Morgenstern erzählte ihm in kurzen Worten das hier erlebte Abenteuer und sagte ihm, daß er nur noch seiner Bücher bedürfe, um reisefertig zu sein.
»Die werde ich Ihnen sofort holen, Señor,« meinte »Doktor« Parmesan.
»Sie? Damit darf ich Sie doch unmöglich belästigen, Señor.«
»Warum nicht? Zahlen Sie mir zwei Papierthaler, so thue ich es gern. Übrigens bin ich den Soldaten und Offizieren bekannt. Man wird keinem andern Ihre Bücher so gewiß übergeben wie mir.«
Also dieser Mann mit dem langen und wohlklingenden altkastilianischen Namen, der sich »Doktor« nannte, war bereit, für zwei Papierthaler, also für zweiunddreißig deutsche Pfennige, Gepäckträgerdienste zu leisten!
Als er von Morgenstern diesen Betrag erhalten hatte, ging er fort und brachte schon nach kurzer Zeit die Bücher getragen. Dann entfernte er sich abermals, um Papier und Tabak zu Zigaretten einzukaufen. Er nahm zu diesem Zwecke einen Ledersack mit, den er gefüllt zurückbrachte. Er hatte ganz richtig gesagt, daß hier jeder rauche. Man wird in der Pampa selten einen Menschen sehen, der nicht eine selbstgedrehte Zigarette im Munde hat.
Der Wirt war gern bereit, gegen geringe Bezahlung Pferde und einen Peon herzuleihen. Eins dieser Tiere bekam Morgensterns Pakete zu tragen; dann stiegen die Männer auf, um nach der Estancia zu reiten. Als sie langsam durch die erste Gasse kamen, standen einige Kinder da beisammen; sie sahen den Chirurgen und rannten augenblicklich in das nächste Haus, indem sie schrieen:
» El carnicero, el carnicero! Huid, huid, de la contrario os amputa - der Fleischhacker, der Fleischhacker!
Flieht, flieht, sonst amputiert er euch!«
Er schien also nicht nur überhaupt, sondern den Kindern sogar als abschreckender Popanz bekannt zu sein.
Das ärgerte ihn aber keineswegs, sondern er sagte in stolzem Tone:
»Hören Sie es, Señor? O, man kennt mich und meine Fertigkeiten sehr genau. Mein Ruhm ist über sämtliche La Plata-Staaten verbreitet!«
Der Ritt ging an dem Cuartel vorüber, in welchem Morgenstern vorhin die so kurze Rolle eines Obersten gespielt hatte, dann an dem Kirchhofe und mehreren kleinen Ranchos, bis man endlich das Stadtgebiet hinter sich hatte. Zur Linken sahen die Reiter den seeartig ausgedehnten Rio Salado fließen, und vor ihnen lag ein ausgedehntes, hügelig unebenes Heideland. Auf demselben stand, rechts nach dem See hinüber, welchen der Rio Saladillo hier bildet, die Hacienda, von welcher der »Fleischhacker« gesprochen hatte. Sie war nicht sehr groß, dennoch gab es da nicht unbeträchtliche Herden. Man sah wohl an die tausend Schafe weiden; auf der andern Seite grasten, von einigen Gauchos bewacht, mehrere hundert Stück Rinder, und in den Corrals gab es Pferde genug, eine ganze Schwadron Kavallerie beritten zu machen.
Wer über die Pampa oder den Campo, das Feld, reitet, bekommt dreierlei Ansiedelungen zu sehen. Die erste Art derselben sind die Ranchos (sprich Rantschos), kleine Hütten, welche meist aus gestampfter Erde hergestellt sind und Stroh- oder Schilfdächer haben. Oft stehen sie nicht zu ebener Erde, sondern sind mehrere Fuß tief in den ausgegrabenen Boden eingelassen. Von Möbeln nach unsrem Sinne ist keine Rede.
Eine Hängematte gilt als Luxusartikel. Das Mahl wird auf einem Feuerherde bereitet, welcher auch aus Lehm hergestellt ist, denn Steine gibt es in den Pampas nicht. Ein Schornstein ist nicht vorhanden; der Rauch zieht durch die Öffnungen ab, welche als Thür und Fenster bezeichnet werden, doch ist die Thür nicht verschließbar, und in den Fensteröffnungen gibt es weder Glas noch Rahmen. Höchstens vertritt ein Stück geöltes Papier die Stelle der Scheiben.
In diesen Ranchos wohnen die armen Leute, welche auf den Haciendas und Estancien bedienstet sind -die Gauchos.
Dieses letztere Wort ist der Indianersprache entlehnt; die beiden Buchstaben a u bilden keinen Diphthong, sondern werden getrennt ausgesprochen; man muß also Ga-utscho sagen. Der Ga-utschos gehören meist der Klasse der Mestizen an; sie betrachten sich zwar als Weiße und sind auf diese Bezeichnung ungemein Stolz, stammen aber von Indianerinnen und den früher eingewanderten Spaniern ab. Es gibt verschiedene Ansichten über dieselben; der eine lobt und der andre tadelt sie. Das Richtige ist, daß man sie nach den verschiedenen Gegenden, in denen sie leben, auch verschieden beurteilt.
Die Ga-utschos besitzen alle den Stolz des Spaniers und, infolge ihres eigenartigen Lebens, eine ungemeine Freiheitsliebe. Jeder hält sich für einen Caballero und ist sehr höflich gegen andre, um selbst höflich behandelt zu werden. Der ärmste Teufel, ja selbst der Bettler wird »Euer Gnaden« genannt. Derjenige Fremde, welcher glaubt, er dürfe auf einen Gaucho von oben herabblicken, weil er reicher oder gebildeter als dieser ist, wird bald so zurechtgewiesen werden, daß ihm der Hochmut vergeht. Herablassung beantwortet der Gaucho mit der ausgesuchtesten Grobheit oder, falls dies nichts fruchtet, gar mit dem Messer. Behandelt man ihn aber höflich, läßt man ihn als einen menschlich vollständig Gleichberechtigten gelten, so wird man bald einen treuen und aufopfernden Freund an ihm haben. Zu rühmen ist vor allen Dingen seine Ehrlichkeit.
So wie er seine Hütte nie verschließt, so wird er selbst auch niemals stehlen. Findet er etwas, so gibt er es, falls die Möglichkeit vorhanden ist, dem Verlustträger ganz gewiß zurück. Ein Gaucho zum Beispiel, welcher so arm war, daß er nicht einmal einen Schemel besaß und das Gerippe eines Pferdekopfes als Stuhl benutzte, fand auf offener Pampa eine Uhr, welche einem ausländischen Reisenden aus der Tasche geglitten war. Er jagte einen Tag lang Von einem Nachbar zum andern, um zu erfahren, wem die Uhr wohl gehören könne, und als er von dem Fremden hörte und nun vermuten mußte, daß dieser sie verloren habe, ritt er ihm zwei Tage lang nach, um sie ihm zu bringen. Als ihm der Reisende eine Geldbelohnung geben wollte, warf er sie ihm verächtlich vor die Füße und kehrte, ohne ein Wort zu sagen, um.
Von Jugend auf an das Pferd gewöhnt, sind die Gauchos ebenso kühne wie unermüdliche Reiter. Sie gleichen darin den Westmännern und Indianern Nordamerikas. Eine Strecke von hundert Schritten zu gehen, fällt dem Gaucho gar nicht ein. Sobald er seinen Rancho verläßt, sitzt er zu Pferde. Zweijährige Kinder sprengen auf halbwilden Pferden jubelnd in die Pampa hinein. Auch die Frauen reiten, und zwar nach Männerart, nicht die Beine auf einer Seite des Pferdes. Oftmals sieht man Mann und Weib zusammen auf einem Pferde sitzen, die Frau dann stets verkehrt auf dem Hinterteile des Pferdes, ohne allen Halt, ihren Rücken an denjenigen des Mannes lehnend. Und doch fällt sie selbst im schnellsten Galopp nicht herab.
Eine Untugend, und zwar eine große, besitzt der Gaucho. Er ist nämlich vollständig gefühllos gegen sein Pferd. Er schnallt den Sattel auf den wunden, eiternden Rücken seines Tieres und gräbt demselben mit den großen, scharfen Sporen tiefe Löcher in die Weichen, ohne daran zu denken, welche Schmerzen er dem armen Geschöpf bereitet. Darum fürchten die Pferde ihren Herrn und gebärden sich wie toll, wenn er sie zusammentreibt, um sich für den Ritt eins mit dem Lasso aus der Herde zu fangen. Bricht es unter ihm zusammen, so läßt er es, noch lebend, für die Geier liegen und holt sich ein andres. Bei den ungezählten Herden, die es im Lande gibt, ist ein Pferd so billig, daß man sich zum Tode eines solchen Tieres vollständig gleichgültig verhält. Daher die zahllosen Pferdegerippe, denen man allüberall begegnet. Man kann, ohne zu übertreiben, sagen, daß die weiten, endlosen Pampas mit Pferdeknochen geradezu gedüngt sind.