. Sie hatte so deutlich wie er gesehen, wie die beiden Quorrl Titch in die Mitte genommen hatten. Einen Moment lang sah er sie nur an, dann zuckte er mit den Schultern, drehte sich demonstrativ von der Tür weg und ließ sich vor einem der Säckestapel zu Boden sinken. Er war müde, aber nicht sehr; und ein wenig mutlos. Sein Armstumpf tat weh.

Sekundenlang blieb Kiina einfach in der Dunkelheit stehen und starrte ihn an, ehe sie sich mit einer eindeutig verärgerten Bewegung herumdrehte und seinen Platz an der Tür einnahm. Skar schloß die Augen, obgleich er wußte, daß es ein Fehler war. Er würde einschlafen, wenn er nicht sehr, sehr aufpaßte, und allein dieses Achtgeben verlangte schon mehr Willenskraft von ihm, als er im Moment noch aufbringen konnte.

Trotzdem gestattete er sich den Luxus, die betäubende Schwere in seinen Gliedern als angenehm zu empfinden und sich und seine Gedanken einfach treiben zu lassen. Mit Ausnahme jener einen, viel zu kurzen Nacht in der Bergfestung hatte er noch keine Gelegenheit gefunden, wirklich über alles nachzudenken; und da war er noch viel zu betäubt und erschlagen von dem Erlebten gewesen, um seine Tragweite auch nur annähernd zu begreifen.

Er war sich auch nicht sicher, ob er es jetzt tat. Er war sich nicht einmal sicher, ob er alles, woran er sich zu erinnern glaubte, auch wirklich erlebt hatte. Der Dämon unter dem Turm, jenes schreckliche Geschenk der Vergangenheit - war das alles wirklich? Oder nur ein weiterer Schachzug in diesem schier endlosen Spiel aus Lügen und Täuschungen, in dem er selbst mitspielte, ohne zu wissen, auf welcher Seite er stand?

Er wußte es nicht. Er hatte etwas gesehen, aber es kam ihm jetzt, mit dem Abstand einiger Tage und dem Gefühl des wieder-einmal-überlebt-zu-haben, bizarr und irreal vor. Vielleicht war der Dämon nicht das gewesen, was er zu sehen glaubte. Vielleicht hatte er die gehörnte Scheußlichkeit nur erblickt, weil sie genau das war, was er zu sehen erwartete.

Der Gedanke beruhigte ihn nicht. Im Gegenteil. Er verstärkte auf grundlose, aber jeden Zweifel ausschließende Art nur seine Überzeugung, daß Titch und er irgend etwas geweckt hatten, als sie Ennart töteten. Und es war noch da. Er hatte es nicht besiegt, nicht einmal vertrieben. Es war noch da, und es durchstreifte vielleicht gerade jetzt die Welt dort draußen auf der Suche nach einem neuen Opfer oder vielleicht auch ihm, und es - »Skar!«

Kiinas Ausruf riß ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück. Er öffnete die Augen, begriff, daß er eingeschlafen war und Minuten vergangen sein mußten, und sprang auf, ohne kostbare Zeit damit zu verschwenden, zu erschrecken. Mit zwei, drei raschen Schritten war er neben Kiina und spähte durch den Türspalt. Es war mittlerweile vollends hell geworden, aber die Straße lag so ausgestorben und leer da wie zuvor. Fragend und alarmiert zugleich sah er Kiina an.

»Titch«, antwortete das Mädchen. »Sie haben ihn weggeführt. Zwei Quorrl.« Sie deutete eine Kopfbewegung zum Ende der Straße an. Ihr Gesicht war sehr besorgt.

»Und?«

»Er war in Ketten«, sagte Kiina.

»Bist du sicher?«

»Völlig«, antwortete Kiina, und allein der Umstand, daß sie nicht die Gelegenheit zu einer schnippischen Antwort nutzte, überzeugte Skar endgültig davon, daß sie die Wahrheit sprach. »Wohin sind sie gegangen?« fragte er. »Nach rechts oder links?«

»Links.« Kiina trat einen halben Schritt zurück und zog ihr Schwert aus dem Gürtel.