»Da fehlen zwei. Es sind nur fünfzig Reiter gewesen, welche fünfundfünfzig Pferde gehabt haben.
Diejenigen des Gambusino und von Perillo sind erschossen worden, also müßten wir dreiundfünfzig erbeutete Pferde haben; du sagst aber, daß es nur einundfünfzig seien. Wo sind die beiden fehlenden?«
»Es wird auf einem einfachen Irrtum beruhen,« meinte der Häuptling.
»Nein, denn es sind dreiundfünfzig Sättel dagewesen. Es fehlen zwei Pferde, welche des Abends oder des Nachts abhanden gekommen sind.«
»Wohin sollten sie sein!«
»Der Gambusino hat sie geholt.«
»Sage nicht das!« rief der ›harte Schädel‹ erschrocken aus.
»Wie wäre er in das Thal gekommen, da am Eingange desselben stets ein Doppelposten gestanden hat?«
»Frage diese Posten, ob sie ihre Pflicht gethan oder etwa mit bei den Feuern gesessen haben! Mir fällt etwas auf, was ich mir nur dadurch erklären kann, daß der Gambusino die beiden Pferde heimlich entführt hat.«
»Was?«
»Da ich wußte, daß die Leiche des erschossenen Hauptmanns Pellejo draußen auf dem Campo lag, so ritt ich, als ihr fort wart, hinaus, um zu überlegen, ob ich sie unter die Erde bringen oder nur mit Zweigen überdecken solle. Ich fand sie und scharrte sie im Sande ein. Eine Strecke weiter lagen die Pferde des Gambusino und Perillos, welche der Vater Jaguar erschossen hatte. Ich sah, daß ihnen die Sättel fehlten. Ist das nicht auffällig zu nennen?«
»Nein, denn Perillo und der Gambusino haben sie ihnen jedenfalls abgeschnallt und dann mitgenommen, um sie zu brauchen, sobald sie zu neuen Pferden kommen werden.«
»Dann hätten sie doch auch das Zaumzeug mitgenommen!«
»War dies denn noch da?«
»Ja, und zwar bei beiden Pferden.«
»Das ist freilich unbegreiflich, denn wer den Sattel braucht, der braucht den Zaum noch notwendiger; ja, man kann ohne Sattel eher reiten als ohne Zügel.«
»Ich finde es nicht unbegreiflich, sondern leicht erklärlich. Die Pferde, welche wir erbeuteten, trugen die Zäume und Zügel noch. Es fehlen zwei von ihnen. Der Gambusino hat sie geholt, und weil sie Zäume hatten, so brauchte er dann den erschossenen Pferden nur die Sättel abzunehmen.«
»Wie aber kann er in das Thal gekommen sein, da der Eingang desselben von zweien unsrer Krieger besetzt war!«
»Diese Wächter haben ihren Posten verlassen gehabt. Erkundige dich nur, denn ich habe dir etwas noch wichtigeres zu sagen. Als ich nach der Leiche ritt, sah ich verschiedene Spuren im Grase. Ich fand die Fährte, welche die beiden Flüchtlinge und ihre Verfolger zurückgelassen hatten. Ich fand auch die Spur des Vater Jaguar und des alten Anciano, welche sie bei ihrer Rückkehr gemacht hatten; sie führte nahe am Walde hin. Dann aber sah ich die Fährte zweier Fußgänger, welche da begann, wo sich die Flüchtlinge versteckt hatten, eine Strecke hinaus in den Campo führte und dann nach dem Thale zeigte. Hierauf gab es noch zwei Pferdespuren, welche aus dem Thale kamen und, von den andern Fährten etwas entfernt, nach der Stelle führten, wo die toten Pferde lagen. Dort war angehalten worden und abgestiegen, worauf diese Doppelspur dann immer am Walde entlang nach Norden weiter lief. Diese Reiter haben den Wald umreiten wollen. Was sagst du dazu?«
jetzt machte der Häuptling ein sehr bedenkliches Gesicht. Er schüttelte den Kopf, sann eine Weile nach und meinte dann:
»Wenn das so ist, dann ist der Gambusino mit Antonio Perillo Im Thale gewesen, um dort die beiden Pferde zu holen.«
»Das sage ich auch. Und noch eins behaupte ich, nämlich daß der Vater Jaguar in großer Gefahr schwebt, denn der Gambusino wird ihm nun zuvorkommen. Wann ist der Jaguar fort?«
»Heute früh.«
»So hat der Gambusino einen Vorsprung von drei Tagen, ein Vorsprung, welcher gar nicht eingeholt werden kann.«
»Vielleicht doch, denn der Vater Jaguar ist nach Tucuman, um von dort aus mit der Diligence zu fahren, während der Gambusino jedenfalls durch die Wälder und Wüsten nach Salta ist.«
»O, auch er ist klug. Wie nun, wenn er auch nach Tucuman geritten ist?«
An diesem Falle schwebt der Jaguar freilich in größter Gefahr. Ich muß ihm einen Boten nachsenden. Vorher aber will ich mich erkundigen, wer die Posten gewesen sind, welche am Thaleingange Wache gestanden haben.«
Er stieg auf sein Pferd, um schnell davonzureiten; seine roten Begleiter thaten dasselbe, und Morgenstern folgte mit Fritze diesem Beispiele. Man mußte durch den Wald langsam reiten; aber dann, als er zu Ende war, wurden die Pferde angetrieben, daß sie wie Pfeile über die Ebene flogen. Wenn dem Vater Jaguar ein Bote nachgeschickt werden sollte, so hatte man keine Zeit zu verlieren.
Der Häuptling sprengte mit seinen Indianern voran; die beiden Deutschen folgten hinterdrein. Das, was sie gehört hatten, ging ihnen im Kopfe herum. Während sie eng nebeneinander dahinritten, sagte Morgenstern:
»Fritze, wie lange meinst du wohl, daß mein Megatherium unter dem Schutzdache stehen kann, bevor es Schaden leidet?«
»Jedenfalls monate-, vielleicht auch sogar jahrelang.«
»Wirklich?«
»Janz jewiß! Warum fragen Sie?«
»Weil ich einen Gedanken habe, den ich nicht wieder loswerden kann.«
»Welchen?«
»Den Gedanken an die Gelegenheit zu einer tapfern That. Weißt du, wir sprachen davon!«
»Ik entsinne mir. Sobald sich die Jelejenheit zu eine solche That zeigt, wollten wir sie ausführen, um unsre Ehre wiederherzustellen.«
»Nun, die Gelegenheit ist da.«
»Welche?«
»Der Vater Jaguar befindet sich in einer großen Gefahr, lateinisch Periculum genannt.«
»Dat habe ik jehört, aber wat haben wir damit zu thun?«
Der schlaue Fritze zeigte sich jetzt so schwerhörig, weil er sich nicht wieder sagen lassen wollte, daß er seinen Herrn verleitet habe.
»Das kannst du mich fragen!« wunderte sich Morgenstern. »Wir haben ihm viel, sehr viel, sogar unser Leben zu verdanken, und jetzt fragst du, was wir mit der Gefahr zu thun haben, in welche er geraten wird? Ich kenne dich nicht mehr!«
»Dafür aber kenne ik mir. Meinen Sie etwa, daß wir ihn befreien?«
»Ja.«
»Da müßten wir ihm nachreiten?«
»Allerdings.«
»Aber der Häuptling will ihm doch einen Boten nachsenden. Da sind wir doch überflüssig.«
»Nein. Wie nun, wenn der Bote ihn nicht mehr in Tucuman antrifft? Er wird umkehren, weil er meint, seine Pflicht gethan zu haben.«
»Wir aber würden dem Vater Jaguar nachreisen?«
»Ganz selbstverständlich. Wir würden nicht ruhen, bis wir ihn gefunden und aus den Händen des Gambusino befreit hätten. Meinst du nicht auch?«
»Ja. Wenigstens ik würde nicht eher ruhen.«
»Ich auch nicht. Oder denkst du, daß du tapfrer und aushaltender bist als ich?«
»Nein, dat habe ik noch nie jedacht und denke es auch in diesem Momente nicht.«
»So sag, ob du einverstanden bist!«
»Hm! Ik möchte wohl, wenn nur eins nicht wäre.«
»Was?«
»Dat Megatherium.«
»Das geht dich nichts an; das ist meine Sache. Wenn ich es einstweilen stehen lasse, brauchst du dich nicht zu grämen; es bleibt uns ja gewiß.«
»Ja, fortlaufen wird es nicht. Thun Sie, wat Sie wollen. Ik richte mir janz nach Sie.«
»So ist es ausgemacht: Wir reiten nach Tucuman.«
»Wird der Häuptling uns fortlassen?«
»Kann er uns halten? Hat er uns etwas zu befehlen?«
»Nein, aber er kann leicht einen Grund haben, uns festzuhalten.«
»Das dulde ich nicht.«
»Ik auch nicht. Aber es ist iar nicht nötig, widerspenstig zu sein und Jewalt zu jebrauchen. Wir erreichen unsern Zweck mit List viel eher und leichter.«
»Wieso?«
»Wir brauchen nur zu sagen, daß Sie verjessen haben, dem Vaterjaguar verschiedenes zu sagen, wat Sie noch für dat Megatherium brauchen. Darum wollen wir mit dem Boten jern nach Tucuman reiten, um es zu holen.
Dajejen kann ja kein Mensch wat haben.«
»Das ist wahr. Du bist ein Schlaukopf. Also es ist sicher: wir reiten nach Tucuman.«
»Ja, wenn es sich herausstellt, daß die Jeschichte von der Jefahr, in welcher der Jaguar schwebt, wirklich wahr ist.«
Leider stellte es sich heraus, daß der Indianer im Thale des ausgetrockneten Sees sich nicht geirrt oder verrechnet hatte. Die beiden Posten wurden ermittelt und gaben zu, daß sie den Eingang verlassen und ihre zwei Stunden am Feuer in der Gesellschaft der andern zugebracht hatten. Der Häuptling hatte keinen Grund, die beiden Deutschen von dem Ritte abzuhalten, und so jagten die drei Reiter noch vor Mitternacht zum Dorfe hinaus, der Richtung nach Tucuman zu.