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Erst am Morgen des dritten Tages sah er Titch wieder. Er schlief noch, und vor dem Schießscharten-Fenster war noch Nacht, als der Quorrl lautstark in sein Zimmer gepoltert kam und ihn wenig sanft an der Schulter rüttelte, bis er müde und widerwillig die Augen öffnete.

»Was...?!«

»Steh auf«, sagte Titch. »Rasch. Und nimm alles mit.«

In seiner Stimme war ein fast panischer Unterton, der Skar schlagartig vollends wach werden ließ. Ohne Zeit mit einer Frage zu verschwenden, stand er auf, sammelte seine Kleider ein und sah sich noch einmal aufmerksam um, ob er nichts vergessen hatte. Titch wartete reglos unter der Tür, aber es fiel ihm schwer, zu verbergen, wie ungeduldig er war. Etwas war passiert, dachte Skar. Der Quorrl hatte Angst.

Sie verließen die Hütte und überquerten den Hof, steuerten jedoch diesmal nicht Crons Wohnhaus an, sondern gingen in die entgegengesetzte Richtung, zu einem großen, würfelförmigen Gebäude, das als einziges hier auf dem Hof ganz aus Stein erbaut war und keine Fenster hatte. Auf halbem Wege begegnete ihnen eine Gruppe Quorrl, mit denen Titch einige hastige Worte in seiner Muttersprache wechselte. Skar verstand sie nicht, aber die Betonung und die raschen, nervösen Gesten, mit denen Titch sprach, verrieten ihm ihren Sinn sehr deutlich. »Krieger?« fragte er einfach, als sie weitergingen.

Titch warf einen hastigen Blick nach Norden, ehe er antwortete. »Ja. Aber sie kommen nicht unsertwegen.«

»Warum verstecken wir uns dann?«

Titch starrte ihn finster an. Seine Antwort bestand nur darin, daß er schneller ging, nicht aus einer Erklärung. Sie erreichten den würfelförmigen Bau. Titch hämmerte mehrmals lautstark mit der Faust gegen die Tür, und Skar konnte hören, wie drinnen ein schwerer Riegel zurückgezogen wurde. Metall klirrte, dann öffnete sich in der Tür ein schmaler Spalt aus gelbem Fackellicht, in dem die Silhouette eines riesenhaften Quorrl erschien. Skar wußte, daß sie Cron gegenüberstanden, obwohl er sein Gesicht nicht erkennen konnte, denn vor dem hellerleuchteten Hintergrund der Tür blieb der Quorrl ein flacher finsterer Schatten. Dicht hinter Titch huschte er ins Haus und blieb wieder stehen, während Cron die Tür schloß und sorgsam den Riegel vorlegte. Neugierig sah er sich um. Der Raum war groß - allerdings nicht so groß, daß er die ganze Breite des Gebäudes eingenommen hätte - und fensterlos. Auf dem Boden lag schmutziges Stroh, und es stank fürchterlich nach Fäulnis und Exkrementen. Aber es war kein Quorrl-Geruch...

Cron sagte ein einzelnes, herrisch klingendes Wort zu Titch und wandte sich um. Skar wollte ihm ganz instinktiv folgen, aber Titch hielt ihn mit einer groben Geste zurück. »Einen Augenblick, Satai.«

Skar sah den Quorrl verwirrt - aber auch ein bißchen alarmiert - an. Es kam selten vor, daß Titch ihn Satai nannte, und noch seltener war es etwas Angenehmes, was ihn zu dieser Wortwahl bewog.

Titchs Hand machte eine wedelnde Geste in die Richtung, in der Cron verschwunden war. »Du wirst etwas sehen, was kein Mensch sehen darf«, sagte er. »Ich weiß nicht, warum Cron es tut. Vielleicht hat er vor, dich zu töten, hinterher. Vielleicht glaubt er uns auch, aber es spielt keine Rolle.«

»Worauf willst du hinaus?« fragte Skar.

»Es wird dein Geheimnis bleiben«, fuhr Titch unbeirrt fort. »Wenn du von dem, was du hier erlebst, auch nur ein Wort verrätst, werde ich dich töten.«

»Ich werde schweigen«, antwortete Skar. »Egal, was es ist.«

»Dein Wort«, verlangte Titch.

»Mein Wort als Satai - oder dein Freund?«

»Dein Wort«, beharrte Titch. »Ich will dich nicht töten müssen, aber ich werde es tun, wenn du mich dazu zwingst. Du kennst schon zu viele Geheimnisse unseres Volkes.«

Skar antwortete nicht mehr, aber Titch wertete sein Schweigen als das, was es war. Fünf, zehn endlose schwere Herzschläge lang starrte er Skar durchdringend an, dann drehte er sich mit einem Ruck um und ging in die gleiche Richtung, in der Cron verschwunden war.

Erst, als sie den Raum zur Hälfte durchquert hatten, gewahrte Skar die schmale Tür, die sich in seiner Rückwand befand. Sie war so niedrig, daß selbst er sich bücken mußte, um nicht mit dem Kopf gegen den wuchtigen Sturz aus Felsgestein zu stoßen; Titch - oder gar Cron - mußten mehr hindurchkriechen, als sie gingen. Eine schmale, in engen Kehren in die Tiefe führende Treppe schloß sich an, die Titch vorsichtig hinunterbalancierte, wobei er beide Hände ausstreckte, um sich rechts und links an der Wand abzustützen. Der Gestank wurde stärker. Skar glaubte ein dumpfes Stöhnen zu hören, und das Klirren von Metall. »Was ist das hier?« fragte er. Titch schwieg, aber es war auch eigentlich gar nicht nötig, daß er antwortete. Skar war oft genug in Gefängnissen und Kerkern gewesen, mal als Wärter, mal als Gefangener, um zu wissen, was ihn erwartete.

Und trotzdem schrie er überrascht auf, als er hinter Titch das Ende der Treppe erreichte und stehenblieb, denn das hatte er nicht erwartet: Der Raum lag unter der Erde, wie zwei winzige, hoch unter der Decke angebrachte Fenster verrieten, und wurde von einem deckenhohen Gitter in zwei ungleiche Teile zerschnitten, einen, in dem sich Skar, Titch und auch Cron aufhielten, und einen anderen, größeren, in dem sich gut zwei Dutzend zerlumpter, schmutzstarrender Gestalten drängelten.

Menschliche Gestalten.

»Nein«, stammelte Skar. »Das ist -«

»Schweig!« Crons Brüllen ließ die Gefangenen auf der anderen Seite des Gitters abrupt verstummen. Skar schwieg tatsächlich, aber es war nicht die Reaktion auf Crons Befehl - den hörte er eigentlich gar nicht. Es war das Entsetzen, über das, was er sah. Viele der Männer und Frauen waren schwer verletzt, und es war keiner unter ihnen, der nicht über und über mit schwärenden Wunden und Schorf bedeckt wäre. Skar sah die Spuren von Peitschenhieben und anderen Mißhandlungen, und einige der Gefangenen waren mit daumendicken Ketten an den Boden oder das Gitter gefesselt. Der Gestank war unerträglich, und nach einigen Augenblicken setzte das Stöhnen und Wehklagen wieder ein, das er oben auf der Treppe gehört hatte.

»Erschreckt dich, was du siehst?« Cron kicherte böse. »Das sollte es. Vergiß es nie, Satai, denn wenn du auch nur ein Wort davon verlauten läßt, dann teilst du ihr Schicksal.«

Skar ignorierte ihn einfach. Jetzt, als Cron vor ihm stand, sah er erst, wie groß der Quorrl wirklich war, ein Gigant von sicherlich achteinhalb Fuß, größer noch als Ennart, neben dem er sich wie ein Zwerg vorgekommen war. Aber er spürte keine Furcht. Nur Entsetzen über den schrecklichen Anblick, und das, was er bedeutete.

Cron blickte noch einen Moment böse grinsend auf ihn herab, dann klaubte er einen gewaltigen Schlüssel von seinem Gürtel und öffnete das Schloß in der Gittertür. Die Gefangenen begannen zu wimmern. Die, die sich bewegen konnten, wichen so weit von der Tür zurück, wie es der beengte Raum möglich machte, und die anderen begannen an ihren Ketten zu zerren.

Es dauerte einen Moment, bis Skar begriff, was Crons Tun bedeutete. Entsetzt und ungläubig zugleich starrte er Titch an. »Ich soll... dort hinein?« stammelte er.

»Nicht für lange, Skar«, sagte Titch hastig. »Aber es muß sein.«

»Niemals«, sagte Skar.

Cron lachte böse. »Es liegt bei dir, ob du freiwillig zu deinen Brüdern gehst oder nicht«, sagte er. »Gehen wirst du. Aber du solltest daran denken, daß es bei mir liegt, ob ich dich wieder herauslasse oder nicht.«

Die Drohung in seinen Worten war nicht zu überhören. Skar machte einen Schritt, blieb noch einmal stehen und sah zu Titch hoch. Der Quorrl wich seinem Blick aus.

»Bitte, Skar«, sagte er. »Sie werden gleich hier sein. Wenn sie dich irgendwo anders als hier unten finden, dann sterben wir alle.«