nichts.
In der Nähe gerieten die Bäume in Bewegung, Gestalten traten aus den Schatten. Schwerfällige Kreaturen mit langen herabhängenden Augenbrauen und dicken Fingern. Mit ihrer faltigen Haut und dem weißen Haar erschienen sie so alt wie die Bäume selbst.
Er befand sich in einem Stedding.
Mishraile versuchte zu fliehen, aber starke Arme packten ihn. Die Alten der Ogier umzingelten ihn und die anderen. Voraus trat al’Thor hinter einem Baum hervor – aber er war es gar nicht. Nicht mehr. Es war ein Trick gewesen. Androl hatte das Gesicht des Wiedergeborenen Drachen getragen.
Die anderen schrien und schlugen mit den Fäusten auf die Ogier ein, aber Mishraile fiel auf die Knie und starrte in die Leere, wo einst die Eine Macht gewesen war.
Pevara trat an Androls Seite, als die Ogier, die zu alt gewesen waren, um noch in die Schlacht zu ziehen, die Schattenlords mit festem Griff packten und tiefer in das Stedding Sholoon zogen. Lindsar, die älteste von ihnen, die sich auf einen Stock von der Dicke eines männlichen Oberschenkels stützte, kam näher.
»Wir kümmern uns um die Gefangenen, Meister Androl«, sagte Lindsar.
»Eine Hinrichtung?«, fragte Pevara.
»Bei den ältesten Bäumen, nein!« Die Ogierfrau sah beleidigt aus. »Nicht an diesem Ort, nein, hier wird nicht getötet. Wir werden sie festhalten und nicht entkommen lassen.«
»Das sind sehr gefährliche Leute, gute Ogier«, warnte Androl. »Ihr dürft nicht unterschätzen, wie verschlagen sie sind.«
Die Ogierfrau kicherte und humpelte auf die noch immer wunderschönen Bäume des Stedding zu. »Die Menschen nehmen an, dass wir nicht ebenfalls verschlagen sein können, weil wir so ruhig sind«, sagte sie. »Sollen sie entdecken, wie einfallsreich ein Verstand in Jahrhunderten werden kann. Keine Sorge, Meister Androl. Wir werden vorsichtig sein. Es wird diesen armen Seelen guttun, im Frieden des Stedding zu leben. Vielleicht verändern ein paar Jahrzehnte des Friedens ja ihre Sicht der Welt.«
Sie verschwand zwischen den Bäumen.
Androl sah Pevara an und fühlte ihre Zufriedenheit durch den Bund pulsieren, obwohl ihre Miene unbewegt war. »Das habt Ihr gut gemacht«, sagte er. »Der Plan war ausgezeichnet.«
Sie nickte zufrieden, dann verließen sie das Stedding – passierten die unsichtbare Grenze zur Einen Macht. Auch wenn Androl so müde war, dass er kaum noch klar denken konnte, gelang es ihm mühelos, Saidin zu ergreifen. Er schnappte es sich wie ein Verhungernder ein Stück Brot, obwohl er bloß wenige Minuten davon getrennt gewesen war.
Ihm tat fast schon leid, was er Donalo und den anderen angetan hatte. Ruhe in Frieden hier, alter Freund, dachte er und warf einen Blick über die Schulter. Vielleicht finden wir ja einen Weg, dich eines Tages aus dem Gefängnis zu befreien, in das sie deinen Verstand sperrten.
Jonneth kam angelaufen. »Und?«
»Erledigt«, sagte Androl.
Pevara nickte, als sie die Bäume hinter sich ließen und den Mora und die Ruinen außerhalb des Stedding erblickten. Aber sie blieben ruckartig stehen, als sie den Ort sahen, an dem die Flüchtlinge aus Caemlyn die Verwundeten und Waffen zusammengetragen hatten.
Jetzt war er voller Trollocs.
Die mordeten.
Aviendha kniete über Rhuarcs Leichnam.
Tot. Sie hatte Rhuarc getötet.
Er war nicht länger er selbst, sagte sie sich. Graendal hat ihn getötet. Ihr Gewebe hätte ihn genauso gut verbrennen können. Das ist bloß eine Hülle.
Es war bloß eine …
Es war bloß eine …
Es war bloß eine …
Kraft, Aviendha. Rands Entschlossenheit füllte sie und strahlte aus dem Bund in sie hinein. Sie schaute auf und fühlte, wie sämtliche Müdigkeit sie floh und alle ablenkenden Gedanken verschwanden.
Graendal kämpfte gegen Amys, Talaan, Alivia und Cadsuane – und Graendal gewann. Gewebe flogen hin und her und erhellten die staubige Luft, aber die von Cadsuane und den anderen verloren zusehends an Kraft. Wurden defensiver. Blitze zuckten um Amys herum in die Tiefe und schleuderten sie zu Boden. Neben Graendal verkrampfte sich Sashalle Anderly und kippte zur Seite; das Glühen der Einen Macht umgab sie nicht länger. Graendal hatte zu viel Macht durch sie gezogen und sie ausgelaugt.
Aviendha stand auf. Graendal war mächtig und verschlagen. Außergewöhnlich gut darin, Gewebe aus der Luft zu schneiden, während sie sich bildeten.
Aviendha webte Feuer, Luft, Geist. Ein glühender, brennender Speer aus Licht und Feuer erschien in ihrer Hand. Sie bereitete fünf weitere Gewebe Geist vor, dann rannte sie los.
Das Dröhnen des erbebenden Bodens begleitete ihre Schritte. Kristallblitze regneten vom Himmel und erstarrten. Menschen und Bestien heulten, als die Schattenhunde die letzte Linie der menschlichen Verteidiger vor dem Weg zu Rand erreichten.
Graendal entdeckte Aviendha und webte Baalsfeuer. Aviendha schlug es mit einem Strom Geist aus der Luft, und Graendal fluchte, webte erneut. Aviendha zerschnitt das Gewebe.
Cadsuane und Talaan schlugen mit Feuerbällen zu. Einer der gefangenen Aiel warf sich vor Graendal und starb mit einem schrillen Schrei, als ihn die Flammen verschlangen.
Aviendha rannte schnell, der Boden unter ihren Füßen raste schemenhaft vorbei, während sie den Speer aus Licht trug. Sie erinnerte sich an ihr erstes Rennen, eine der Prüfungen zur Aufnahme bei den Töchtern. An diesem Tag hatte sie den Wind unter sich gespürt, wie er sie anfeuerte.
Dieses Mal fühlte sie keinen Wind. Stattdessen hörte sie die Rufe der Krieger. Die Aiel, die kämpften, schienen sie anzufeuern. Der Laut selbst trug sie Graendal entgegen.
Die Verlorene webte ein Gewebe, bevor Aviendha es aufhalten konnte, einen mächtigen Strom Erde, der genau unter ihre Füße zielte.
Also sprang sie.
Der Boden explodierte, Steine flogen in die Höhe, während sie die Druckwelle in die Luft schleuderte. Splitter schnitten in ihre Beine, ließen Blut spritzen. Es zerfetzte ihre Füße, Knochen brachen, Beine brannten.
Inmitten des Steinsturms hielt sie den Speer aus Feuer und Licht mit beiden Händen fest. Graendal schaute ungläubig auf, öffnete den Mund. Sie würde mit der Wahren Macht Reisen. Aviendha wusste das. Die Frau hatte diese Methode des Reisens bis jetzt nur deshalb gemieden, weil sie ihre Begleiter berühren musste, um sie mitzunehmen, und sie hatte keinen zurücklassen wollen.
In diesem kurzen Augenblick, in dem Aviendha in der Luft hing, trafen sich ihre Blicke, und sie las echtes Entsetzen in den Augen der Schattenbeseelten.
Die Luft verzerrte sich.
Aviendhas Speer bohrte sich in Graendals Seite.
Einen Moment später verschwanden sie beide.
43
Ein Feld aus Glas
Mit hinter dem Rücken verschränkten Händen stand Logain in der Mitte eines Glasfeldes. Oben auf der Anhöhe tobte die Schlacht. Die Sharaner wichen vor dem Ansturm von Cauthons Armeen zurück, und seine Kundschafter hatten berichtet, dass der Schatten überall auf dem Feld von Merrilor schwer getroffen wurde.
»Ich schätze, sie brauchen dich wohl nicht«, sagte Gabrelle zu ihm, als sich seine Kundschafter zurückzogen. »Also hattest du recht.«
Der Bund übertrug Unzufriedenheit und sogar Enttäuschung. »Ich muss mich um die Zukunft der Schwarzen Burg kümmern«, erwiderte Logain knapp.
»Du suchst nicht nach ihrer Zukunft«, sagte sie leise, fast schon bedrohlich. »Du willst sichergehen, dass du in diesen Ländern Macht haben wirst. Du kannst deine Gefühle nicht vor mir verstecken.«
Logain unterdrückte seine Wut. Er würde nicht noch einmal ihrer Macht unterworfen werden. Niemals. Zuerst die Weiße Burg, dann M’Hael und seine Männer.
Tagelange Folter. Wochenlang.