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»Was hast du vor?« fragte Skar.

»Ihn befreien«, antwortete Kiina entschlossen. »Was denn sonst?«

Skar unterdrückte ein Lächeln. Noch vor einer Woche hätte Kiinas Antwort zu fliehen gelautet, und zwar mit derselben Selbstverständlichkeit. Aber er hob sich seine Zufriedenheit für später auf und schüttelte den Kopf. »Du bleibst hier«, befahl er. »Ich gehe.«

»Du?« Es kostete Kiina sichtliche Mühe, nicht verächtlich die Lippen zu schürzen oder eine abfällige Bemerkung zu machen, aber irgend etwas mußte in seinem Blick sein, was ihr klar machte, daß Widerspruch in diesem Moment nicht sinnvoll war. Nach einer Sekunde zog sie die Hand zurück und zuckte verärgert mit den Schultern. »Soll ich dir versprechen, hier auf dich zu warten?« fragte sie.

»Dieses Versprechen würdest du sowieso nicht halten, oder?« fragte Skar.

»Kaum.«

»Du bleibst hier«, sagte Skar. »Behalte die Straße im Auge, bis ich verschwunden bin, dann kommst du mir nach. Aber vorsichtig. Ich brauche jemanden, der meinen Rücken deckt, niemanden, der Heldentaten vollbringt. Hast du das verstanden?«

Sie nickte wortlos, aber vielleicht war es gerade die knappe Art ihrer Antwort, die ihn davon überzeugte, daß sie tun würde, was er verlangte. Auch sie hatte sich verändert, begriff er plötzlich. Sie hatte angefangen, ein Gespür für Gefahr zu entwickeln. Er drehte sich zur Tür und spähte noch einmal auf die Straße hinaus. Sie lag noch immer still da. Die drei Türen, die er sehen konnte, waren geschlossen, und in den Häusern rührte sich nichts. Er hörte auch keinen Laut. Die Stadt schien ausgestorben zu sein. Trotzdem erfüllte ihn der Gedanke, dort hinausgehen zu sollen, mit allem anderen als Zuversicht. Es war eine winzige Stadt, aber es war eine Stadt der Quorrl, die ihn in Stücke reißen würden, noch ehe er Gelegenheit fand, irgend etwas zu erklären. Behutsam schob er die Klinge seines Schwertes unter den Riegel und versuchte ihn anzuheben. Er bewegte sich leichter, als er erwartet hatte. Aber nur im ersten Moment. Dann verkantete er sich, mit einem Ruck, der Skar klar machte, daß er sich nie wieder bewegen würde. Mit einem bedauernden Seufzer zog er das Schwert zurück, schob es oberhalb des Riegels erneut durch den Türspalt und ließ die Klinge mit aller Gewalt niedersausen. Der rasiermesserscharfe Stahl seines Satai-Schwertes zerschnitt das morsche Holz fast ohne spürbaren Widerstand. Aber es gab einen peitschenden Knall, der in Skars Ohren wie ein Kanonenschuß klang und endlos zwischen den Häusern der schmalen Gasse widerzuhallen schien.

Trotzdem zögerte er keine Sekunde mehr, sondern sprengte die Tür mit der Schulter vollends auf, sprang mit einem Satz auf die Straße hinaus und sah sich blitzschnell nach beiden Seiten um. Nichts.

Die Häuser lagen verlassen und still wie große steinerne Gräber da, eine monotone Reihe würfelförmiger schwarzer Klötze, hinter deren Türen und Fenstern sich kein Leben regte. Skar war jetzt nahezu davon überzeugt, daß es in dieser Stadt keine Quorrl mehr gab. Und das schon seit langer Zeit.

Er wandte sich nach links, huschte geduckt die Straße hinunter und preßte sich dicht vor der Wegkreuzung gegen die Wand. Er lauschte. Aber er hörte auch jetzt nichts außer dem Heulen des Windes und dem Hämmern seines eigenen Herzens. Unendlich vorsichtig schob er sich weiter, spähte um die Ecke und atmete erleichtert auf, als er auch diese Straße leer sah. Er zögerte noch einen Moment, um sich herumzudrehen und konnte mit einem Winken zu Kiina signalisieren, daß alles in Ordnung war, dann packte er sein Schwert fester und lief mit schnellen Schritten weiter.

Die Straße endete nach einem Dutzend Schritte vor der hölzernen Palisadenwand der Stadt. Der Weg führte auch hier in beide Richtungen. Skar wandte sich wahllos nach links, begriff nach ein paar Schritten, daß er in eine Sackgasse lief, und machte wieder kehrt.

Um ein Haar wäre er in Titch und seine beiden Bewacher hineingelaufen. Die Quorrl waren wieder von der Hauptstraße abgebogen, dann aber aus irgendeinem Grunde stehengeblieben, so daß Skar fast im vollen Lauf gegen einen der Schuppenkrieger prallte und erst im letzten Moment zum Stehen kam.

Was ihn rettete, das waren allein die Überraschung der Quorrl - und Titch. Die beiden Krieger starrten ihn für die Dauer eines halben Atemzugs total überrascht an und rissen dann in einer nahezu synchronen Bewegung ihre Schwerter aus den Gürteln, aber Titch reagierte noch schneller. Mit einem wütenden Knurren warf er sich gegen den Quorrl zu seiner Rechten und riß ihn allein durch die ungestüme Wucht seines Anpralles zu Boden, so daß Skar wenige, kostbare Sekunden gewann, in denen er es nur mit einem der vierhundert Pfund schweren Kolosse zu tun hatte.

Sein Schwert bewegte sich in einer komplizierten, kreiselnden Bewegung auf den Quorrl zu, stach nach seiner freien, linken Hand und durchbohrte sie. Der Quorrl schrie vor Schmerz und Wut auf und taumelte zur Seite. Skar setzte ihm nach, duckte sich blitzschnell, als der Quorrl wütend nach ihm hieb, und stach nach seinen Beinen. Das Tschekal traf die rechte Fessel des Schuppenkriegers und durchtrennte seine Sehne. Der Riese wankte, versuchte vergeblich sein Gleichgewicht zu halten und kippte in einer grotesk langsamen Bewegung nach hinten. Skar setzte ihm nach und schlug ihm die flache Seite seines Schwertes gegen den Schädel. Der Quorrl keuchte vor Schmerz, versuchte sich noch einmal aufzurichten und verlor mitten in der Bewegung das Bewußtsein.

Als Skar herumfuhr, saß er gerade noch, wie sich der zweite Quorrl fluchend unter Titchs Körper hervorarbeitete, wobei er zwei-, dreimal hintereinander wuchtig mit dem Schwertknauf nach Titchs Schläfe hieb.

Skar ließ ihm nicht die geringste Chance. Er verschwendete keine Zeit darauf, fair zu kämpfen; mit nur einer Hand und geschwächt, wie er war, konnte er sich einen Luxus wie Ritterlichkeit nicht leisten. Mit einem Satz war er bei ihm, versetzte dem Koloß einen Tritt gegen die Seite, der ihn abermals zu Boden fallen ließ, und stieß ihm die Klinge in die Brust. Der Quorrl starb ohne einen Laut.

Schweratmend ließ Skar das Schwert fallen, wankte zu Titch hinüber und sank neben ihm auf die Knie. Der Quorrl hatte trotz der furchtbaren Hiebe gegen seinen Schädel das Bewußtsein nicht verloren, wirkte aber benommen und schien ihn im ersten Augenblick nicht einmal zu erkennen, als Skar ihn mühsam auf den Rücken drehte. Sein Gesicht war voller Blut.

»Alles in... in Ordnung?« sagte Skar mühsam. Sein Atem ging schnell und stoßweise, und sein Puls jagte. Der kurze Kampf hatte ihn vollkommen erschöpft.

Titch nickte, verzog das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse und versuchte das Blut wegzublinzeln, das ihm in die Augen lief. Skar nahm einen Zipfel seines Mantels und wischte die Stirn des Quorrl sauber.

»Danke«, grunzte Titch. »Aber es wäre einfacher, wenn du mich losbinden würdest, meinst du nicht?«

Skar blickte ihn einen Moment lang betroffen an, ehe er sich fast hastig bückte und die Ketten löste, die Titchs Handgelenke zusammenhielten. Der Quorrl schleuderte seine Fesseln mit einem wütenden Laut davon, stand wortlos auf und bückte sich nach dem Tschekal, das zwei Schritte neben ihm auf der Straße lag. Noch ehe Skar wirklich begriff, was er vorhatte, hob er die Waffe auf, ging zu dem bewußtlosen Quorrl hinüber - und schnitt ihm mit einem einzigen, wütenden Hieb die Kehle durch. »Was, zum Teufel, -?!«

Titch fuhr mit einem Knurren herum. Sein Gesicht war zu einer Grimasse aus Blut und Haß geworden, und seine Augen schienen zu brennen. Drohend richtete er die Schwertspitze auf Skar. »Sag nichts, Mensch!« grollte er. »Was immer du sagen willst, behalte es für dich!«

Skar schwieg. Was Titch getan hatte, entsetzte ihn, aber er kannte den Quorrl auch gut genug, um zu wissen, daß es nicht grundlos geschehen war. Und wenn Titch nicht über diese Gründe sprechen wollte, so war das seine Sache.