»Moghedien«, sagte Moridin. »Demandred hat Pläne für den kommenden Krieg. Ihr helft ihm.«
»Ich soll ihm helfen?«, sagte sie. »Ich …«
»Vergesst Ihr Euch so schnell, Moghedien?« Moridins Stimme war freundlich. »Ihr tut das, was man Euch sagt. Demandred will, dass Ihr auf eines der Heere achtet, denen nun eine vernünftige Überwachung fehlt. Beschwert Euch mit nur einem einzigen Wort, und Ihr werdet erfahren, dass die Schmerzen, die Ihr bis jetzt kennengelernt habt, nur ein Schatten wahrer Agonie sind.«
Ihre Hand fuhr zu dem Cour’souvra an ihrem Hals. Sie blickte in seine Augen und fühlte ihre Autorität schwinden. Ich hasse dich, dachte sie. Und ich hasse dich noch mehr, weil du mir das vor den anderen antust.
»Die letzten Tage stehen bevor«, verkündete Moridin und wandte ihnen wieder den Rücken zu. »In diesen Stunden verdient ihr euch eure letzten Belohnungen. Falls ihr Groll hegt, bringt es hinter euch. Falls ihr noch Intrigen spinnt, bringt sie zum Abschluss. Macht euer letztes Spiel, denn dies … dies ist das Ende.«
Talmanes lag auf dem Rücken und starrte in den dunklen Himmel. Die Wolken schienen das Licht von unten widerzuspiegeln, das Licht einer sterbenden Stadt. Das war nicht richtig. Licht kam noch immer von oben, oder nicht? Er schloss die Augen.
Kurz nach dem Aufbruch zum Stadttor war er vom Pferd gestürzt. Daran konnte er sich noch erinnern, jedenfalls meistens. Der Schmerz erschwerte das Denken. Leute brüllten sich an.
Ich hätte … ich hätte Mat viel mehr verspotten sollen, dachte er, und der Anflug eines Lächelns zeigte sich in seinen Mundwinkeln. Ein dämlicher Augenblick, so etwas zu denken. Ich muss … ich muss die Drachen finden. Oder haben wir sie bereits gefunden …
»Ich sage Euch doch, diese verdammten Dinger funktionieren so nicht!« Das war Dennels Stimme. »Das sind keine verdammten Aes Sedai auf Rädern. Wir können keine Feuermauer erschaffen. Wir können diese Eisenkugeln in die Ränge der Trollocs schleudern.«
»Sie explodieren.« Guybons Stimme. »Wir könnten diese Extradinger benutzen, wie ich sagte.«
Talmanes’ Augen schlossen sich wieder.
»Die Kugeln explodieren, ja«, sagte Dennel. »Aber zuerst müssen wir sie abschießen. Sie in einer Linie aufzustellen und die Trollocs drübersteigen zu lassen wird nicht viel ausrichten.«
Eine Hand schüttelte Talmanes’ Schulter. »Lord Talmanes«, sagte Melten. »Es liegt keine Ehrlosigkeit darin, es jetzt enden zu lassen. Ich weiß, dass die Schmerzen groß sind. Möge Euch die letzte Umarmung der Mutter behüten.«
Ein Schwert wurde gezogen. Talmanes stählte sich.
Dann entdeckte er, dass er wirklich nicht sterben wollte. Wirklich nicht.
Er zwang die Augen auf und streckte Melten, der über ihm stand, eine Hand entgegen. In der Nähe stand Jesamyn mit vor der Brust verschränkten Armen und sah besorgt aus.
»Helft mir auf die Füße«, sagte Talmanes.
Melten zögerte, gehorchte dann aber.
»Ihr solltet nicht stehen«, meinte Jesamyn.
»Immer noch besser, als ehrenvoll geköpft zu werden«, murrte Talmanes und biss die Zähne gegen den Schmerz zusammen. Beim Licht, war das seine Hand? Sie war so schwarz, sie sah aus, als wäre sie in einem Feuer verkohlt. »Was … was ist hier los?«
»Wir sind in eine Ecke gedrängt, mein Lord«, sagte Melten ernst und grimmig. Er hielt sie alle schon für so gut wie tot. »Dennel und Guybon streiten über die Ausrichtung der Drachen für ein letztes Gefecht. Aludra wiegt die Ladungen ab.«
Endlich stand Talmanes und sackte sofort gegen Melten. Ungefähr zweitausend Menschen drängten sich vor ihm in der Mitte eines großen Platzes. Sie standen so dicht gedrängt wie Männer in der Wildnis, die in einer kalten Nacht die Wärme ihrer Kameraden suchten. Dennel und Guybon hatten die Drachen zu einem Halbkreis aufgestellt, der ins Zentrum der Stadt zeigte. Die Flüchtlinge standen dahinter. Die Bande war dabei, die Drachen zu bemannen; jede Waffe benötigte drei Paar Hände. Fast jedes Mitglied der Bande war zumindest flüchtig darin ausgebildet.
Die Gebäude in der Nähe hatten Feuer gefangen, aber das Licht tat seltsame Dinge. Warum erreichte es nicht die Straßen? Die waren viel zu dunkel. Als hätte man sie angemalt. Wie mit …
Er blinzelte die Schmerzenstränen aus den Augen, als es ihm dämmerte. Trollocs füllten die Straßen wie ein Tintenstrom, der dem ihm entgegengerichteten Halbkreis der Drachen entgegengeflossen war.
Noch hielt etwas die Kreaturen zurück. Sie warten, bis sie alle für einen Sturmangriff zusammenhaben.
Hinter ihnen ertönten Rufe und Knurren. Talmanes drehte sich um und packte Meltens Arm, als die Welt schwankte. Er wartete, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Der Schmerz … tatsächlich war der Schmerz nicht mehr ganz so durchdringend. Mehr wie glühende Flammen, die man nicht mehr mit neuen Scheiten fütterte. Er hatte sich an ihm gelabt, aber jetzt war nicht mehr viel für ihn übrig, das er noch fressen konnte.
Als die Welt wieder feste Konturen annahm, erkannte Talmanes die Quelle des Knurrens. Der Platz grenzte an die Stadtmauer, aber Bürger und Soldaten hielten Abstand dazu, denn Trollocs wucherten wie eine dicke Dreckschicht auf den Zinnen. Sie drohten mit ihren Waffen und brüllten die Menschen an.
»Sie schleudern Speere auf jeden, der zu nahe kommt«, berichtete Melten. »Wir hatten gehofft, die Mauer zu erreichen und dann an ihr entlang zum Tor zu kommen, aber das ist unmöglich – nicht, wenn die Ungeheuer dort oben Tod auf uns herabregnen lassen. Alle anderen Wege sind abgeschnitten.«
Aludra trat auf Guybon und Dennel zu. »Ladungen kann ich unter die Drachen platzieren«, sagte sie leise zu ihnen, aber nicht so leise, wie sie es hätte sagen sollen. »Diese Ladungen zerstören die Waffen. Sie könnten die Leute aber auf unangenehme Weise verletzen.«
»Tut es«, erwiderte Guybon sehr leise. »Was die Trollocs mit ihnen anstellen werden, ist noch viel schlimmer, und wir dürfen nicht zulassen, dass die Drachen in die Hände des Schattens fallen. Darum warten sie. Ihre Anführer hoffen, dass ihnen ein Sturmangriff die nötige Zeit verschafft, um uns zu überrennen und die Waffen zu erbeuten.«
»Sie bewegen sich!«, rief ein Soldat von einem der Drachen. »Beim Licht, sie kommen!«
Das Schattengezücht brodelte einer schleimigen Welle gleich die Straße hinunter. Zähne, Nägel, Klauen, viel zu menschliche Augen. Sie kamen von allen Seiten und konnten es nicht erwarten zu töten. Talmanes nahm einen mühevollen Atemzug.
Die Rufe von der Stadtmauer nahmen an Erregung zu. Wir sind umzingelt, dachte Talmanes. Gegen die Mauer gedrängt, in einem Netz gefangen. Wir …
Gegen die Mauer gedrängt.
»Dennel!«, überschrie Talmanes den Lärm. Der Hauptmann der Drachen drehte sich an seiner Reihe um, wo die Männer bereits mit brennenden Zündstäben auf den Befehl warteten, der die eine Salve auslösen würde, die ihnen zur Verfügung stand.
Talmanes nahm einen tiefen Atemzug, der seine Lungen brennen ließ. »Ihr habt mir gesagt, Ihr könntet ein feindliches Bollwerk mit nur wenigen Schüssen dem Erdboden gleichmachen.«
»Natürlich«, rief Dennel zurück. »Aber wir wollen keine Stellung stürmen …« Er verstummte.
Beim Licht, dachte Talmanes. Wir sind alle so erschöpft. Wir hätten das doch sehen müssen. »Ihr da in der Mitte, Rydens Drachentrupp, alles umdrehen!«, brüllte Talmanes. »Der Rest von euch bleibt in Position und feuert auf die angreifenden Trollocs! Bewegt euch, los, los, los!«
Blitzartig kam Bewegung in die Drachenmänner, Ryden und seine Leute drehten ihre Waffen mit quietschenden Rädern eilig um. Die anderen Drachen feuerten über den ganzen Platz. Die Donnerschläge waren ohrenbetäubend und ließen die Flüchtlinge aufschreien und sich die Ohren zuhalten. Es klang wie das Ende der Welt. Hunderte, Tausende Trollocs krachten blutüberströmt zu Boden, als die Dracheneier in ihrer Mitte explodierten. Der Platz füllte sich mit weißem Qualm, der aus den Drachenmündungen strömte.