In diesem Falle befand sich der Peon aus Salta, welcher die beiden Deutschen nach der Salina del Condor bringen sollte. Er war wohl in Gesellschaft hier oben gewesen, hatte sich aber nicht so sehr um die Einzelheiten der Gegend bekümmert, wie es erforderlich gewesen wäre zur Erlangung der Kenntnisse, welche ein zuverlässiger Führer besitzen muß.
Es war mittag, und schon seit dem frühen Morgen hatte er sich auf eine ganz eigentümliche Weise verhalten.
Er war von der heute eingeschlagenen Richtung oft abgewichen und nach rechts oder links eingebogen, um dann wieder nach links oder rechts umzubiegen. Er beobachtete die Gegend mit verlegenem Blicke und gab sich dabei Mühe, diese Verlegenheit nicht bemerken zu lassen. Gab es einmal eine sichtbare Spur, daß ein Mensch hier geritten sei, so nahm sein Gesicht einen zuversichtlicheren Ausdruck an, um denselben aber bald wieder zu verlieren, wenn er einsehen mußte, daß er sich in dieser Gegend doch noch nicht befunden habe.
Dem Doktor fiel dieses Verhalten nicht auf; Fritze aber war scharfsinniger und hatte es gar wohl bemerkt.
Darum sagte er jetzt, natürlich in deutscher Sprache, zu seinem Herrn:
»Dieser Mensch scheint seiner Sache nicht jewiß zu sind. Haben Sie ihm dat nicht auch schon anjesehen?«
»Nein.«
»Dann passen Sie doch mal auf! Er wird immer unsicherer. Sie müssen doch bemerkt haben, daß wir oft nach der Seite abgewichen sind?«
»Das habe ich gesehen; aber wir sind ja immer wieder zurückgekehrt.«
»Eben dieses hat mir aufmerksam jemacht. Wenn er nach rechts reitet und nachher wieder nach links, so muß eins von beiden falsch sind. Der alte Onkel hat sich wahrscheinlich verirrt.«
»Das wäre höchst unangenehm, inamoenus, wie der Lateiner sagt. Wenn dieser Peon unser Führer sein will, muß er doch den Weg kennen.«
»Eigentlich ja; aber es wird wohl uneigentlich sind. Sehen Sie ihn mal an! Wild jenug sieht er freilich aus, jescheit aber nicht.«
Damit hatte er sehr recht. Der Peon hatte das Aussehen eines Banditen; aber von Intelligenz war in seinem Gesichte keine Spur zu entdecken.
Die drei Reiter befanden sich jetzt an einer Stelle, wo sich zwei schmale Thäler vor ihnen öffneten; das eine führte nach links und das andre geradeaus. Der Peon blieb halten, um sich zu besinnen. Er schaute bald nach links und bald vor sich hin und wußte sichtlich nicht, wohin er sich wenden solle. Da verlor Fritze endlich die Geduld und sagte:
»Warum halten Sie an, Señor? Es scheint, Sie haben den Weg verloren?«
»Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?« antwortete der Führer in beleidigtem Tone. »Meinen Sie, ich wüßte nicht, wo ich bin?«
»Das meine ich nicht. Sie wissen jedenfalls ganz genau, daß Sie sich in den Anden befinden; aber auf welchem Punkte derselben, das zu wissen, ist wohl schwieriger.«
»Ich kenne den Weg so genau, wie mich selbst, und habe mich überhaupt im Leben noch nie verirrt.«
»So wissen Sie also noch nicht, wie es einem Verirrten zu Mute ist? Ich denke, daß Sie das jetzt erfahren werden.«
»Wollen Sie mich beleidigen, Señor? In diesem Falle lasse ich Sie hier halten und reite zurück!« bemerkte er in drohendem Tone.
»Zurückreiten? Das würden Sie wohl nicht fertig bringen,« antwortete Fritze gleichmütig.
»Warum nicht?«
»Weil das Maultier, auf welchem Sie sitzen, uns gehört. Sie würden also nur zurücklaufen können.«
»Und wenn ich es nicht hergebe?«
»Reden Sie nicht solch dummes Zeug! Sie sehen, daß wir bewaffnet sind. In dieser Gegend pflegt man auf Diebe zu schießen, ohne zu fragen, ob ihnen das oft und manchmal angenehm ist. Sobald Sie wenden, um zurückzureiten, bekommen Sie meine Kugel. Das merken Sie sich! Und nun vorwärts, wenn Sie den Weg wirklich so genau kennen, wie Sie behaupten!«
Der Peon hatte keineswegs das Aussehen eines furchtsamen Menschen, ließ sich aber doch durch das energische Verhalten des kleinen Deutschen einschüchtern und bog in das Thal ein, welches nach links führte. Die andern folgten ihm.
Dieses Thal hatte viele Schlangenwindungen; es führte bald in der einen und bald nach der andern Richtung; dabei schien es endlos zu sein und verengte sich mehr und mehr, bis es zur tiefen, schmalen Schlucht wurde, welche man mit einem nordamerikanischen Cañon vergleichen konnte.
Der Peon ritt jetzt langsamer und immer langsamer voran. Er sah ein, daß er noch niemals hier gewesen sei, denn eine so lange Schlangenschlucht war ihm noch nie vorgekommen. Er ging mit sich zu Rate und kam schließlich doch zu der Einsicht, daß es jedenfalls besser sei, seinen Irrtum jetzt und freiwillig einzugestehen, als desselben später mit Heftigkeit überführt zu werden. Darum hielt er endlich an und sagte:
»Sie haben mich vorhin irre gemacht. Ich hätte nicht nach links einbiegen, sondern geradeaus reiten sollen.
Das war der richtige Weg. Kehren wir also um, Señores!«
»Habe es gedacht!« brummte Fritze unmutig. »Nun müssen wir den weiten Weg zurück! Aber wissen Sie denn auch genau, daß dieser der falsche und jener dann der richtige ist?«
»Ja. Wenden Sie getrost um! Wir sind zu weit nach links gekommen und müssen also mehr nach rechts hinunter.«
»Wenn es richtig ist, will ich es loben, denn ich denke mir, daß - - -«
Er hielt mitten im Satze inne und lauschte.
»Was gibt's?« fragte der Doktor. »Hörst du etwas?«
»Ja. Es war mir, als ob da vor uns ein Jeräusch jewesen wäre. Horch!«
Er hatte sich nicht geirrt, denn das Geräusch wiederholte sich und kam näher. Es klang wie Hufschlag.
»Sollte ich mich dennoch auf dem richtigen Wege befunden haben?« fragte der Peon, indem sein besorgtes Gesicht sich aufheiterte.
»Wenn dies wäre, so hätten Sie es jedenfalls nur dem Zufalle zu verdanken,« antwortete Fritze. »Ich aber möchte behaupten, daß alle Ihre beiden Wege falsch sind, obgleich Sie nur diesen für falsch, den andern aber für richtig gehalten haben. Sie wissen offenbar schon seit heute früh nicht, woran Sie sind. Nun aber werden wir hoffentlich erfahren, in welcher Gegend der Neuen Welt wir uns befinden.«
Die Schlucht machte vor ihnen abermals eine Biegung. Um die Ecke, welche dadurch gebildet wurde, kamen drei Reiter. Dem vordersten sah man es an, daß er ein Maultiertreiber, ein Arriero war. Hinter ihm kam ein hoch beladenes Packtier, welchem ein Reiter folgte, welcher der Besitzer des Gepäckes zu sein schien. Er war in die Tracht des Landes gekleidet, von hoher Gestalt und sehr gut bewaffnet. Sein Haar und Bart waren blond, und die Augen, welche er überrascht auf die drei Reiter vor sich richtete, hatten die helle Farbe der Nordländeraugen. Hinter ihm ritt der dritte, welcher jedenfalls auch ein Arriero war. Der mittlere Herr kam jedenfalls über das Gebirge und hatte die beiden andern als Treiber und Führer gemietet.
Sie hielten an, und beide Parteien musterten sich einige Sekunden lang, ohne ein Wort zu sagen. Dann rief der hintere Reiter, indem er seine Worte an den Peon richtete:
»Ist's möglich, oder irre ich mich? Ist das nicht Malzeso, der Peon von Rodrigo Sereno in Salta?«
»Der bin ich allerdings,« antwortete der Angeredete. »Kennen Sie mich?«
»Ja.«
»Von woher?«
»Von Salta her. Ich pflege bei Ihrem Herrn einzukehren und habe Sie da gesehen. Sind Sie etwa der Führer der Señores, welche sich da bei Ihnen befinden?«