»Wieviel verlangen Sie für meine Freiheit?«
»Das wird sich finden, nachdem ich erfahren habe, wie hoch sich Ihr Besitz beläuft. Ich pflege nämlich nach Prozenten desselben zu rechnen und - -«
Er wurde unterbrochen, und zwar von dem Häuptlinge, welcher hastig hereintrat und ihm einen Wink gab, auf die Seite zu kommen. Als er diesem Winke gefolgt war, flüsterte ihm das »spitze Messer« zu:
»Wir sind nicht sicher; wir werden belauscht. Einer meiner Leute hat eine Gestalt gesehen, welche an der Erde herbeigekrochen kam.«
»Vielleicht irgend ein Tier!«
»Nein, Señor; es war ein Mensch, denn als er sah, daß er bemerkt worden war, sprang er auf und lief davon.«
»Habt ihr ihn nicht verfolgt?«
»Wer kann das in der Finsternis, welche draußen herrscht? Der Mann ist in einem einzigen Augenblicke verschwunden gewesen.«
»Qué disgusto! So müssen wir augenblicklich fort. Wer weiß, wer sich hier herumtreibt.«
»Gewiß der Vater Jaguar,« antwortete Antonio Perillo, welcher so nahe stand, daß er die Meldung des Häuptlings gehört hatte.
»Nein, dieser sicher nicht, denn wenn er es wäre, so würde er nicht zögern, über uns herzufallen, um die Gefangenen zu befreien. Aber mag es sein, wer es will; er soll uns nichts anhaben; wir führen ihn irre.«
Er trat das Feuer aus, damit es nicht zum Verräter werden möge, und erteilte noch einige leise Befehle.
Einige Indianer holten die Maultiere der Gefangenen und Erschossenen zusammen, und andre nahmen die gefesselten Deutschen auf und trugen sie nach der Stelle, wo der Indianer die Tiere bewachte. Dort gab es ein kurzes Durcheinander, und dann hörte man, daß sich der Trupp entfernte, aber nicht in der Richtung der Salina del Condor, sondern in die entgegengesetzte. Der vorher so belebte Platz lag wieder still und lautlos da.
Wirklich lautlos? Doch nicht ganz, denn gar nicht weit von der Höhle, wo sie hart an die Felswand geschmiegt gelegen hatten, erhoben sich zwei Gestalten, eine sehr lange und eine kürzere, denen das lose Haar weit über den Rücken hinabhing, und der Lange sagte mit unterdrückter Stimme zu dem Kleineren:
»Sie haben dich gesehen; darum sind sie fort. Wie leicht konnten sie dich ergreifen, o Herrscher!«
»Mich niemals, lieber Anciano,« antwortete Haukaropora, der Sohn des Inka. »Sie haben eine falsche Richtung eingeschlagen, um uns irre zu leiten; aber wir lassen uns nicht täuschen. Unsre Füße sind schneller, als die Hufe ihrer Pferde. Sie reiten sicher nach der Salina. Laß uns ihnen dorthin voraneilen, um dem Vater Jaguar ihr Nahen zu verkünden!«
Die beiden Nachkommen der alten Peruaner verschwanden im Dunkel der Nacht. Aus ihren Worten ging hervor, daß sie von dem Vater Jaguar als Kundschafter ausgesandt worden waren, um ihm die Annäherung des Gambusino zu melden. Dieser letztere war eher als der erstere in Salta gewesen; er hatte einen Vorsprung von einem Tage gehabt; da er aber erst zu den Mojosindianern geritten war, während der Vater Jaguar mit seinen Leuten das Ziel direkt hatte aufsuchen können, so war dieser weit eher als der Gambusino an demselben angekommen. Hammer hatte sich das sehr wohl berechnet; er wußte genau, daß die Erwarteten erst später kommen konnten, und so ließ er, als er an der Mordschlucht ankam, seine Schar am Rande derselben lagern, ohne diejenigen Vorsichtsmaßregeln zu treffen, von denen er sonst gewiß nicht abgesehen hätte.
Der Name Barranca del Homicidio, also Mordschlucht, war ein unheimlicher, und die Umgebung dieses Ortes, die ganze Gegend, stand im Einklange mit dem Eindrucke, welchen diese Bezeichnung machte. Die Vormittagssonne verschwendete ihre Wärme an ein Bild trostloser Einsamkeit. Leblos und kahl erhoben sich im Westen die Riesen des Gebirges; öde standen rings die Felsenhöhen in der Nähe und weder an ihren Hängen noch in den Thälern war eine Spur von Vegetation zu bemerken.
Was die Schlucht selbst betraf, so fiel sie so steil in die Tiefe hinab, daß nur Fußgänger aber nicht Reiter, und selbst erstere nicht leicht, hinabkommen konnten. Auch hier gab es, weder an den Seiten noch auf dem Grunde der Schlucht, irgend eine Art von Pflanzenwuchs, und nur am Rande derselben, da wo die Reiter abgestiegen waren, sah man einige halb aus der Erde gerissene Wurzeln, deren Stengel von früher Dagewesenen als Feuerungsmaterial benutzt worden waren. Hier oben gab es nur glatten Fels, auf welchem selbst die Hufe der Maultiere kaum eine Spur zurücklassen konnten; die Tiefe aber war angefüllt von Gesteinstrümmern, welche sich im Laufe der Zeit von den Wänden abgelöst hatten und hinuntergestürzt waren. Nicht weit von den Lagernden, vielleicht fünfzig Schritt von der Schlucht entfernt, lag ein großer Felsblock, welcher auf der der Schlucht abgewendeten Seite überhing und so einen Raum zum Unterschlüpfen bildete, in welchem eine Person bequem Schutz gegen Wind und Wetter finden konnte. Der Vater Jaguar sagte zu seinem Geronimo, indem er auf diesen Fels deutete -
»Unter diesem Steine hat Antonio Perillo gelegen, als er den Inka belauschte, ehe er ihn dann am folgenden Morgen weiter unten ermordete. Als mir der sterbende Pellejo erzählte, was er am Sumpfe der Knochen heimlich gehört hatte, sprach er von diesem Felsen. Perillo hatte unter demselben übernachten wollen, als der Inka vorüberkam.«
»Ja,« antwortete Geronimo, indem er mit der Hand in die Tiefe deutete, »da drüben am jenseitigen Rande ist der Inka am andern Morgen erschienen und emporgestiegen; dort muß also der Schatz aufbewahrt sein.«
Die beiden sprachen jetzt offen, so daß die andern alle es hörten, von dem Schatze und bedienten sich dabei des Wortes Inka, denn der alte Anciano und Haukaropora hatten während der letzten Tage zu ihnen offen von ihrem Geheimnisse, welches bis dahin nur der Vater Jaguar außer ihnen gekannt hatte, gesprochen.
Anciano hörte, welche Vermutung Geronimo aussprach, und sagte infolgedessen:
»Sie haben ganz richtig vermutet, Señor. Dort drüben, wo man nur mit Anstrengung aufwärts steigen, von oben nach unten aber mit Gefahr für seine Glieder gelangen kann, ist die Stelle, nach welcher der Gambusino und Perillo suchen wollen.«
»Du kennst sie natürlich?« fragte Hammer.
»Ja.«
»Auch Hauka?«
»Nein. Für ihn ist sie bisher ein Geheimnis gewesen, da er erst seit kurzer Zeit das Alter erreicht hat, in welchem er nach dem Willen seines Vaters das Geheimnis vollständig erfahren soll.«
»Er erfährt es von dir?«
»Ja.«
»So bist du ganz in dasselbe eingeweiht?«
»Nur soweit es notwendig ist, um Hauka den Weg zu zeigen.«
»Liegt der Schatz vergraben in der Erde? Ich meine, ob man ein Loch gegraben und dann wieder zugeschüttet hat?«
»Nein; er befindet sich in einer Höhle, in einem alten Stollen, welchen unsre Vorfahren gegraben haben, um nach Gold oder Silber zu suchen. Sie haben aber nichts gefunden, und als sie dann gar einen breiten, unterirdischen Querspalt erreichten, welcher so tief war, daß man keinen hinuntergeworfenen Stein den Boden desselben erreichen hörte, gaben sie das Graben auf und schütteten den Eingang des Stollens zu. Die Lage desselben blieb aber bekannt, und als der Vorfahre Haukaroporas floh, wendete er sich mit den Treuen, die bei ihm waren, hierher und verbarg alles, was er von seinen Schätzen gerettet hatte, in dem Stollen. Die Feinde folgten ihnen später und überfielen sie. Alle wurden getötet, außer zweien, welche entkamen; der eine war der Inka und der andre mein Ahne. Das Geheimnis erbte sich auf die Nachkommen dieser beiden, bis auf Haukaropora und mich, fort. Ich weiß, wo die Höhle liegt, bin aber noch nie im Innern derselben gewesen, da nur mein Herr, der Vater Haukaroporas, das Recht hatte, dieselbe zu betreten. Heute werde ich ihm den Eingang zeigen, und wenn er es mir erlaubt, darf ich dabei zum erstenmal sehen, welche Gegenstände die Höhle birgt.«
»Natürlich erlaube ich es dir, mein alter, treuer Anciano,« fiel da Haukaropora ein. »Du bist mein zweiter Vater, und was mir gehört, das ist auch dein Eigentum.«