»Nein, aber er kann leicht einen Grund haben, uns festzuhalten.«
»Das dulde ich nicht.«
»Ik auch nicht. Aber es ist iar nicht nötig, widerspenstig zu sein und Jewalt zu jebrauchen. Wir erreichen unsern Zweck mit List viel eher und leichter.«
»Wieso?«
»Wir brauchen nur zu sagen, daß Sie verjessen haben, dem Vaterjaguar verschiedenes zu sagen, wat Sie noch für dat Megatherium brauchen. Darum wollen wir mit dem Boten jern nach Tucuman reiten, um es zu holen.
Dajejen kann ja kein Mensch wat haben.«
»Das ist wahr. Du bist ein Schlaukopf. Also es ist sicher: wir reiten nach Tucuman.«
»Ja, wenn es sich herausstellt, daß die Jeschichte von der Jefahr, in welcher der Jaguar schwebt, wirklich wahr ist.«
Leider stellte es sich heraus, daß der Indianer im Thale des ausgetrockneten Sees sich nicht geirrt oder verrechnet hatte. Die beiden Posten wurden ermittelt und gaben zu, daß sie den Eingang verlassen und ihre zwei Stunden am Feuer in der Gesellschaft der andern zugebracht hatten. Der Häuptling hatte keinen Grund, die beiden Deutschen von dem Ritte abzuhalten, und so jagten die drei Reiter noch vor Mitternacht zum Dorfe hinaus, der Richtung nach Tucuman zu.
In der Mordschlucht
Salta, oder wie die argentinische Stadt vollständig heißt, San Miquel de Salta, liegt in einer, von mehreren Bergwässern durchflossenen Ebene des Thales von Lerma, ist ziemlich gut bevölkert und treibt einen lebhaften Speditionshandel nach Bolivia. Einer der bedeutendsten Spediteure der Stadt war Señor Rodrigo Sereno, dessen Etablissement vor dem nördlichen Thore von Salta lag und vielleicht noch heute liegt. Es bestand aus weiten Stallungen und Lagerhäusern, vor denen gerade an der Straße das langgestreckte Hauptgebäude lag, dessen eine Seite die Wohnung des Besitzers und seiner Familie bildete, während die andre Seite dem öffentlichen Verkehre und vornehmlich der Aufnahme von Reisenden und andern Gästen diente.
Es war am späten Abende. Die Stadtbesucher hatten das Lokal schon verlassen, und die fremden Gäste waren schlafen gegangen. Señor Rodrigo saß allein in der Stube und zählte das Geld, welches er heute eingenommen hatte. Da ließen sich draußen nähernde Schritte hören. Sofort warf er ein Tuch über das Geld und stand auf, um den Tisch zu verlassen, damit man nicht bemerke, wo und womit er beschäftigt gewesen war. Man kann in jenen Gegenden nicht vorsichtig genug sein. Sein Gesicht nahm einen zuwartenden, zurückhaltenden Ausdruck an. Da wurde die Thür geöffnet, und es traten zwei Männer ein, bei deren Anblick sein Gesicht sich augenblicklich wieder aufhellte.
»Buenas tardes - guten Abend!« grüßten sie und reichten ihm die Hände, die er ihnen, ihren Gruß erwidernd, kräftig schüttelte. Es war der Gambusino und sein Gefährte Antonio Perillo.
Der erstere ließ sein Auge forschend durch die Stube schweifen, blieb mit dem Blicke an dem Tische und dem Tuche hängen, ging hin, hob dasselbe auf und fragte lachend:
»Geld gezählt und vor uns versteckt, Señor Rodrigo? Seit wann haltet Ihr mich für einen Menschen, dem man nicht trauen kann?«
»Redet nicht,« antwortete der Wirt, »ihr wißt doch nur zu gut, daß ihr nicht gemeint seid. Als ich Schritte hörte, wußte ich nicht, wer eintreten werde. Seid willkommen; setzt euch, und befehlt, was ich euch bringen soll!«
»Zu essen, was Ihr habt, und zwei Flaschen Wein. Dann macht uns so viel Proviant zusammen, wie zwei Männer brauchen, welche über eine Woche in die Berge wollen, ohne zu wissen, ob sie sich von der Jagd ernähren können.«
Der Wirt verschwand und kehrte bald mit dem Essen und dem Weine zurück. Dann ging er wieder und brachte nach kurzer Zeit einen Korb, welcher mit allerlei haltbaren Eßwaren gefüllt war. Er schien auf die Verproviantierung solcher Leute eingerichtet zu sein. Nun setzte er sich zu ihnen, welche wortlos aßen und tranken, und sah zu, wie es ihnen schmeckte. Aber er war kein Freund von langem Schweigen; darum fragte er schon nach einer kleinen Weile:
»Woher, Señores?«
»Aus Tucuman, « antwortete der Gambusino.
»Mit der Diligence?«
»Ja. Soeben erst angekommen.«
»Ihr werdet heut bei mir bleiben?«
»Nur die halbe Nacht, dann reiten wir weiter.«
»Seid ihr denn beritten?«
»Nein; aber wir denken, daß Ihr zwei gute Maultiere für uns haben werdet.«
»Das versteht sich. Für Señores, wie ihr seid, habe ich stets das Nötige bereit.«
»Wie teuer das Stück?«
»Ihr zahlt nicht mehr als zwanzig Bolivianos.«
Das waren achtzig Mark für ein gutes, starkes, fußsicheres und schwindelfreies Maultier, gewiß ein sehr niedriger Preis.
»Aber wenn wir nun kein Geld haben?« lachte ihm der Gambusino in das Gesicht.
»So ist es auch nicht anders, als wenn ihr welches hättet. Ihr seid mir noch nie etwas schuldig geblieben.«
»Gut! Wir zahlen also, wenn wir wiederkommen. Sorgt für ein gutes Lager, denn die Diligence hat uns arg zusammengeschüttelt, und sagt uns vor allen Dingen noch, wo die Mojosindianer jetzt zu treffen sind!«
»Wollt ihr zu diesen? Verwegene und unternehmende Kerls! Möchte mich ihnen aber nicht anvertrauen.«
»Weil sie Euch nicht kennen; ich aber bin befreundet mit ihnen.«
»Ihr werdet sie in der Gegend des Guanacothales finden, wo sie gegenwärtig jagen.«
»Das ist mir unlieb, denn ich muß dabei Zeit versäumen, weil ich nach einer andern Richtung wollte.«
»Wohin?«
»In die Berge. Das möge Euch genügen. Ihr bekommt Euer Geld, auch ohne daß Ihr wißt, wohin wir reiten.«
»Das weiß ich. Verzeihung, Señores, ich wollte nicht zudringlich sein.«
Damit war die kurze Unterhaltung zu Ende. Die Gäste aßen ihre Portionen auf und legten sich dann in einer Ecke nieder, wo er ihnen aus Decken und weichen Fellen ein Lager bereitet hatte. Er zählte sein Geld vollends, schob es klirrend in die tiefe Tasche und verschwand dann durch die Thür, um sich auch niederzulegen. Es war dunkel in der Stube geworden. Die Schläfer schnarchten; eine halbe Stunde nach der andern verging; es wurde Mitternacht und dann ein Uhr. Da trat der Wirt wieder ein, mit dem Lichte in der Hand; er ging zu den beiden Schlafenden und weckte sie:
»Señores, erwacht! Die Zeit des Aufbruches ist gekommen.«
Sie standen auf, bekamen jeder eine kleine Kalabasse Mate zu trinken und einen warmen Brotkuchen zu essen. Dann ließen sie sich vom Wirte in den Hof führen, in welchem die beiden Maultiere standen. Sie waren trefflich aufgeschirrt und in den Satteltaschen steckte der Proviant, welchen der Gambusino bestellt hatte. Der Wirt beleuchtete die Tiere von allen Seiten und fragte dann:
»Seid ihr zufrieden, Señores? Das Geschirrzeug leihe ich euch. Ihr könnt es mir wiederbringen, sobald es euch paßt.«
»Die Tiere sind gut, Señor Rodrigo,« antwortete der Gambusino. »Das Riemenzeug bringen wir nach einer Woche, höchstens einige Tage später zurück. Lebt wohl!«
»Lebt wohl! habt eine glückliche Reise!«
Sie ritten davon, und Sereno sah ihnen mit einer Miene nach, als ob er ein sehr gutes Geschäft gemacht habe.
Er hatte dem Gambusino schon oft Pferde oder Maultiere, auch Geld und andres geborgt und den Betrag immer mit guten Zinsen zurückerhalten. Als der Hufschlag in der Stille der Nacht verhallt war, ging er wieder schlafen.
Am nächsten Abende war es fast genau so, wie am vorhergehenden, nur daß sich mehr als nur zwei Gäste einstellten. Sereno hatte eben sein Geld gezählt und eingeschlossen, so hörte er die Fußtritte vieler Menschen vor der Thür. Diese wurde geöffnet, und es traten sechsundzwanzig wohlbewaffnete Männer ein, welche alle vom Kopfe bis zu den Füßen ganz gegen Landessitte in Leder gekleidet waren und breitkrempige Hüte trugen. Nur zwei von ihnen hatten keine Hüte. Sie gingen barhäuptig und hatten ihr Haar sehr lang über dem Rücken hinabhängen. Ihren Gesichtszügen nach schienen sie Indianer zu sein. Der eine war jung; der andre aber schien ungewöhnlich alt zu sein.