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In der dritten Nacht bekam Skar wieder Fieber. Seine Verletzung hatte ihm bisher erstaunlich wenig zu schaffen gemacht, die Wunde heilte gut und schmerzte fast gar nicht mehr, aber der rasende Flug hierher und der unmittelbar anschließende Gewaltritt waren für ihn zu viel. Den Weg hierher hatte er mit Kraftreserven bewältigt, die er eigentlich nicht antasten durfte; dem geheimen Reservoir an Lebenskraft, das tief in jedem Menschen schlummerte, das ein Satai aber ungleich besser zu nutzen verstand. Aber auch diese Reserven waren irgendwann einmal aufgebraucht, und dieser Moment schien jetzt erreicht zu sein. Bis zum Morgen war das Fieber so weit gestiegen, daß er zu phantasieren begann. Er stürzte zweimal vom Pferd, bis Titch ihn kurzerhand am Sattel festband. Er verlor ein paarmal das Bewußtsein, und im Laufe des Tages begannen sich seine Sinne so weit zu verwirren, daß er kaum noch etwas von dem registrierte, was um ihn herum und mit ihm geschah. Irgendwann hörte der Wald auf, und dann waren Stimmen da und Bewegung und große geschuppte Schatten, die sie umgaben. Und dann nichts mehr.

Irgendwie begriff er, daß man ihn vom Pferd hob und wegtrug; es waren sehr starke Hände, die ihn hielten, viel stärker als die Kiinas, stärker sogar noch als die Titchs, und irgendwann im Verlauf der folgenden Nacht registrierte er auch noch, daß er wieder in einem Zimmer war, nicht mehr auf einem Lager unter freiem Himmel. Etwas war falsch an diesem Raum, und an den Gestalten, die ihn umgaben und sich um ihn sorgten, aber sein Vermögen, war zu denken, reichte nicht mehr aus, zu ergründen, was so falsch und bedrohlich an diesen Eindrücken war. Als er erwachte, war es wieder Morgen. Durch ein schmales, sehr hohes Fenster direkt neben seinem Bett fiel staubdurchwobenes Sonnenlicht auf sein Lager, und sein linker Arm tat entsetzlich weh; jemand machte sich daran zu schaffen. Er begriff instinktiv, daß es der Schmerz gewesen war, der ihn weckte, und er versuchte ebenso instinktiv, den Arm wegzuziehen. Er konnte es nicht. Der Schmerz wurde noch schlimmer, als eine harte, horngepanzerte Hand nach seinem Armstumpf griff und ihn festhielt. Ein dumpfes Dröhnen war hinter seiner Hand.

Skar wandte stöhnend den Kopf und blickte in ein Gesicht, das er im allerersten Moment für das Titchs hielt, bis ihm die Unterschiede auffielen: es war ein wenig schmaler, sehr viel älter und von einer Unzahl kleiner weißer Narben und Linien zerfurcht, die ihm etwas Maskenhaftes gaben. Die Knochenwülste über den Augen waren kleiner, und das spitze Gebiß unter den rissigen Lippen wies große Löcher auf. Der Quorrl mußte sehr alt sein.

»Wer bist du?« fragte Skar.

In den pupillenlosen dunklen Augen war kein Verstehen. Der Quorrl versuchte zu lächeln und machte gleichzeitig mit der freien Hand ein Zeichen, ruhig liegen zu bleiben. Skar gehorchte, schon wegen der Schmerzen, die ihm der unbarmherzige Griff des Reptilienwesens bereitete. Er ließ sich zurücksinken, drehte den Kopf noch ein wenig weiter und sah mit einer Mischung aus Neugier und Entsetzen auf seinen Armstumpf herab.

Es war das erste Mal, daß er die Wunde wirklich sah, und der Anblick traf ihn härter, als er erwartet hatte. Wo bisher ein harmloser weißer Verband gewesen war, erblickte er nun schwarz verkohltes, narbiges Fleisch, in dem sich Entzündungsherde wie kleine blutige Münder eingenistet hatten. Der bloße Anblick steigerte den Schmerz fast ins Unerträgliche, und die Finger des Quorrl taten ein Übriges dazu, ihm die Tränen in die Augen zu treiben. Aber er biß die Zähne zusammen und ertrug alles stumm. Er wußte weder, wo er war, noch wer dieser Quorrl mit dem vernarbten Gesicht war, aber etwas sagte ihm, daß er nichts zu befürchten hatte. Und selbst wenn - er war nicht in der Lage, irgend etwas zu unterscheiden. Das Fieber hatte ihn weiter geschwächt. Er bezweifelte, daß er auch nur die Kraft gehabt hätte, aufzustehen; geschweige denn, davonzulaufen.

Es dauerte lange, bis der Quorrl aufhörte, sich an seinem Arm zu schaffen zu machen. Er untersuchte und reinigte die Wunde sehr gründlich - allerdings nicht besonders sanft - und trug am Schluß eine dicke, übelriechende graue Salbe auf, die im ersten Moment wohltuend kühlte und dann wie Feuer zu brennen begann. Schließlich bandagierte er Skars Arm neu; und so fest, daß es ihm schon wieder die Tränen in die Augen trieb.

Skar rechnete damit, daß er nun aufstehen und gehen würde, um jemanden zu holen, aber der alte Quorrl blieb noch eine geraume Weile an seinem Lager sitzen und betrachtete aufmerksam sein Gesicht.

»Du sehr tapfer bist«, sagte er plötzlich mit einer Stimme, die wie zerbrechendes Glas klang, und sehr langsam, fast schleppend, aber auch beinahe akzentfrei. »Für einen Menschenmann.«

»Du sprichst unsere Sprache?« antwortete Skar überrascht. »Wenig«, antwortete der Quorrl. »Aber verstehen alles. Schmerzen?«

Skar wollte automatisch den Kopf schütteln, aber noch bevor er es tat, begriff er, wie albern das wäre. Der Quorrl war Arzt, oder zumindest einer, dessen Fähigkeiten denen der Errish nahe kamen. Er nickte.

»Willst... Mittel gegen Schmerz?«

»Wenn du etwas hast.«

Der Quorrl überlegte eine Weile, rührte sich aber nicht.

»Habe«, antwortete er schließlich. »Aber dann schlafen. Lang und tief schlafen. Titch sagt, du nicht willst.«

»Titch ist hier?« entfuhr es Skar.

Was für eine dumme Frage, antwortete der Blick der dunklen Quorrl-Augen. Laut sagte das Schuppenwesen: »Ja. Holen?«

»Und Kiina?«

»Menschenjunges?« Wieder nickte der Quorrl. Dann schüttelte er fast gleichzeitig den Kopf. »Menschenkind hier, aber nicht da. Später sehen. Keine Angst. Keine Gefahr. Freunde.« Aus irgendeinem Grund glaubte Skar dem Quorrl. »Dann geh und hole Titch«, bat er. »Ich muß mit ihm reden.«

Der Quorrl stand auf - Skar sah jetzt, daß er sehr klein war für einen Quorrl, kaum größer als er selbst, und er sah auch, daß er sich gründlich getäuscht hatte: es war kein Quorrl, sondern eine Quorrl-Frau -, schlurfte zur Tür und blieb noch einmal stehen. Ihre Blicke wurden fragend. »Da etwas, ich nicht verstehe«, sagte sie. »Bin Heilerin. Lindere Wunden und Schmerz. Aber kann nicht richtig helfen.« Sie deutete auf Skars Armstumpf. »Nicht nur Wunde. Mehr in dir. Du... krank?«

Skar antwortete nicht gleich. Die Worte der Quorrl weckten eine Erinnerung in ihm, die er nicht haben wollte. »Ja«, sagte er schließlich, leise und in einem Ton, der der Quorrl klar machen mußte, daß er nicht darüber reden wollte.

Aber sie blieb hartnäckig. »Wie krank?« fragte sie. »Mädchen auch krank. Nicht so schlimm wie du, aber gleich. Was? Gift? Fieber aus Sümpfen? Ich wissen, sonst nicht richtig helfen. Vielleicht sterben.«

»Ich weiß«, murmelte Skar. »Aber du kannst mir nicht helfen.« Er versuchte zu lächeln und richtete sich wieder auf seinem Lager auf. »Du hast genug für mich getan«, sagte er. »Jetzt geh und hole Titch - bitte.«

Ein menschlicher Arzt hätte vielleicht widersprochen, aber die Quorrl drehte sich einfach um und ließ Skar allein.