Sie waren zuletzt einer Fährte von so zahlreichen Reitern gefolgt, daß sie annehmen mußten, die Spur der Truppe des Vaters Jaguar vor sich zu haben. Gern wären sie weiter geritten; aber es wurde schnell dunkel, und so hielten sie es für geraten, anzuhalten und Lager zu machen.
Sie stiegen also ab und entsattelten ihre Pferde. Sie banden ihnen mit den Lassos die Vorderbeine in der Weise zusammen, daß die Tiere zwar weiden aber nur kleine Schritte machen konnten, um sich nicht weit zu entfernen. Die Pampaspferde leben in Herden und bleiben stets beisammen; daher stand nicht zu befürchten, daß man sie früh nach verschiedenen Richtungen zu suchen habe.
Dann wurde dürres Holz zum Feuer gesammelt. Die wilden Zitronenbäume lieferten genug davon. Als die Flamme lustig flackerte, wurden die beiden Vizcachas abgezogen und ausgeschlachtet. Sie gaben genug Fleisch für heute abend und für morgen früh. Wasser war freilich nicht vorhanden, da das salzhaltige der Laguna nicht zu genießen war.
Nach dem Essen wickelten die drei sich in ihre Ponchos und legten sich am Feuer zum Schlafen nieder. Man hatte heute wieder über hundert Kilometer zurückgelegt, und war also so ermüdet, daß keiner trotz der scharfen Luft, welche während der Nacht wehte, erwachte.
Am Morgen fand es sich, daß die Pferde ganz in der Nähe geblieben waren. Der Rest des Fleisches wurde gebraten und verzehrt; dann brach man wieder auf.
Die Reiter befanden sich auf der östlichen Seite der Laguna, in welche von Osten her der Rio Dulce fließt.
Dieser Name wurde dem Flusse gegeben, weil er ein wohlschmeckendes, süßes Wasser führt. Nachdem er aber durch die Salzwüste geflossen ist, hat er so viel Salz angenommen, daß sein Wasser im untern Teile seines Laufes ungenießbar geworden ist.
Die gestrige Spur führte an der Lagune hin und dann ein Stück von derselben ab. Dort hatte man Halt und jedenfalls auch Lager gemacht, denn der Boden war zerstampft; es gab mehrere ausgekohlte Feuerstätten und das Gras war in einem weiten Umkreise von den weidenden Pferden niedergetreten. Aber wann man hier ausgeruht hatte, das zu erraten oder gar zu bestimmen, dazu waren die drei nicht erfahren genug. Wald- oder Prairieläufer war keiner von ihnen.
Von dieser Stelle aus führte die Fährte in nordöstlicher Richtung weiter. Der Chirurg blieb halten und sagte in bedenklichem Tone-
»Señores, meinen Sie wirklich, daß diese Spuren von den Leuten des Vaters Jaguar herrühren?«
»Ja,« antwortete Fritze Kiesewetter. »Er hat vierundzwanzig Mann bei sich, und ungefähr so viele sind es gewesen, welche hier geritten sind.«
»Das ist wahr; aber der Vater Jaguar will nach dem Gran Chaco, welcher von hier aus im Norden und Nordwesten liegt, und diese Spur zeigt nach Nordosten.«
»So wird er wohl einen triftigen Grund gehabt haben, von der geraden Richtung abzuweichen. So etwas kann oft und manchmal vorkommen.«
»Hm! Euer Gnaden schlagen also vor, daß wir dieser Fährte folgen?«
»Ja. Ich denke nicht, daß ich mich irre. Der Vater Jaguar ist sicherlich nach dieser Laguna geritten. Wir haben die einzige Spur vor uns, welche es hier gibt, folglich ist sie die seinige. O, ich verstehe mich darauf, denn ich habe früher einmal eine Indianergeschichte gelesen, in welcher sehr viel von Stapfen, Spuren und Fährten die Rede war.«
Sie ritten also auch nach Nordost. Der Weg führte über einen ebenen Kamp, auf welchem nichts als Himmel und Gras zu sehen war. Die Spuren waren ganz deutlich zu sehen. Gegen Mittag fanden sie eine klare Quelle, an welcher der Trupp, den sie für denjenigen des Vaters Jaguar hielten, gelagert hatte. Sie stiegen auch ab, um endlich einmal sich satt zu trinken und dann auch ihre Pferde Wasser nehmen und ruhen zu lassen. Nach einer guten Stunde wurde wieder aufgebrochen.
Doktor Morgenstern hatte einen kleinen, aber guten Kompaß an seiner Uhrkette hängen. Diesen zu Rate ziehend, sah er, daß die Fährte eine immer mehr örtliche Richtung nahm. Sie lief nicht mehr nach Nordost, sondern schon nach Ostnordost. Das fiel dem Chirurgen noch mehr auf. Er schüttelte den Kopf und sagte:
»Wenn wir in dieser Weise weiterreiten, kommen wir im ganzen Leben nicht nach dem Chaco. Wenn ich mich nicht irre, so reiten wir auf diejenige Gegend des Rio Salado los, in welcher Paso de las Cañas oder gar Paso Quebracho liegt. Sollten wir den Vater Jaguar wirklich vor uns haben? Ich habe große Lust, umzukehren oder mich nach links zu wenden.«
»Und ich reite dorthin, wo die Spur hinzeigt,« antwortete Morgenstern. »Wo Spuren sind, da findet man Menschen; und wo Menschen sind, da gibt es etwas zu essen.«
Dieses Argument machte einen guten Eindruck auf Don Parmesan, denn er meinte, indem er zustimmend mit dem Kopfe nickte:
»Das ist freilich wahr. Wir werden heute vielleicht hungern müssen, denn es hat sich noch kein einziges Tier sehen lassen, diese Geier ausgenommen, die überall sind und leider nicht verzehrt werden können. Reiten wir also der Fährte nach!«
Wieder ging es weiter. Der Hunger stellte sich ein, denn das Reiten und die Luft erzeugen Appetit. Es war um die Mitte des Nachmittages, da zeigte der Chirurg mit der Hand geradeaus und sagte in leisem Tone, als ob er befürchte, gehört zu werden:
» Un avestruz, un avestruz, - ein Strauß, ein Strauß!«
Die beiden andern blickten in die angegebene Richtung und sahen wirklich einen Strauß, welcher, allerdings eine bedeutende Strecke entfernt, den Boden eifrig mit dem Schnabel bearbeitete und die Reiter nicht bemerkte, da er ihnen den Rücken zukehrte.
»Das gibt Fleisch, das gibt Fleisch!« fuhr Don Parmesan fort. »Wir werden unsern Hunger stillen.«
»Aber erst dann, wenn wir den Vogel haben,« meinte Fritze. »Ich habe gehört, daß der Strauß sehr schwer zu jagen ist.«
»Da hat man Euer Gnaden allerdings recht berichtet. Er wird uns entgehen.«
Da legte der Doktor den Finger auf die Nase und sagte in gewichtigem Tone:
»Señores, ich hab's, ich hab's! Die Wissenschaft ist's, welche dem Menschen in jeder Verlegenheit zu Hilfe kommt. Ich bin ein Jünger der Wissenschaft, speciell der Zoologie, zu welcher ja auch der Strauß gehört, und werde Ihnen ein Mittel sagen, wie wir ihn fangen können.«
»Nun? Sagen Sie es schnell!« forderte Parmesan ihn begierig auf.
»Die Wissenschaft lehrt, daß der Strauß den Kopf in die Erde steckt.«
»Davon habe ich auch gehört.«
»Auch? Nun, so kennen Sie mein Mittel.«
»Wieso?«
»Veranlassen Sie ihn, den Kopf in die Erde zu stecken, so sieht er uns nicht, und wir können über ihn kommen wie David über die Philister.«
»Señor, wollen Sie sich über mich lustig machen?«
»Fällt mir nicht ein! Ich spreche im vollen Ernste.«
»So reiten Sie doch hin, und bitten Sie ihn, den Kopf zu verstecken!«
»Das würde voraussichtlicherweise den entgegengesetzten Erfolg haben.«
»Das denke ich auch. Wie soll man ihn veranlassen, den Kopf zu verbergen?«
»Das ist Ihre Sache, Señor. Ich habe Ihnen mein Mittel gesagt. Wenn Sie kein Mittel kennen, es auszuführen, so ist das nicht meine Sache, obgleich ich es tief beklage, da wir nun doch noch Hunger leiden werden.«
Er hatte wirklich im vollsten Ernste gesprochen. Parmesan wollte eine noch derbere Antwort geben, aber Fritze kam ihm zuvor:
»Streiten Sie sich nicht, Señores! Ich glaube, einen guten Gedanken zu haben. Glauben Sie, Señor Parmesan, daß ---«
»Don Parmesan, bitte!« unterbrach ihn der andre stolz.
»Gut! Also, Don Parmesan, glauben Sie, daß der Strauß vor einem Pferde flieht?«
»Nein. Es kommt im Gegenteile vor, daß man grasende Strauße mitten unter weidenden Pferde- oder Rinderherden findet.«