»Das ist das Ende!« Demandreds verstärkte Stimme hallte vom anderen Ende des Plateaus. »Lews Therin hat euch im Stich gelassen! Schreit auf, wenn ihr sterbt. Lasst ihn euren Schmerz fühlen.«
Sie waren bei den letzten paar Zügen ihres Spiels angekommen, und Demandred hatte gut gespielt. Mat betrachtete sein Heer aus erschöpften Soldaten, von denen viele verwundet waren. Es war nicht abzustreiten, ihre Lage war verzweifelt.
»Schickt nach den Aes Sedai«, sagte Mat. »Es ist mir egal, ob sie behaupten, dass sie keine Feder mehr heben können. Vielleicht finden sie ja noch genug Kraft für ein paar kleine Feuerbälle, wenn es um ihr Leben geht. Außerdem können ihre Behüter ja wohl noch kämpfen.«
Arganda nickte. In der Nähe öffnete sich ein Wegetor, und zwei zerzaust aussehende Asha’man stolperten heraus. Naeff und Neald wiesen Brandverletzungen auf, und Naeffs Aes Sedai begleitete sie nicht.
»Und?«, fragte er sie.
»Es ist vollbracht«, sagte Neald mit einem Knurren.
»Was ist mit Tuon?«
»Anscheinend haben sie den Spion gefunden«, sagte Naeff. »Die Kaiserin wartet darauf, auf Euer Zeichen zurückzukehren.«
Mat atmete ein, schmeckte die Luft des Schlachtfelds und fühlte den Rhythmus des Kampfes, den er angefangen hatte. Er wusste nicht, ob er siegen konnte, nicht einmal mit Tuons Hilfe. Nicht, wo sich Elaynes Armee in der Auflösung befand, nicht, wo die Aes Sedai so geschwächt waren, dass sie nicht länger die Macht lenken konnten. Nicht ohne Egwene, ihre Zwei-Flüsse-Sturheit, ihr eisernes Rückgrat. Nicht ohne ein Wunder.
»Gebt ihr Bescheid, Naeff«, sagte er. Er verlangte nach Papier und Stift und kritzelte eine Botschaft, die er dem Asha’man übergab. Er verdrängte den selbstsüchtigen Wunsch, Tuon in die Sicherheit fliehen zu lassen. Verdammte Asche, es gab keine Sicherheit, nirgendwo mehr. »Gebt das der Kaiserin, Naeff; richtet Ihr aus, dass diese Befehle wortwörtlich ausgeführt werden müssen.«
Dann wandte er sich Neald zu. »Ich will, dass Ihr zu Talmanes geht«, sagte er. »Er soll mit dem Plan weitermachen.«
Die beiden Machtlenker gingen, um ihre Botschaften zu überbringen.
»Reicht das denn?«, fragte Arganda.
»Nein«, erwiderte Mat.
»Aber wozu dann das Ganze?«
»Weil ich eher zum Schattenfreund werde, bevor ich diese Schlacht aufgebe, ohne vorher alles versucht zu haben, Arganda.«
»Lews Therin!«, donnerte Demandred. »Komm und stell dich mir! Ich weiß, dass du diese Schlacht beobachtest! Komm endlich! Kämpfe!«
»So langsam geht mir dieser Mann auf die Nerven«, meinte Mat.
»Cauthon, seht, diese Trollocs haben sich neu gruppiert«, sagte Arganda. »Ich glaube, gleich greifen sie an.«
»Das ist es dann; stellen wir uns auf«, sagte Mat. »Wo steckt Lan? Ist er schon wieder da? Ich möchte das wirklich nicht ohne ihn tun.«
Er ließ die Blicke über die Linien schweifen, während Arganda Befehle bellte. Aber seine Aufmerksamkeit wurde plötzlich in eine andere Richtung gedrängt, als Arganda ihn am Arm packte und auf die Tiermenschen zeigte. Ein Frösteln durchfuhr ihn, als er im Licht der großen Feuer einen einsamen Reiter auf einem schwarzen Hengst sah, der zur rechten Flanke der Trolloc-Horde galoppierte, auf den Osten der Polov-Anhöhe zu. In Richtung Demandred.
Lan war aufgebrochen, um einen eigenen Krieg zu führen.
Die Trollocs zerrten an Olvers Arm, griffen in die Felsspalte und versuchten ihn dort herauszuzerren. Andere gruben an den Seiten, und Erde regnete auf ihn herab, blieb an den Tränen auf seinen Wangen und dem Blut auf seinen Kratzern kleben.
Er konnte nicht aufhören zu zittern. Er konnte sich auch zu keiner Bewegung überwinden. Voller Angst bebte er, während die Bestien mit ihren dreckigen Krallen an ihm zerrten und sich immer näher an ihn herangruben.
Loial saß auf einem Baumstumpf und ruhte sich aus, bevor die Schlacht weiterging.
Ein Sturmangriff. Ja, das würde ein gutes Ende sein. Loial fühlte sich überall wund. Er hatte viel über Schlachten gelesen, und er hatte auch schon andere Kämpfe ausgetragen, also hatte er gewusst, was da auf ihn zukam. Aber etwas zu wissen und es erlebt zu haben, das war ein fundamentaler Unterschied; darum hatte er das Stedding ja überhaupt erst verlassen.
Nach mehr als einem Tag ununterbrochener Kämpfe brannte eine tiefe Erschöpfung in seinen Gliedern. Wenn er die Axt hob, fühlte sich ihr Kopf so schwer an, dass er sich fragte, warum er den Schaft nicht zerbrach.
Krieg. Er hätte auch ohne diese Erfahrung leben können. Das war so viel mehr als die verzweifelte Schlacht in den Zwei Flüssen. Dort hatten sie immerhin Zeit gehabt, die Toten zu bergen und ihre Verwundeten zu versorgen. Dort war es darum gegangen, die Stellung zu halten und gegen die Angriffswellen zu bestehen.
Hier gab es weder Zeit zu warten noch um zu denken. Erith saß neben seinem Stumpf auf dem Boden, und er legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie schloss die Augen und lehnte sich an ihn. Sie war wunderschön, mit perfekten Ohren und großartigen Augenbrauen. Loial sah nicht auf die Blutflecken auf ihrer Kleidung; er fürchtete, dass etwas davon ihres war. Er rieb ihre Schulter mit Fingern, die so müde waren, dass er sie kaum spürte.
Auf dem Schlachtfeld hatte er sich ein paar Notizen machen können, für sich selbst und für andere, um festzuhalten, wie die Schlacht bis jetzt verlaufen war. Ja, ein letzter Angriff. Das würde ein gutes Ende für die Geschichte sein, wenn er sie schrieb.
Er tat so, als würde er diese Geschichte noch schreiben. Eine so kleine Lüge schadete niemandem.
Ein Reiter brach aus den Reihen der Soldaten hervor und galoppierte auf die rechte Flanke der Trollocs zu. Das würde Mat bestimmt nicht gefallen. Ein Mann, ganz allein, würde sterben. Loial war überrascht, dass er nach dem ganzen Tod, dessen Zeuge er geworden war, noch Trauer für das Leben eines einzelnen Mannes verspüren konnte.
Er sieht vertraut aus, dachte er. Ja, es war das Pferd. Dieses Pferd hatte er schon zuvor gesehen, und zwar viele Male. Lan, dachte er wie betäubt. Das ist Lan, der da ganz allein reitet.
Loial stand auf.
Erith schaute zu ihm auf, als er die Axt schulterte.
»Warte«, sagte er zu ihr. »Kämpfe an der Seite der anderen. Ich muss gehen.«
»Gehen?«
»Ich muss das bezeugen«, sagte Loial. Der Fall des letzten Königs der Malkieri. Das musste in seinem Buch stehen.
»Bereitet euch auf den Sturmangriff vor!«, brüllte Arganda. »Männer, formiert euch! Die Bogenschützen nach vorn, dann die Kavallerie, die Fußsoldaten bereiten sich vor, ihr zu folgen!«
Ein Sturmangriff, dachte Tam. Ja, das ist unsere einzige Hoffnung. Sie mussten ihren Druck auf den Gegner aufrechterhalten, aber ihre Reihe war so dünn. Er konnte erkennen, was Mat versucht hatte, aber es würde nicht funktionieren.
Sie würden es trotzdem durchkämpfen müssen.
»Nun, er ist tot«, sagte ein Söldner in Tams Nähe und deutete mit dem Kopf auf Lan Mandragoran, als er auf die Flanke der Trollocs zuritt. »Verfluchte Grenzländer.«
»Tam …«, sagte Abell neben ihm.
Über ihnen wurde der Himmel dunkler. War das in der Nacht überhaupt möglich? Diese schrecklichen brodelnden Wolken schienen immer niedriger zu hängen. Tam verlor beinahe Lans Gestalt auf dem mitternachtsschwarzen Hengst aus dem Auge, obwohl hier überall Feuer loderten. Ihr Licht erschien schwach.
Er reitet zu Demandred, dachte Tam. Aber da steht eine Mauer aus Trollocs im Weg. Tam zog einen Pfeil, hinter dessen Spitze ein mit Harz getränkter Lappen gebunden war, und spannte ihn in die Sehne seines Bogens ein. »Männer von den Zwei Flüssen, macht euch zum Schießen bereit!«
Der Söldner in der Nähe lachte. »Das sind mindestens hundert Schritte! Ihr spickt höchstens ihn mit Pfeilen, wenn überhaupt.«