Die Umgebung derselben ist landschaftlich ganz und gar unbedeutend. Es gibt keine Abwechselung, keine Höhen und Thäler, keine Büsche und Wälder. Hat man die Stadt hinter sich, so steht man auf der offenen, ebenen Pampa, und am Horizonte schwimmen Himmel und Erde so zusammen, daß von einer Grenzlinie zwischen beiden keine Rede ist.
Der Hafen ist schlecht, und das Wasser des Plata hat eine lehmichte, schmutzige Farbe, so daß auch er der Stadt keinen Reiz verleiht.
Buenos Ayres bedeckt ungefähr den gleichen Flächenraum wie Paris. Man kann sich also denken, wie weitläufig alles ist. Es gibt mehrere sehr schöne Straßen und Plätze, kommt man aber über den Kern der Stadt hinaus, so trifft man auf roh gemauerte Magazine, häßliche Hütten und Schuttplätze. Einige der Außenstraßen freilich haben ein elegantes Aussehen, da an ihnen die Villen der reichen Einwohner stehen.
Eine solche Villa wird hier Quinta genannt.
In den innern und belebtesten Vierteln der Stadt findet man zwei-, drei- und wohl auch vierstöckige Häuser; sonst aber bestehen die Gebäude nur aus dem Erdgeschosse; sie ragen nicht in die Höhe, dehnen sich aber desto mehr in die Breite und Tiefe. Diese Gebäude haben flache, mit Ziegelsteinen belegte Dächer, über denen sich kleine Warttürme erheben, die man Miradores nennt. Die Dächer sind ein klein wenig geneigt, damit der Regen in den Hof und die in demselben befindliche Zisterne ablaufen kann. Denn bis vor kurzem trank man nur dieses Zisternenwasser.
Wenn von dem Hofe die Rede ist, so haben nur die ärmeren Leute einen einzigen solchen. Bessere Häuser aber schließen drei, vier und auch noch mehr Höfe ein. Steht man vor der in durchbrochener Eisenarbeit künstlerisch modellirten Thüre eines solchen Gebäudes, so kann man durch dieselbe eine ganze Reihe von saubern, mit Springbrunnen und Blumen geschmückten Marmorhöfen sehen. Denn Marmor ist das Material, aus welchem die Häuser der Wohlhabenden gebaut werden.
Wird gefragt, warum es in Buenos Ayres nur flache Dächer gibt, so ist die Antwort sehr einfach. Zunächst erfordern schräge, hohe Dächer weit mehr Material und sind nur in solchen Gegenden notwendig, wo eine durchschnittlich große Regenmenge fällt. In Buenos Ayres aber fällt bedeutend weniger Regen als bei uns.
Sodann würden hohe Dächer und Giebel dem Pampero, dem gewaltigen, verheerenden Sturme, welcher von den Cordilleren niederstreicht, viel zu große Flächen bieten. Und endlich bieten flache Dächer die Annehmlichkeit, daß man auf ihnen des Abends spazieren gehen und frische Luft schöpfen kann.
Wer da glaubt, daß man auf den Straßen von Buenos Ayres eine Menge dahergaloppierender Gauchos sehen kann, hat sich sehr geirrt. Man möchte vielmehr glauben, sich in einer europäischen Stadt zu befinden. Alles kleidet sich hier in französische Tracht. Auch ist die Zahl der Europäer, welche hier wohnen, eine ganz beträchtliche. Nur die Hälfte der Bevölkerung sind Argentiner. Es gibt 4000 Deutsche, 15000 Franzosen, 20000 Spanier und 50000 Italiener, außerdem viele Engländer und noch mehr Schweizer. Dieses Durcheinander so vieler Nationalitäten hat eine ungewöhnliche Sprachgewandtheit zur Folge. Leute, ja sogar junge Personen, welche mit vollster Fertigkeit drei, vier und wohl noch mehr Sprachen beherrschen, finden sich hier mehr als selbst in Paris, London und New York.
Was nun den Namen der Stadt betrifft, so trägt sie denselben wohl kaum mit vollem Rechte. Buenos Ayres heißt »gute Lüfte«, aber wenn die Sonne heiß auf die platten Dächer der tiefliegenden Stadt brennt, so vermag man es in den dumpfen, drückenden Räumen kaum auszuhalten. Und Bäume, die eigentlichen Luftverbesserer, gibt es ja nicht, wenigstens nicht das, was man bei uns unter Baumwuchs versteht. Schon Zitronen und Apfelsinen gedeihen hier nicht mehr, Tropenfrüchte noch weniger. Für Äpfel, Pflaumen, Kirschen und andre Obstsorten ist das Klima zu heiß, und so trifft man nur Wein, Birnen, Pfirsiche und Aprikosen an, diese aber allerdings in vortrefflicher Qualität. Wälder aber gibt es in dem östlichen Teile des Landes gar nicht. Höchstens hat einmal hier oder da der reiche Besitzer einer Quinta den Garten, in welcher sie steht, so dicht bepflanzt, daß man unter den Bäumen eine wirkliche Kühlung verspürt.
Eine der schönsten Quinten war diejenige des Bankiers Salido, eines höchst gastfreundlichen Mannes, welcher nicht allein nur auf den Erwerb bedacht war, sondern auch die Künste und die Wissenschaften liebte und selbst mit europäischen Jüngern derselben in Briefwechsel stand. Infolge dieses letzteren Umstandes war Doktor Morgenstern an ihn empfohlen worden und hatte eine freundliche Aufnahme bei ihm gefunden. Die Quinta lag am südlichen Ende der Stadt, so daß der Gelehrte einen weiten Weg zurückzulegen hatte, infolgedessen Antonio Perillo sehr lange auf die Rückkehr seines Verbündeten zu warten hatte.
Die Zeit wurde ihm aber nicht lang, denn es waren auch hier zahlreiche Gäste vorhanden, denen das morgen stattzufindende Stiergefecht einen reichen Stoff der Unterhaltung bot. Perillo kannte keinen dieser Leute, und ebensowenig war er ihnen bekannt. Man sprach von Señor Crusada, dem fremden Stierkämpfer, und war überzeugt, daß ihn die hiesigen Espadas nicht erreichen würden. Das ärgerte Perillo gewaltig, doch hütete er sich, zu sagen, daß er einer dieser Espadas sei. Man erwähnte natürlich auch den Jaguar und den wilden Bison und war der Meinung, daß die Kämpfer einen schweren Stand haben würden.
»Blut wird auf alle Fälle fließen,« meinte einer, »und zwar auch Menschenblut. Von dem Büffel will ich nicht sprechen, denn ich habe noch kein solches Tier gesehen; aber der Jaguar ist ein schlimmer Gesell, der ein zähes Leben hat und nicht gleich beim ersten Streiche liegen bleibt.«
Da konnte Perilio sich doch nicht enthalten, einzuwerfen:
»Ein Feigling ist der Jaguar! Ich mache mich anheischig, ihm nur mit dem Messer in der Hand zu Leibe zu gehen.«
»Und dann von ihm zerrissen zu werden!« lachte der andre.
»Ich spreche im Ernste. Habt Ihr denn noch nicht gehört, daß der Jaguar flieht, wenn er einen Menschen sieht, und daß es Gauchos gibt, die ihn mit dem Lasso fangen?«
Da antwortete ein alter, sonnverbrannter Mann, welcher allein saß und sich bis jetzt nicht mit an dem Gespräch beteiligt hatte:
»Da haben Sie sehr recht, Señor. Der Jaguar flieht den Menschen und ist auch schon von Gauchos mit dem Lasso gefangen worden. Aber welcher Jaguar war das? Der Jaguar des Flusses.«
»Gibt es denn auch andre Jaguare?«
»Mehrere Arten gibt es nicht, denn Jaguar ist Jaguar; aber vergleicht einmal den am Flusse wohnenden mit demjenigen, welcher über die Pampas streift oder gar droben in den Schluchten des Gebirges wohnt. Der Fluß bietet Nahrung in Hülle und Fülle. Da leben Tausende von Wasserschweinen, an denen sich der Jaguar satt fressen kann. Die Jagd auf diese dummen Tiere fällt ihm nicht schwer; er frißt sich satt und wird faul und feig. Wenn er den Menschen sieht, nimmt er Reißaus. Der Jaguar auf den Pampas aber hat es nicht so leicht.
Er hat mit den Rindern, den Pferden und, wenn er sich ein Schaf holen will, mit den Hirten zu kämpfen; der ist gewiß nicht feig. Oder wohnt er gar in den Bergen, so muß er die wilden Lamas jagen, welche schneller sind als er und sich nicht so leicht erwischen lassen. Da muß er hungern, und Hunger macht wütend. So ein Gebirgsjaguar fällt am hellen, lichten Tage offen über den bewaffneten Menschen her. Das, Señores, ist die Sache, welche ich gern richtig stellen wollte.«
Da meinte Antonio Perillo in spöttischem Tone:
»Sie scheinen in diesem Fache sehr große Kenntnisse zu besitzen, Señor. Sind Sie denn schon einmal über die Grenzen der Stadt hinausgekommen?«
»Zuweilen, ja.«
»Bis wohin denn?«
»Bis nach Bolivia hinauf und auch nach Peru hinüber. Auch bin ich im Gran Chaco gewesen.«