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»Das ist es«, sagte Sorilea. »Er will uns nicht beleidigen. Er will uns ehren, so wie er es versteht.« Sie schüttelte den Kopf. »Eigentlich sollte er es besser wissen.«

»Der Car’a’carn beleidigt oft, ohne es zu wollen«, stimmte Kymer ihr zu, »als wäre er ein Kind. Wir sind stark, also spielt seine Forderung, wie auch immer sie aussieht, keine Rolle. Wenn es ein Preis ist, den die anderen zahlen können, dann gilt das für uns erst recht.«

»Er würde diese Fehler nicht machen, hätte man ihn anständig in unseren Sitten unterwiesen«, murmelte Sorilea.

Aviendha erwiderte gleichmütig ihren Blick. Nein, sie hatte ihn nicht so gut unterrichtet, wie es möglich gewesen wäre – aber alle wussten, dass Rand al’Thor dickköpfig war. Außerdem war sie ihnen nun gleichgestellt. Auch wenn es ihr schwerfiel, das zu verinnerlichen, während sie sich Sorileas Missachtung ausgesetzt sah.

Vielleicht lag es an der vielen Zeit, die sie mit Feuchtländern wie Elayne verbracht hatte, aber plötzlich sah sie die Dinge aus Rands Sicht. Die Aiel von seinem Preis auszunehmen – immer unter der Voraussetzung, dass er es wirklich vorhatte – war eine Tat der Ehre. Hätte er ihn von ihnen genau wie von den anderen verlangt, dann wären die Weisen Frauen vermutlich beleidigt gewesen, zusammen mit den Feuchtländern in einen Topf geworfen zu werden.

Was hatte er vor? In ihren Visionen hatte es ein paar Andeutungen gegeben, aber sie war zusehends davon überzeugt, dass der nächste Tag die Aiel auf den Weg in ihren Untergang schicken würde.

Sie musste dafür sorgen, dass das nicht geschah. Das war ihre erste Aufgabe als Weise Frau, und vermutlich die wichtigste, die sie je erhielt. Sie würde nicht scheitern.

»Ihre Aufgabe bestand nicht nur darin, ihn zu unterrichten«, sagte Amys. »Was würde ich dafür geben, wenn er unter der Aufsicht einer guten Frau stünde.« Sie schaute Aviendha bedeutungsvoll an.

»Er wird mir gehören«, sagte Aviendha entschieden. Aber nicht für dich, Amys, oder für unser Volk. Die Stärke dieser Empfindung schockierte sie. Sie war Aiel. Ihr Volk bedeutete ihr alles.

Aber diese Entscheidung konnte es nicht treffen. Diese Entscheidung gehörte allein ihr.

»Sei gewarnt, Aviendha«, sagte Bair und legte ihr die Hand auf den Unterarm. »Er hat sich verändert, seit du gegangen bist. Er ist stark geworden.«

Aviendha runzelte die Stirn. »Auf welche Weise?«

»Er hat den Tod umarmt«, sagte Amys und klang stolz. »Er mag noch immer ein Schwert tragen und sich wie ein Feuchtländer anziehen, aber er ist jetzt endlich und wahrhaftig einer von uns.«

»Davon will ich mich selbst überzeugen«, sagte Aviendha und stand auf. »Ich werde sehen, was ich über seine Pläne herausfinden kann.«

»Dazu ist aber nicht mehr viel Zeit«, warnte Kymer.

»Eine ganze Nacht«, erwiderte Aviendha. »Das reicht.«

Die anderen nickten, und Aviendha zog sich an. Unerwarteterweise folgten die Frauen ihrem Beispiel. Anscheinend hielten sie ihre Neuigkeiten für wichtig genug, um sie mit anderen Weisen Frauen zu teilen, statt hier weiter zu beratschlagen.

Aviendha trat als Erste in die Nacht hinaus; nach der drückenden Hitze des Schweißzeltes fühlte sich die kalte Luft gut auf ihrer Haut an. Sie nahm einen tiefen Atemzug. Ihr Geist war schrecklich erschöpft, aber Schlaf würde warten müssen.

Hinter den anderen Weisen Frauen raschelte der Zelteingang. Melaine und Amys unterhielten sich leise, als sie in die Nacht eilten. Kymer schritt energisch auf das Lager der Tomanelle zu. Vermutlich würde sie mit ihrem Onkel Han sprechen, dem Häuptling der Tomanelle.

Eine knochige Hand legte sich auf Aviendhas Arm. Sie blickte über die Schulter und sah Bair in Bluse und Rock gekleidet dort stehen.

»Weise Frau«, sagte Aviendha automatisch.

»Weise Frau«, erwiderte Bair lächelnd.

»Kann ich etwas tun …?«

»Ich möchte nach Rhuidean gehen«, sagte Bair und schaute in den Himmel. »Würdest du mir freundlicherweise ein Wegetor öffnen?«

»Du gehst durch die Glassäulen.«

»Eine von uns muss es tun. Egal, was Kymer sagt, Elenar ist noch nicht so weit, vor allem nicht, um so etwas zu sehen. Das Mädchen verbringt die Hälfte seiner Tage damit, wie ein Bussard über den letzten Fetzen eines verfaulenden Kadavers zu krächzen.«

»Aber …«

»Ach, jetzt fang du nicht auch noch an. Du bist jetzt eine von uns, aber ich bin noch immer alt genug, um mich um deine Großmutter gekümmert zu haben, als sie ein Kind war.« Bair schüttelte den Kopf; ihr weißes Haar schien im Mondlicht beinahe zu leuchten. »Von allen bin ich die beste Kandidatin«, fuhr sie fort. »Machtlenker werden für die kommende Schlacht gebraucht. Ich lasse nicht zu, dass jetzt irgendein Kind zwischen diese Säulen tritt. Ich tue das. Was ist jetzt mit dem Wegetor? Erfüllst du mir die Bitte, oder muss ich Amys dazu überreden?«

Aviendha hätte gern dabei zugesehen, wie jemand Amys zu etwas überredete. Vielleicht hätte Sorilea das ja geschafft. Aber sie hielt den Mund und erschuf das nötige Gewebe, um ein Wegetor zu öffnen.

Die Vorstellung, dass ein anderer das sah, was sie gesehen hatte, drehte ihr den Magen um. Was würde es bedeuten, falls Bair mit genau derselben Vision zurückkehrte? Dass diese Zukunft sehr wahrscheinlich war?

»So schrecklich war das also?«, fragte Bair leise.

»Es war furchtbar. Es hätte Speere weinen und Steine zerbröckeln lassen können. Ich hätte eher mit dem Sichtblender getanzt.«

»Dann ist es viel besser, wenn ich statt einer anderen gehe. Es sollte die Stärkste von uns tun.«

Aviendha konnte verhindern, eine Braue zu heben. Bair war so zäh wie gutes Leder, aber die anderen Weisen Frauen waren auch nicht gerade Blümchen. »Bair«, sagte sie, als ihr ein Gedanke kam. »Bist du je einer Frau namens Nakomi begegnet?«

»Nakomi.« Bair sprach das Wort langsam aus, als müsste sie es schmecken. »Ein uralter Name. Ich kenne keinen, der ihn benutzt hätte. Warum?«

»Auf der Reise nach Rhuidean begegnete ich einer Aiel«, erklärte Aviendha. »Sie behauptete, keine Weise Frau zu sein, aber sie hatte eine Art an sich …« Sie schüttelte den Kopf. »Die Frage war reine Neugier.«

»Nun, wir werden wissen, welchen Wahrheitsgehalt diese Visionen haben«, sagte Bair und machte einen Schritt auf das Wegetor zu.

»Und wenn sie zutreffen?«, stieß Aviendha unwillkürlich hervor. »Was ist, wenn wir nichts dagegen unternehmen können?«

Bair drehte sich um. »Du sagst, du sahst deine Kinder?«

Aviendha nickte. Über diesen Teil der Vision hatte sie nicht in allen Einzelheiten gesprochen. Das war ihr zu persönlich erschienen.

»Gib einem einen anderen Namen«, schlug Bair vor. »Sprich nie den Namen aus, den das Kind in dieser Vision trug, nicht einmal, wenn wir unter uns sind. Dann wirst du es wissen. Wenn sich eine Sache anders verhält, dann ist es auch bei anderen denkbar. Nein, so wird es sein. Das ist nicht unser Schicksal, Aviendha. Es ist ein Weg, den wir vermeiden werden. Zusammen.«

Unwillkürlich nickte Aviendha. Ja. Eine einfache Veränderung, eine kleine Veränderung, aber so bedeutungsvoll. »Danke, Bair.«

Die alte Weise Frau nickte ihr zu, dann trat sie durch das Wegetor und lief durch die Nacht auf die vor ihr liegende Stadt zu.

Talmanes rammte die Schulter gegen einen riesigen Trolloc mit Eberschnauze und primitiver Rüstung. Die Bestie stank schrecklich, nach Rauch, nassem Fell und Schweiß. Die Gewalt seines Angriffs entlockte ihr ein Grunzen; es schien die Kreaturen stets zu überraschen, wenn er sie angriff.

Talmanes wich zurück und riss das Schwert aus der Seite des Tiermenschen, der daraufhin zusammenbrach. Dann sprang er wieder vor und rammte ihm die Klinge in den Hals, ohne darauf zu achten, dass die rissigen Fingernägel über seine Beine kratzten. Aus den kleinen, viel zu menschlichen Augen wich das Leben.