Wo wollen Sie hin, Señores?«
»Zunächst hinauf nach der Salina del Condor. Aber wir kennen den Weg nicht. Ist es wohl möglich, hier einen Führer zu bekommen, auf den man sich verlassen kann?«
»Warum nicht? Wenn Sie ihn gut bezahlen, will ich Ihnen sofort einen besorgen. Ich habe einen Knecht, welcher früher einigemal da oben gewesen ist und sich wohl bestimmen lassen wird, Ihr Führer zu sein. Sie werden ihn bei den Maultieren finden, die Sie sich ansehen können, sobald es Ihnen beliebt.«
Der Peon, von welchem er sprach, war jedenfalls kein zuverlässiger Knecht, sonst hätte er ihn nicht so bereitwillig hergegeben. Als die beiden Reisenden dann mit diesem Manne sprachen, erklärte er, daß er gern mit ihnen reiten werde, und stellte auch so günstige Bedingungen, daß sie ohne Handel auf dieselben eingingen. Desto teurer aber waren die Maultiere, welche sie kauften. Sie mußten für das Stück fünfzig Bolivianos bezahlen, also über noch einmal so viel, als der Wirt gestern und vorgestern erhalten hatte. Dazu kamen die Sättel und die Proviantvorräte, welche sie sich mitnahmen. Während die letzteren im Zimmer eingepackt wurden, fragte Doktor Morgenstern den Wirt im Laufe des Gespräches:
»Señor, Sie sprachen von Leuten, welche gestern und vorgestern aus Tucuman hier angekommen seien.
Kannten Sie dieselben vielleicht?«
»Allerdings. Es waren Männer von sehr berühmten Namen.«
»Darf ich diese Namen erfahren?«
»Warum nicht? Ich bin sogar stolz darauf, Ihnen mitteilen zu können, daß solche Señores bei mir verkehren.
Am vorgestrigen Abend hatte ich den weitbekannten Gambusino Benito Pajaro mit noch einem Herrn als Gäste bei mir.«
»Den Gambusino? So sind wir also auf der richtigen Spur, lateinisch Semita oder auch Vestigium genannt.
Der andre ist jedenfalls Antonio Perillo gewesen?«
»Ja, er war es. Kennen Sie denn diese Señores?«
»Besser, als Sie vielleicht denken. Und wer waren die Herren, welche gestern hier einkehrten?«
Der Wirt betrachtete die beiden jetzt abermals mit einem forschenden Blicke, wobei sein Gesicht einen weniger geringschätzenden Ausdruck annahm. Wer den Gambusino so gut kannte, der konnte nach seiner Ansicht denn doch kein so ganz gewöhnlicher Mensch sein. Dann antwortete er fragend:
»Sie sprachen von einer Spur. Wollen Sie vielleicht dem Gambusino nach?«
»Ja.«
»Und wissen Sie, wohin er ist?«
»Sehr genau.«
»So müssen Sie sich sputen, denn er schien große Eile zu haben. Noch weit größere Eile aber hatten die gestrigen Señores. Das waren über zwanzig Personen, welche von dem berühmten Vater Jaguar angeführt wurden. Den werden Sie wohl schwerlich kennen.«
»Warum nicht? Wir gehören ja zu seiner Gesellschaft und wollen ihr nach.«
»Was? Sie gehören zu ihm und wollen doch auch dem Gambusino folgen? Daraus ist zu schließen, daß der Vater Jaguar mit dem Gambusino zusammentreffen will?«
»Sie erraten es. Es handelt sich nämlich um eine sehr interessante Angelegenheit, lateinisch Negotium genannt, welche für uns von großer Wichtigkeit ist. Nämlich«
Der kleine Mann stand im Begriff, dem Wirte eine voreilige Mitteilung zu machen. Fritze, welcher weit vorsichtiger war, fiel ihm schnell in die Rede:
»Es betrifft nämlich eine Silberader, welche droben in den Bergen aufgefunden worden sein soll, und alle die genannten Señores, auch wir beide, reiten hinauf, um dieselbe, falls etwas Wahres daran ist, oft und manchmal auszubeuten.«
»Da gratuliere ich Ihnen,« meinte der Wirt, und zwar jetzt im Tone der Hochachtung. »Ein Unternehmen, an welchem sich der Vater Jaguar und der Gambusino beteiligen, muß auf alle Fälle ein rentables werden. Ich hoffe, daß Sie, so oft Sie hier vorüberkommen, sich meiner erinnern und bei mir einkehren. Empfehlen Sie mich dem Vater Jaguar. Ich achte und bewundere ihn, wie ich Ihnen gleich beweisen werde. Nämlich, da Sie zu ihm gehören, will ich Ihnen die Maultiere billiger lassen, als Sie dieselben bezahlt haben; das Stück soll nicht fünfzig, sondern dreißig Bolivianos kosten; ich zahle Ihnen den Überschuß heraus.«
Die beiden waren nicht wenig über dieses Verfahren verwundert und der Doktor steckte das Geld, welches der Wirt zurückgab, nur zögernd wieder in die Tasche. Aber Rodrigo Sereno handelte mit guter Berechnung.
Er sagte sich, daß diese beiden Männer dem Vater Jaguar mitteilen würden, wieviel sie bezahlt hatten, und dann war anzunehmen, daß keiner von der ganzen Gesellschaft wieder hier einkehren werde. Der Schaden des Wirtes mußte sich dann weit höher belaufen, als die Summe, welche er jetzt wiedergab. Die beiden Deutschen gaben ihm das Versprechen, seiner zu gedenken und ihn auch der vorausgegangenen Gesellschaft bestens zu empfehlen. Dann, als ihre Vorbereitungen alle beendet waren, bestiegen sie die erkauften Maultiere und ritten mit dem Peon, welcher sie in die Berge führen sollte, zum Thore hinaus.
Wer von Osten aus die Anden ersteigt, um westwärts nach Chile oder Peru zu kommen, hat verschiedene Gebirgsstufen zu erklimmen, die sich infolge der Verschiedenheit ihrer Höhe auch durch eine Unähnlichkeit ihres Klimas unterscheiden.
Die erste Stufe besteht aus den Yungas, welche bis 1600 Meter ansteigen. Hier herrscht die ganze Üppigkeit der Tropenregion mit ihren weiten, undurchdringlichen Urwäldern, welche zuweilen von saftigen Grasfluren, die man Pajonales nennt, unterbrochen werden. Die Medio Yungas erreichen als zweite Stufe eine Höhe von durchschnittlich 2900 Meter. Hier herrscht noch das Klima der gemäßigten Zone, und man kommt durch ungeheure Wälder, welche besonders reich an Cinchona-Arten sind. Darauf folgen die Cabezeras de los valles Die obem Thalstufen. bis 3300 Meter Höhe. Sie sind gegen die Stürme des oberen Gebirges geschützt und infolge dessen auch noch reich an den verschiedensten Vegetationsformen. Bis hierher erstreckt sich der geschlossene Baumwuchs, also der Wald, während auf der nächsten Stufe Bäume nur vereinzelt und zwar nur in besonders geschützter Lage anzutreffen sind. Diese nächste Stufe, welche Puna genannt wird, steigt bis zu 3900 Meter Höhe empor. Man trifft auf derselben außer den vereinzelten Bäumen nur Kräuter und Gräser (Gentiana, Valeriana, Yareta u. s. w.) an, welche den Tieren als Weidefutter dienen. Es herrscht hier eine große Trockenheit, welche nur in der Regenzeit unterbrochen wird. Die nun folgende Stufe wird Puna brava genannt und umfaßt bis zu den höchsten Bergesspitzen alles, was über 3900 Meter liegt. Diese Höhen sind reich an wertvollen Erzen; hier führen die Pässe zwischen den Bergesriesen über das Gebirge. In dieser Region verwandelt sich selbst im hohen Sommer der Regen sehr oft in Schnee und Hagel; im Winter aber herrschen wütende Schneestürme, welche denjenigen Reisenden, die so kühn sind, in dieser Jahreszeit den Übergang über die Anden zu wagen, meist das sichere Verderben bringen.
Da, wo jenseits der argentinischen Grenze auf bolivianischem Gebiete die Puna an die obere Cabezera grenzt, zieht sich ein ziemlich dichter Wald von Cinchona Calisaya-Bäumen an den östlichen Berghängen hinab. Auf den freien Stellen, welche dieser Wald umschließt, befinden sich die Wohnstätten der Mojosindianer. Etwas höher, jenseits der Punagrenze, liegt das Guanacothal, welches eine Abteilung dieser Indianer jetzt zur Jagd aufgesucht hatte. Und noch weiter oben, beinahe in der Puna brava gelegen, breitet auf einem kleinen Hochplateau die Salina del Condor ihre salzigen Wasser aus, höher noch liegt die Mordschlucht. Nahe an ihr führt ein Pfad vorüber, welcher über einen Paß von Chile herüberkommt, hinab zur Salina del Condor steigt und dann über die argentinische Grenze hinab nach Salta leitet. In der Nähe der genannten Grenze vereinigt sich mit diesem Pfade ein zweiter, welcher weiter nördlich her von Peru herüberkommt. Der Ausdruck Pfad ist hier eigentlich falsch angewendet, denn von dem, was wir unter Pfad und Weg oder gar Straße verstehen, ist hier keine Rede. Das Saumtier schreitet über Felsen und Steingetrümmer, durch Thäler und Schluchten, ohne eine Spur, aus welcher ein wirklich ausgetretener Weg entstehen könnte, zu hinterlassen. Nur der erfahrene Jäger oder Führer kennt die Gegend; der unerfahrene Reisende aber verliert sehr leicht die Richtung und kann dann tage- und wochenlang zwischen den Bergen umherirren, ohne den Weg, den Paß zu finden, der ihn zum Ziele bringen sollte. Selbst der Kenner kann, wenn er nicht scharf aufpaßt, die Stelle, an welcher die beiden erwähnten Saumpfade zusammenstoßen, leicht übersehen und infolgedessen den falschen einschlagen.