Der Gambusino sann darüber nach und sagte dann zu Perillo:
»Diese Halunken sind zu scharfsinnig, als daß wir ihnen mit gewöhnlichen Finten kommen dürfen. Wir müssen nach einem Grunde suchen, welcher mit der Religion zusammenhängt; das ist die einzige Art und Weise, sie sicher zu mystifizieren. Fällt dir nichts ein?«
»Warum nicht? Was sagst du zu einem Gelübde?«
»Wahrhaftig! Da triffst du gleich das allerbeste. Wir haben in großer Todesnot das Gelübde gethan, etwas Gott Wohlgefälliges, worauf wir schon noch kommen werden, in der Mordschlucht vorzunehmen, wobei wir ungestört und einsam bleiben müssen. Die Roten sind alle außerordentlich abergläubisch; sie werden so voller Scheu und Ehrfurcht sein, daß sie sicherlich nicht auf den Gedanken kommen, uns etwa zu belauschen.«
»Aber wenn wir dann finden, was wir suchen, so können wir es ihnen doch nicht verbergen, denn wer weiß, was und wieviel wir zu schleppen haben. Da werden sie erkennen, daß wir sie getäuscht haben, und uns aus Rache alles abnehmen!«
»Schwachkopf! Habe ich dir nicht schon da unten am Sumpfe der Knochen gesagt, wie wir sie unschädlich machen werden? Sind wir glücklich, so müssen sie alle sterben. Das wird uns nicht viel Arbeit machen, da es vollständig genügt, wenn wir ihrer nur sechs oder acht engagieren.«
Die beiden gewissenlosen Menschen waren von den Mojos freundlich aufgenommen worden und hatten dem Häuptlinge derselben ihren Wunsch mitgeteilt. Er war nicht nur auf denselben eingegangen, sondern sogar bereit gewesen, sich selbst an dem Ritte nach der Mordschlucht zu beteiligen. Das war ihnen freilich höchst unangenehm; da aber eine Zurückweisung für ihn eine große Beleidigung gewesen wäre und er dann gewiß auch seinen Leuten die Teilnahme versagt hätte, so waren sie wohl oder übel gezwungen, darauf einzugehen.
Sie brachen dann mit ihm und noch sieben Mojos vom Guanacothale nach der Mordschlucht auf, welche so fern lag, daß sie in einem Tage nicht erreicht werden konnte. Gegen Abend des ersten Tages waren sie bis an den Saumpfad gekommen, welcher hinauf nach der Salina del Condor führte.
Sie folgten demselben, bis es dunkel war, und dann wollte der Gambusino an der ersten besten Stelle Lager machen; da aber meinte das »spitze Messer«, der Häuptling:
»Der scharfe Nachtwind wird sich bald erheben, und dann ist es gut, wenn man sich an einem Orte befindet, wo er einen nicht treffen kann.«
»Weißt du denn einen solchen?«
»Ja. Es ist eine Höhle, welche gar nicht weit von hier liegt, eine Höhle mit zwei Eingängen.«
»So führe uns hin!«
Sie ritten also weiter, das »spitze Messer« voran und die andern hinter ihm drein. Nach einiger Zeit blieb er plötzlich halten, flüsterte den andern zu, ja kein Geräusch zu machen und beugte sich weit vor, um, wie man sah, etwas zu beobachten.
»Was hast du? Siehst du vielleicht etwas Verdächtiges?« fragte ihn der Gambusino mit leiser Stimme.
»Ja,« antwortete er. »Ich sehe den Schein eines Feuers, welches in der Höhle brennt.«
»So befinden sich Menschen drin?«
»Ja, denn wo ein Feuer ist, müssen auch Menschen sein, die es angezündet haben.«
»Wer mag es sein?«
»Ich werde es sehen. Haltet mein Tier; bleibt hier und seid still!«
Er glitt aus dem Sattel und huschte weiter. Es dauerte über eine Viertelstunde, bevor er zurückkehrte; da meldete er:
»Vor und seitwärts der Höhle weiden Maultiere, und drinnen sitzen sechs Männer am Feuer.«
»Indianer?« fragte der Gambusino.
»Es sind Weiße.«
»Wie bewaffnet?«
»Sehr gut.«
»Was treiben sie?«
»Sie sprechen miteinander. Drei reden spanisch, und die andern drei haben eine Sprache, von der ich kein Wort verstehe.«
»Das ist auffällig, höchst auffällig. Ich werde selbst nachsehen.«
Als er abstieg, meinte Antonio Perillo:
»Ich gehe mit.«
»Ist nicht nötig; einer ist genug.«
»Aber zwei sehen und hören mehr.«
Er verließ auch den Sattel, und der Gambusino hinderte ihn nicht daran. Sie schlichen vorwärts. Der Lichtschein war ihr Wegweiser, so daß sie die Höhle, obgleich sie dieselbe nicht kannten, unmöglich verfehlen konnten. Als sie in der Nähe derselben angekommen waren, legten sie sich nieder und krochen weiter, bis sie den einen Eingang fast erreicht hatten.
»Wenn einer zufällig herauskommt, wird er uns sehen?« raunte Perillo dem Gambusino zu.
»Nein, außer er fällt über uns weg. Hier ist es dunkel, drin aber hell; das blendet beim Heraustreten. Komm noch weiter heran!«
Sie schoben sich noch ein wenig fort und lagen dann so, daß sie in die Höhle sehen konnten. Sie erblickten die beiden Arrieros und den Peon; die andern drei konnten sie nicht sehen, aber sie hörten sie sprechen. Nach einigen Augenblicken zog der Gambusino seinen Gefährten zurück, bis sie sich so weit entfernt hatten, daß sie sich wieder aufrichten durften.
»Hast du ihn erkannt?« fragte Perillo.
»Wen?«
»Den Knecht des Wirtes in Salta.«
»Ja.«
»Aber die beiden andern kenne ich nicht.«
»Es sind Arrieros, wie du schon an ihrer Kleidung siehst. Ich habe sie schon gesehen, kenne aber ihre Namen nicht. Hast du eine Ahnung, was das für eine Sprache ist, welche die drei andern sprechen? Französisch ist es nicht, Portugiesisch und Englisch auch nicht.«
»Es klingt wie Deutsch. Ich habe in Buenos Ayres oft Deutsche miteinander sprechen gehört.«
»Demonio! Deutsch! Sollte etwa -«
»Wer? Was?«
»Still jetzt! Wir müssen sie unbedingt sehen. Die Höhle hat noch ein Loch. Wenn wir dorthin gehen, erblicken wir sie wahrscheinlich, weil sie an der andern Seite des Feuers sitzen. Komm!«
Sie schlugen einen Bogen, um nicht in den Bereich des Feuerscheins zu gelangen, und näherten sich dann von der andern Seite dem zweiten Eingange, ebenso kriechend wie vorher.
Die Vermutung des Gambusino erfüllte sich; die drei Deutschen waren zu sehen. Engelhardt saß so, daß er den Lauschern das Gesicht voll zukehrte, natürlich aber ohne sie zu bemerken; der Doktor und Fritze waren im Profil zu sehen.
Der Gambusino griff nach dem Arme Perillos und drückte denselben in seiner Aufregung so, daß der Stierkämpfer hätte laut aufschreien mögen. Sein Atem ging hörbar, fast röchelnd; doch beherrschte er sich und gab Perillo einen Wink, sich mit zu entfernen. Als sie in Sicherheit gelangt waren, schimpfte er, indem er mit den Zähnen knirschte:
»Verwünscht seien diese beiden Kerle! Hast du sie erkannt?«
»Natürlich! Ich hatte also recht, als ich sagte, daß es die deutsche Sprache sei.«
»Wie kommen diese Menschen hierher in diese Höhle?«
»Der Teufel ist ihr Führer gewesen!«
»Das muß so sein! Er führt sie uns immer in den Weg. Wir haben uns zwar geirrt, als wir den einen für Glotino hielten, aber sie sind uns doch gefährlich, denn sie laufen uns grad dann, wenn wir etwas Wichtiges vorhaben, allemal in den Weg.«
»O, das ist noch lange nicht das Gefährlichste!«
»Was denn?«
»Am bedenklichsten ist jedenfalls der Umstand, daß stets da, wo sie sind, sich auch der Vater Jaguar befindet.«
»Das ist wahr. Ich will doch nicht hoffen, daß der Teufel auch ihn herbeigeführt hat!«
»Was das betrifft, so ist dem Teufel und diesem Vaterjaguar alles zuzutrauen. Hast du die Sättel gezählt, welche in der Höhle lagen?«
»Ja. Es waren sechs Reitsättel. Daraus ist mit Sicherheit zu schließen, daß sich nur diese sechs Personen hier befinden. Den Vater Jaguar haben wir also wenigstens jetzt noch nicht zu befürchten.«
»Was thun wir? Reiten wir etwa weiter? Ich möchte wenigstens diesen beiden kleinen Deutschen endlich einmal einen Denkzettel anhängen.«
Der Gambusino blickte eine Weile sinnend vor sich nieder und antwortete dann:
»Ich habe einen Gedanken - -«