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Skar setzte dazu an, zu widersprechen. Aber dann sah er das warnende Funkeln in Titchs Augen und schwieg. Ohne ein weiteres Wort wandten Kiina und er sich um und ging in die tote Stadt hinein.

14.

Es verging mehr als eine Stunde, bis Titch zu ihnen zurückkam. Seine Hände waren voller Blut, das nicht das seine war, und sein Gesicht starr. Skar widerstand der Versuchung, ihn sofort zu fragen, was er erfahren hatte, und zu seiner Überraschung schwieg auch Kiina (die im übrigen während der gesamten Zeit kein einziges Wort mit Skar geredet hatte). Sie stand einfach wortlos auf, nahm einen Krug mit Wasser von einem Regal und schenkte eine hölzerne Schale voll, die sie Titch hinstellte. Der Quorrl blickte sie eine Sekunde lang verwirrt an, ehe er begriff und die Hände in das Wasser tauchte, um das Blut abzuwaschen. Skar sah ihm mit wachsender Ungeduld zu, aber er beherrschte sich weiter. Es war besser, den Quorrl reden zu lassen, als ihn zu fragen.

»Bist du hungrig?« fragte Kiina. Sie hatten ausreichend Vorräte in dem Haus gefunden, das nur wenige Schritte vom Tor entfernt lag; gerade weit genug, daß sie die Schreie des Quorrl nicht hören konnten. So arm die Ortschaft gewesen war, schienen ihre Bewohner keinen Hunger gelitten zu haben: die Vorratskammern waren voll, und der Speiseplan der Quorrl schien nicht halb so eintönig gewesen zu sein, wie der Anblick ihres öden Landes vermuten ließ.

Titch schüttelte den Kopf, nickte aber nach einer Sekunde doch und ließ sich erschöpft am Tisch nieder, während Kiina ging, um Brot und kaltes Fleisch zu holen.

Sie brachte drei Teller mit als sie zurückkam, und sie verbrachten die nächste Viertelstunde damit, schweigend zu essen. Skar war sehr hungrig, und die ersten Bissen, die er herunterschlang, schürten diesen Hunger eher, als ihn zu befriedigen. Er mußte sich beherrschen, um nicht Brot und Fleisch in sich hineinzustopfen, ohne auf Benehmen und Anstand zu achten. Sein Blick suchte immer wieder Titchs Hände. Der Quorrl hatte das Blut seines Rassegenossen vollständig abgewaschen, aber Skar glaubte es trotzdem noch zu sehen. Er verscheuchte den Gedanken. »Sie gehörten zur Tempelwache«, sagte Titch unvermittelt. Skar sah von seinem Teller auf und beherrschte sich im letzten Moment, Titch zu fragen, von welchem Tempel er redete. Der Quorrl starrte ins Leere. Er hatte längst aufgehört zu essen, aber seine Raubtierzähne mahlten immer noch. »Sie sind vor zwei Tagen gekommen. Einen Tag, nachdem wir...«

»Den Ssirhaa getötet haben«, fügte Skar hinzu, als Titch nicht weitersprach.

»Das kann ein Zufall sein«, vermutete Kiina.

»Ja. Oder auch nicht.« Skar ließ das Stück Brot sinken, an dem er gekaut hatte, und sah Titch gleichermaßen aufmerksam wie fordernd an. Er hatte plötzlich keine Lust mehr, Rücksicht zu nehmen. Zwischen Kiina und Titch war seit seinem Erwachen am frühen Morgen eine Vertrautheit, die ihn freuen sollte, aber das Gegenteil bewirkte. Die beiden waren noch lange nicht zu Freunden geworden, aber es war etwas zwischen ihnen, das Skar ausschloß. Er war eifersüchtig.

»Zu welcher Tempelwache?« fragte er. »Und warum haben sie das hier getan? Was haben die Leute in diesem Dorf verbrochen, daß sie so hart bestraft wurden?«

»Und von wem?« fügte Kiina hinzu.

»Getan?« Titch schloß für Sekunden die Augen. Seine Hände schlossen sich so fest um die Tischkante, daß das zollstarke Holz knirschte. Es waren nicht irgendwelche Quorrl, die in diesem Dorf erschlagen worden waren, erinnerte sich Skar. Es war Titchs Familie gewesen. Seine Freunde.

»Getan? Sie haben ...« Er brach abermals ab, suchte sichtbar nach den richtigen Worten und fuhr mit einem bitteren Lächeln und direkt an Skar gewandt fort: »Sie waren menschlich, Satai. Sie haben Flüchtlingen Unterschlupf gewährt. Männer, die sie hätten ausliefern müssen. Männern wie mir.«

Skar verstand nicht gleich. Titch war der letzte Überlebende der kleinen Quorrl-Armee, mit der sie aufgebrochen waren. Alle anderen waren bei der Schlacht gegen den Dronte getötet worden; oder später von Anschis Drachenreiterinnen.

»Ich bin nicht der einzige Überlebende des Heeres«, antwortete Titch. »Es gibt... einige, die den Befehl mißachtet haben und zurückgekommen sind.«

»Welchen Befehl?« fragte Kiina verwirrt.

Titch blickte sie an; schwieg.

»Zu sterben«, sagte Skar leise.

Kiina erschrak nicht einmal - und wie auch? Sie wußte es ja nicht. Vielleicht waren Skar und Del die einzigen Menschen auf diesem ganzen Planeten, die wußten, daß die Quorrl ihnen ein Heer von Toten geschickt hatten. Er sah Titch an, und der Quorrl gab ihm mit einem kaum angedeuteten Kopfnicken die Erlaubnis, weiter zu sprechen.

»Die Quorrl hatten den Befehl, zu sterben«, wiederholte er, leise, mit mühsam beherrschter Stimme und einem Gefühl des Mitschuldig-Seins, das er selbst nicht ganz verstand.

»Zu sterben? Du meinst, sie...« Kiina sog hörbar die Luft ein und starrte erst Skar, dann den Quorrl voller Unglauben an. »Ihr solltet... Selbstmord begehen?«

»Nein«, antwortete Titch. »Das falsche Wort, Mensch. Wir sind schon tot. Kein Krieger, der die Kampfesweihe empfangen hat, darf das Land seiner Geburt wieder betreten. Das war immer so, und es wird immer so sein.«

»Aber das ist doch verrückt!« protestierte Kiina. »Das ist doch völliger Wahnsinn!«

»Wieso?« fragte Titch ruhig. »Ist es vernünftiger, Männer in ihre Heimat zurückzulassen, die das Töten gelernt haben?« Sie waren nicht die ersten! dachte Skar verblüfft. Anders als Kiina hatte er von dem furchtbaren Todesbefehl des Quorrl-Heeres gewußt, fast vom ersten Tag an, aber er hatte angenommen, es wäre eine Ausnahme, dieser Befehl wäre - warum auch immer - zum ersten Mal erteilt worden. Was Titch jetzt erzählte, überraschte auch ihn.

»Dann gibt es keine Krieger bei euch?« fragte Kiina, die offenbar schneller als Skar begriff, was Titchs Worte wirklich bedeuteten.

»Keine, die gekämpft hätten«, bestätigte Titch. »Und es ist gut so.«

Skar starrte den Quorrl an. Was Titch erzählte, war nicht nur eine Überraschung. Es stellte das ganze Bild in Frage, das Skar - und nebenbei jeder einzelne Mensch auf Enwor - von den Quorrl hatte. Quorrl, das bedeutete Kampf, Gewalt, Haß und Angst; ein Volk von furchteinflößenden Ungeheuern, bei denen selbst die Kinder schon Kämpfen und Töten lernten, ein Volk von reißenden Bestien, die wie Tiere lebten und handelten und deren bloßer Name Schrecken und Panik verbreitete.

Aber vielleicht stimmte dieses Bild nicht, dachte er. Vielleicht war es nur das, was die Menschen außerhalb von Cant glaubten, und vielleicht sogar, weil sie es glauben sollten. Er begriff plötzlich, daß Titch Kiina und ihm mehr als eine bloße Information gegeben hatte. Er hatte ihnen ein Geheimnis verraten, vielleicht das größte und bestgehütete Geheimnis seines Volkes.

»Aber einige sind zurückgekommen«, murmelte er, nur, um das quälend werdende Schweigen zu durchbrechen. »Du bist nicht der einzige, der seinen Schwur gebrochen hat.«

»Das habe ich nicht«, fuhr ihn Titch an. »Du hast mich gezwungen, es -«

»Das war kein Vorwurf«, unterbrach ihn Skar. »Im Gegenteil, Titch. Begreifst du denn nicht, daß du nichts Falsches getan hast? Du bist nicht der einzige, der die Sinnlosigkeit dieses Befehles eingesehen hat.«

»Er ist nicht sinnlos, Satai. Er hat es unserem Volk ermöglicht, zu überleben, all die Zeit.«

»Indem ihr euch opfert?« Skar lachte böse. »Kiina hat recht. Das ist verrückt.«

»In deinen Augen vielleicht«, antwortete Titch. »Ihr tut es nicht, ich weiß. Ihr lehrt euren Männern und Frauen das Kämpfen, aber ihr lehrt sie nicht, zu sterben.«

»Der Sinn eines Kampfes ist im allgemeinen, ihn zu überleben«, sagte Skar vorsichtig.