»Was war das? Wer schießt da? Sollten etwa wieder Abipones in der Nähe sein?«
»Nein, Señor,« antwortete Geronimo. »Dieser Schuß ist das Zeichen, daß die Zeit gekommen ist, in welcher Sie die Stelle sehen sollen, welche Sie zu betrachten wünschen. Geben Sie mir Ihren Arm! Ich werde Sie führen.«
Er ergriff ihn beim Arme und ging mit ihm voran; die andern folgten paarweise. Den Arm Fritzens hatte der Häuptling in den seinigen genommen. So ging es mit würdevollen, ja feierlichen Schritten zwischen mehreren Buschgruppen hindurch, bis man sich vor einem Dunkel befand, wo Geronimo stehen blieb und mit lauter Stimme sagte:
»Señor, heute an Ihrem Geburtstage befinden Sie sich an einem Orte, an welchem Ihr Liebling sich vor vielen tausend Jahren an seinem Sterbetage niederlegte, um in Ihren zärtlichen Armen zu neuem Leben zu erwachen. La enhora buena, la enhora buena!«
»La enhora buena - wir gratulieren!« stimmten alle andern ein.
Zu gleicher Zeit sah man vorn ein kleines Flämmchen leuchten. Es huschte hin und her und auf und nieder; andre Flämmchen erschienen, bei deren Schein man ein breites und wohl vier Ellen hohes Bambusgestell bemerkte, an welchem die aus dürren Bambusstücken gefertigten Buchstaben und Worte befestigt waren:
»Zum Geburtstage!« Die Buchstaben wurden entzündet und brannten einige Minuten, so daß man die Worte deutlich lesen konnte.
»Welche Überraschung, Fritze!« rief der Doktor aus, indem er sich zu seinem Diener umwendete. »Hier im Gran Chaco bereitet man mir zum Geburtstage ein Feuerwerk. Aber das Riesentier wäre mir doch noch lieber.«
»Hm!« brummte Fritze mißtrauisch. »Wenn dat nur kein Ulk ist, der damit ein Ende nimmt, daß man Sie Ihre eigene werte Persönlichkeit als Riesentier bezeichnet. Ik habe sonen Animus. Ach, wat ist dat?«
Die Buchstaben waren verbrannt und der Bambusrahmen verschwand. Dann leuchteten rechts und links wieder kleine Lichtpünktchen auf, welche sich schnell vergrößerten und zu hohen Flammen anwuchsen. Es brannten ungefähr sechzehn Schritt voneinander zwei riesige Feuer und zwischen denselben sah man das weiße, vollständige Gerippe eines riesigen Tieres stehen, welches von starken Bambusschößlingen gestützt wurde. Seitwärts stand lächelnd der Vater Jaguar mit den zehn Cambas, welche ihm geholfen hatten, dieses Werk zu vollenden. Morgenstern aber sah weder diesen noch jene; sein Auge hing starr an dem Skelette; seine Brust rang nach Atem; er streckte beide Arme aus; er wollte sprechen, rufen, brachte aber kein Wort hervor, bis er endlich mit Aufbietung aller seiner Kräfte in gellendem Tone und silbenweise schrie:
»Ein Me-ga-the-ri-um!-Ein-Rie-sen-faul-tier!«
Die beiden Worte waren heraus und nun schien der Bann, welcher auf ihm lastete, gebrochen zu sein. Er sprang auf das Gerippe zu, umarmte die starken Schenkel- und küßte die andern Knochen; er streichelte den Schädel wie den Kopf eines lieben Kindes und bückte sich zur Erde nieder, um die an den Zehen befindlichen, ungeheuren Sichelkrallen zu liebkosen und rief und schwatzte dabei allerhand Zeug durcheinander, daß man hätte glauben mögen, er sei verrückt geworden. Die andern ließen ihn ruhig gewähren; Fritze aber bekam Angst, trat zu ihm hin, schüttelte ihn am Arme und rief ihm zu:
»Besinnen Sie Ihnen l Nehmen Sie Ihnen zusammen! Wegen so eines Riesentheriums braucht man den Verstand noch nicht zu verlieren!«
Da schlug der Doktor die Arme um ihn, drückte ihn an sich und antwortete:
»Mein lieber, lieber Fritze, ich bin wahrhaftig nicht verrückt, sondern glücklich, und endlich glücklich. Du hast keine Ahnung, was so ein Faultier zu bedeuten hat!«
»Na, wat dat betrifft, so kann es mich grad als Faultier nicht sehr imponieren, weil ik mein Lebtag für Faulheit nicht sehr einjenommen jewesen bin.«
»Sieh nur diesen schönen, runden Schädel!« rief der Doktor entzückt, ohne auf das unfreundliche Urteil seines Untergebenen zu achten.
»Ja, rund und dick ist er, aber viel zu klein für die andre Jestalt. Dat ist ein Kindskopf auf dem Leibe eines Riesen.«
»Die schönen, zylindrischen Backzähne!«
»Es sind ihrer zu wenig. Da habe ik ja mehr!«
»Ein Megatherium darf nur so wenige haben. Es hat auch keine Eck- und Schneidezähne.«
»Da hat man zu jener Zeit wohl janz anders jekocht als heutzutage? Bei unsrer Küche könnte dat riesigste Faultier ohne diese Zähne nicht bestehen.«
»Die kurzen, breiten Füße!«
»Dat sollen Füße sind? Ziehen Sie ihm doch seidene Strümpfe an!«
»Die herrlichen, langen Sichelkrallen!«
»Ja, wenn ik mich solche wachsen ließ, würde man mir auch sehr bald als Riesenfaultier betrachten.«
»Diese Länge! Sie beträgt wenigstens vier und einen halben Meter bei einer Höhe von dritthalb Meter. Ist das nicht erstaunlich?«
»Erstaunlich ist bloß, daß Sie es bei diese Höhe und Länge dennoch ein Riesenfaultier nennen. Ein Faultier ist viel zu träge, um so lang zu wachsen.«
Diese drastischen Bemerkungen erreichten ihren Zweck: Sie ernüchterten den Paläontologen so, daß er jetzt zornig ausrief:
»Du hast nicht das mindeste Verständnis für solche Verhältnisse und Schönheiten!«
»Nein, dat besitze ik wirklich nicht. Unter Schönheit verstehe ik einen janz andern Jedanken oder Begriff.
Die Schönheit hat für mir eine andre Form und Jestalt. Ik kann eine Rose für schön halten, aber ein Riesenfaultier, wenn es noch dazu bloß aus seinem eijenen Jerippe besteht, dat kann ik niemals schön nennen.«
»Vor der Sündflut war es schön, verstanden! Und denke dir, daß nicht das kleinste Knöchelchen fehlt, während kein einziges Museum bis jetzt ein vollständiges Megatherium besessen hat!«
»Auch diese Vollständigkeit kann mir nicht bejeistern, denn sie kommt auch bei andern Jeschöpfen vor. Da sehen Sie doch einmal mir jenauer an! Bei mich fehlt auch nichts; selbst dat kleinste Knöchelchen ist da, und noch dazu mit Fleisch und schöner Haut überzogen!«
»Fritze, du bist ein Idiot. Dir kann man das Herrlichste bieten, ohne daß du Geschmack daran findest. Du bist für die Wissenschaft verloren.«
»Wenn sie von weiter nichts als von Riesenfaultieren handelt, so kann sie mich allerdings oft und manchmal jestohlen werden. Wat werden Sie denn nun mit diesem toten Monstrum anfangen?«
»Welche Frage! Ich schaffe es fort.«
»Wohin?«
»Heim, nach Hause.«
»Auch jut. Wenn dat die Sündflut jewußt hätte, so konnte sie dat Jerippe gleich dazumal nach Jüterbogk schwemmen. Damit hätte sie uns viele Mühen und Kosten erspart. Wollen Sie es vor Jeld sehen lassen?«
»Nein. Ich werde es einer Universität, einem berühmten Museum schenken, wo man seinem Namen dann den meinigen hinzufügen wird.«
»Da haben Sie aber ja die Jüte, zu bitten, daß nicht etwa auch der meinige mit anjehängt wird. Mit so'nen Riesenfaultier will Fritze Kiesewetter auf keinen Fall verewigt werden. Wenn Sie dat Vieh mit heim nehmen wollen, muß dies per Schiff jeschehen. Wie aber wollen Sie es bis an die See bringen? ja, wenn es noch laufen könnte!«
»Es wird auseinander genommen und jeder Knochen sorgfältig einzeln verpackt. Dabei mußt du natürlich helfen.«
»Sehr jern. Nur wenn Sie mir auseinandernehmen wollten, würde ik mir weigern, behilflich zu sind. Wann soll diese Arbeit losjehen?«
»Am liebsten sofort, aber das ist leider unmöglich, da es vorher sehr vieles zu beschaffen gilt. Man muß das aus der nächsten Stadt besorgen.«
»Das würde Tucuman sein,« sagte der Vater Jaguar, indem er herbeitrat. »Ich stelle mich Ihnen dabei zur Verfügung, Herr Doktor.«
»Wieso, Herr Hammer?« fragte der Kleine.