»Das wäre eine Niederträchtigkeit, die ihres gleichen sucht! Er ist ein gewissenloser Mensch; aber so etwas sollte man ihm doch nicht zutrauen.«
»Nicht?« fragte der Vater Jaguar. »Ich habe es bisher verschwiegen, aber nun will ich es euch sagen. Er hat an meinem Bruder genau ebenso gehandelt. Mein Bruder war Gambusino oder Prospektor, wie die Goldsucher in den Vereinigten Staaten genannt werden. Er hatte einen ungewöhnlich reichen Fund gemacht.
Da kam dieser Gambusino, ermordete ihn auf eine entsetzliche, unmenschliche Weise und verschwand mit dem Golde. Das hat mein dunkles Haar gebleicht. Ich folgte der Fährte dieses Menschen, welche nach Argentinien führte, konnte ihn aber nicht zu sehen bekommen. Erst jüngst ist er mir in die Arme gelaufen, ich habe ihn und er hat mich erkannt, und nun sind die Stunden eines von uns beiden gezählt, entweder die meinigen oder die seinigen.«
»Die seinigen, die seinigen!« rief es im Kreise, und die Fäuste fielen dröhnend auf die Tische nieder.
»Still!« gebot der Vater Jaguar. »Keinen Lärm! Niemand braucht zu hören, wovon wir reden. Er hat das Gold meines Bruders verpraßt und sucht nun nach neuen Schätzen, die ihm nicht gehören. Er soll das, was er findet, aus meiner Hand bekommen!«
jetzt trat der Wirt wieder ein, und ihm folgten einige Bedienstete, welche auf Platten den duftenden Asado con cuero brachten. Die Gäste aßen und tranken schweigend und zeigten dabei so ernste Gesichter, daß dem Wirte der Mut entfiel, ein neues Gespräch anzuknüpfen. Als das Mahl zu Ende und auch der Wein getrunken war, begaben sich die Männer in den Hof, um sich die Maultiere zeigen zu lassen. Sie hatten in Tucuman die hier in den Bergen unbrauchbaren Pferde verkauft und mußten sich nun von neuem beritten machen. Tiere und Sattelzeug gab es bei Rodrigo Sereno mehr als genug.
Bei dem Scheine brennender Lichter und Laternen wurde die Auswahl getroffen. Dann fragte der Vater Jaguar nach dem durchschnittlichen Preise.
»Vierzig Bolivianos das Stück, Señor,« antwortete der Wirt. »Sie werden zugeben, daß dies der niedrigste Preis ist, zu welchem man ein Maultier hier haben kann.«
»Können Sie auch Proviant für uns auf acht Tage schaffen?«
»Ja.«
»So besorgen Sie das, und kommen Sie dann in die Stube!«
Der Wirt nahm das Schweigen als Einwilligung und freute sich im stillen, heut für ein Maultier doppelt so viel als gestern zu erhalten. Das bedeutete einen Aufschlag von über zweitausend Mark. Die Sättel wurden auch in die Stube geschafft, weil die Taschen dort mit Proviant gefüllt werden sollten. Dies war nach Verlauf von einer Stunde geschehen, und dann forderte der Vater Jaguar den Wirt auf, ihm die Rechnung niederzuschreiben. Rodrigo Sereno holte ein Stück Kreide und schrieb die einzelnen Posten auf den Tisch.
Sein Gesicht glänzte vor Wonne, als er die Summe zog. Da aber fragte der Weiße:
»Wieviel hat der Gambusino gestern für ein Maultier angerechnet bekommen?«
»Auch vierzig Bolivianos, Señor.«
»So ist er entweder sehr dumm gewesen, oder Sie halten mich für dumm genug, dies zu glauben. Ich bezahle die Hälfte, zwanzig Bolivianos, und zwar in blanken Goldstücken sofort auf den Tisch. Ist Ihnen dies zu wenig, so werden wir noch in dieser Nacht bei einem andern billiger kaufen.«
»Señor, es ist mir unmöglich, Ihnen die Tiere zu einem solchen Preise zu lassen,« beteuerte der Wirt mit wie zum Schwure erhobener Hand. »Ich würde über zehn Bolivianos am Stück verlieren.«
»Schweigen Sie doch!« fuhr ihn der Weiße an. »Sie halten uns für fremd im Lande. Sie wollten aber wissen, wer ich bin, und so will ich es Ihnen sagen: ich bin der Vater Jaguar!«
Da fuhr der Wirt um zwei Schritt rückwärts und rief mit stammelndem Munde:
»Qué maravilla! Der Vater Jaguar!«
Er starrte den Genannten mit weit geöffneten Augen an und schien alle Bewegungsfähigkeit verloren zu haben.
»Nun, gilt's? Zwanzig Bolivianos für das Maultier?« drang Hammer in ihn.
»Ja - ja -« antwortete er, wie abwesend; »sogar für -fünfzehn sollen Sie - - es haben - - da Sie der - Vater Jaguar sind.«
»Nein, nicht fünfzehn; ich gebe zwanzig, hier ist die Summe, welche Sie zu bekommen haben.«
Ergriff in den Gürtel, zog eine Handvoll Goldstücke hervor und zählte ihm die schuldige Summe auf den Tisch. Rodrigo Sereno bedankte sich, als ob er träume, und steckte das Geld auch wie im Traume in die Tasche. Nachdem jeder einen Sattel genommen hatte, begaben sich die Gäste wieder in den Hof. Der Wirt folgte ihnen und rief heimlich alle seine Leute herbei. Da standen sie und sahen, wie die Fremden sich auf die Maultiere schwangen und dann in die Nacht hinausjagten. Nun erst bekam die Stimme Serenos ihren ursprünglichen Klang zurück. Er warf sich in die Brust und rief den Seinen zu:
»Heut ist meinem Hause eine große Ehre widerfahren. Wißt ihr, wer der weißhaarige Señor war, welcher trotz seines Alters nicht in den Sattel stieg, sondern aus freier Hand in denselben sprang? Der Vater Jaguar ist's gewesen, der Vater Jaguar! Bei Gott, wenn er darauf eingegangen wäre, hätte ich ihm die Maultiere alle zu nur zehn Bolivianos das Stück verkauft. Der Vater Jaguar! Merkt es euch, und erzählt es morgen allen, die euch in der Stadt begegnen!«
Er brauchte diesen Befehl eigentlich gar nicht auszusprechen, denn die guten Leute wären am liebsten gleich jetzt, mitten in der Nacht, mit der Kunde fortgeeilt, daß der weitberühmte Mann mit fünfundzwanzig Begleitern bei ihrem Herrn eingekehrt sei und eine große Summe in lauter vollwichtigen Goldstücken bezahlt habe. So aber mußten sie leider schlafen gehen.
Und schon am nächsten Morgen, als man kaum aufgestanden war, gab es auch wieder fremde Gäste. Rodrigo Sereno war eben erst von seinem Lager aufgestanden und schlürfte gemächlich seinen Mate aus der silbernen Röhre, da traten zwei kleine, überaus rot gekleidete Menschen ein, welche bis an die Zähne bewaffnet waren.
Der eine fragte sofort, als er die Thür geschlossen hatte:
»Sind Sie der Wirt Rodrigo Sereno, Señor?«
»Ja, Señores,« antwortete der Gefragte.
»So sind wir in das richtige Haus, lateinisch Domus oder auch Aedificium genannt, gekommen; haben Sie Maultiere zu verkaufen?«
»Gern, so viele Sie brauchen.«
»Und außerdem kann man bei Ihnen zu essen und zu trinken bekommen?«
»Alles, was die Señores wünschen. Setzen Sie sich nieder und teilen Sie mir Ihre Befehle mit!«
Er rückte ihnen zwei Stühle am Tische bequem und forderte sie durch eine Handbewegung auf, sich auf denselben niederzulassen. Seine Worte hatten einen Ton, welcher ein klein wenig ironisch klang. Er schien die kleinen Männer trotz der Waffen, welche sie trugen, nicht für voll anzusehen. Sie schienen dies entweder gar nicht zu bemerken oder wenigstens nicht zu beachten, verlangten heißen Mate und ein Gebäck dazu und machten es sich dann auf den Stühlen bequem, welche er seinen Gästen hinstellte.
Als er ihnen das Verlangte gebracht und vorgesetzt hatte, nahm er bei ihnen in der Weise Platz, wie man es bei Leuten thut, die man nicht ganz für seinesgleichen hält, musterte sie mit einem von oben herab gerichteten Blicke und sagte:
»Darf man vielleicht erfahren, ob die Señores sich hier in Salta aufzuhalten gedenken?«
»Wir kaufen Maultiere, also wollen wir fort,« antwortete Fritze Kiesewetter.
»Wo kommen Sie her?«
»Aus Tucuman.«
»Auch aus Tacuman? Und natürlich auch nicht mit der Diligence?«
»Nein. Wir haben Postpferde geritten. Aus Ihrer Frage geht hervor, daß noch andre von dorther gekommen sind, und zwar auch nicht mit der Diligence?«
»Ja. Gestern abend kam eine ganze Gesellschaft hier an, und vorgestern trafen auch schon zwei Männer ein.