»Wer ist sonst noch gestorben?«, fragte Perrin und stählte sich. Es war ihrer Miene abzulesen. Sie hatte bereits jemanden verloren.
»Egwene.«
Perrin schloss die Augen und atmete tief aus. Egwene. Licht!
Kein Meisterwerk kommt ohne Preis, dachte er. Das bedeutet nicht, dass es nicht wert ist, geschmiedet zu werden. Trotzdem … Egwene?
»Es ist nicht deine Schuld, Nynaeve«, sagte er und öffnete die Augen wieder.
»Natürlich nicht. Das weiß ich, du hirnloser Narr.« Sie wandte sich ab.
Er stand auf, nahm sie in die Arme und klopfte ihr mit seinen Schmiedhänden sanft auf den Rücken. »Es tut mir leid.«
»Ich verließ das Dorf … um euch zu retten«, flüsterte Nynaeve. »Ich kam nur mit, um euch zu schützen.«
»Das hast du, Nynaeve. Du hast Rand beschützt, damit er das tun konnte, was er tun musste.«
Sie zitterte, und er ließ sie weinen. Beim Licht. Er vergoss selbst ein paar Tränen. Nach einem Augenblick riss sich Nynaeve von ihm los und stürmte aus dem Zelt.
»Ich habe es versucht«, sagte Flinn verzweifelt und sah Rand an. »Nynaeve ebenfalls. Wir haben es gemeinsam versucht, mit Moiraine Sedais Angreal. Nichts hat geholfen. Niemand weiß, wie man ihn retten kann.«
»Ihr habt getan, was ihr konntet.« Perrin spähte um die Trennwand in die nächste Nische. Dort lag noch ein Mann auf einer Pritsche. »Was macht er hier?«
»Wir fanden sie zusammen«, berichtete Flinn. »Rand muss ihn aus der Höhle getragen haben. Wir wissen nicht, warum der Lord Drache einen der Verlorenen retten sollte, aber das spielt auch keine Rolle. Ihn können wir ebenfalls nicht Heilen. Sie sterben. Beide.«
»Schickt nach Min, Elayne und Aviendha«, wiederholte Perrin. Er zögerte. »Haben sie überhaupt alle überlebt?«
»Das Aiel-Mädchen hat viel einstecken müssen«, berichtete Flinn. »Sie kam ins Lager gestolpert, wurde fast von einer schrecklich hässlichen Aes Sedai getragen, die für sie ein Wegetor gemacht hatte. Sie wird es überleben, aber ich kann nicht sagen, wie gut sie in den nächsten Jahren laufen wird.«
»Lasst es sie wissen. Sie alle.«
Flinn nickte, und Perrin folgte Nynaeve. Er fand, was er zu sehen gehofft hatte, den Grund, weshalb sie so schnell verschwunden war. Direkt vor dem Zelteingang hielt Lan sie fest umarmt. Der Mann war blutverschmiert und sah so müde aus, wie sich Perrin fühlte. Ihre Blicke trafen sich, und sie nickten einander zu.
»Mehrere Windsucherinnen haben ein Wegetor nach Merrilor geöffnet«, sagte Lan zu Perrin. »Der Dunkle König ist wieder weggesperrt. Das Verdorbene Land blüht, die Tore an diesen Ort lassen sich wieder öffnen.«
»Danke«, erwiderte Perrin und ging an ihnen vorbei. »Hat jemand … hat jemand etwas von Faile gehört?«
»Nein, Schmied. Der Hornbläser sah sie als Letzter, aber sie verließ ihn und ritt auf das Schlachtfeld, um die Trollocs von ihm abzulenken. Es tut mir leid.«
Perrin nickte. Er hatte bereits mit Mat und Olver gesprochen. Er wurde den Eindruck nicht los, dass er einfach nicht über das nachdenken wollte, was geschehen sein musste.
Denk nicht darüber nach, befahl er sich. Wage es ja nicht. Er riss sich zusammen, dann ging er los, um das Wegetor zu finden, das Lan erwähnt hatte.
»Entschuldigung«, fragte Loial die Töchter, die neben einem Zelt saßen. »Habt ihr Matrim Cauthon gesehen?«
»Oosquai?«, fragte eine von ihnen lachend und hielt einen Trinkschlauch hoch.
»Nein, nein«, sagte Loial. »Ich muss Matrim Cauthon finden und mir seinen Bericht über die Schlacht anhören, versteht Ihr? Solange sie noch frisch in seiner Erinnerung ist. Jeder muss mir sagen, was er gesehen und gehört hat, damit ich es niederschreiben kann. Es wird keinen besseren Augenblick geben.«
Und er wollte Mat und Perrin sehen, wie er zugeben musste. Sich vergewissern, dass sie wohlauf waren. Er wollte mit seinen Freunden sprechen und sich davon überzeugen, dass es ihnen gut ging. Bei allem, was mit Rand geschah …
Die Aiel-Frau lächelte ihn betrunken an. Loial seufzte, dann setzte er seinen Weg durch das Lager fort. Der Tag näherte sich seinem Ende. Der Tag der Letzten Schlacht! Jetzt schrieben sie das Vierte Zeitalter, oder nicht? Konnte ein Zeitalter überhaupt mitten an einem Tag beginnen? Für Kalender würde das sehr unpraktisch sein, nicht wahr? Aber alle vertraten die gleiche Meinung. Rand hatte die Bohrung zur Mittagszeit versiegelt.
Loial streifte weiter durch das Lager. Man hatte es nicht vom Fuß des Shayol Ghul verlegt. Nynaeve behauptete, Rand auf keinen Fall bewegen zu wollen. Loial suchte weiter, spähte in Zelte. Im nächsten fand er den ergrauten General Ituralde, der von vier Aes Sedai umgeben war.
»Seht doch«, sagte Ituralde. »Ich diente den Königen von Arad Doman mein ganzes Leben lang. Ich schwor Eide.«
»Alsalam ist tot«, sagte Saerin Sedai von ihrem Platz neben seinem Stuhl. »Jemand muss den Thron übernehmen.«
»In Saldaea herrscht Verwirrung«, fügte Elswell Sedai hinzu. »Die Thronfolge ist unübersichtlich, mit den ganzen Verbindungen, die der Thron jetzt zu Andor hat. Arad Doman kann es sich nicht leisten, ohne Anführer zu sein. Ihr müsst den Thron besteigen, Rodel Ituralde. Und zwar schnell.«
»Der Kaufmannsrat …«
»Alle tot oder verschollen«, sagte eine andere Aes Sedai.
»Ich schwor Eide …«
»Und was würde Euer König jetzt von Euch erwarten?«, fragte Yukiri Sedai. »Dass Ihr das Königreich auseinanderfallen lasst? Ihr müsst stark sein, Lord Ituralde. Jetzt ist nicht der geeignete Zeitpunkt, dass Arad Doman ohne Anführer auskommt.«
Loial verschwand und schüttelte den Kopf; der Mann tat ihm leid. Vier Aes Sedai. Ituralde würde gekrönt werden, bevor dieser Tag noch vorüber war.
Erneut besuchte er das größte Heilzelt, um noch einmal zu fragen, ob jemand Mat gesehen hatte. Er war auf diesem Schlachtfeld gewesen, und so mancher behauptete, dass er gelächelt hätte und gesund gewesen sei, aber … Nun, das war alles schön und gut, aber Loial wollte sich mit seinen eigenen Augen davon überzeugen. Wollte mit ihm sprechen.
In dem Zelt musste er den Kopf einziehen, damit er nicht gegen die Decke stieß. Ein großes Zelt für Menschen war für Ogier klein.
Er warf einen Blick auf Rand. Sein Freund sah schlimmer als zuvor aus. Lan stand an der Wand. Er trug eine Krone – eigentlich war es bloß ein schmaler Silberreif –, wo sonst der Hadori gewesen war. Das allein war nicht merkwürdig, aber dass Nynaeve ihr passendes Gegenstück trug, überraschte Loial dann doch.
»Das ist nicht gerecht«, flüsterte Nynaeve. »Warum sollte er sterben, wenn es dem anderen besser geht?«
Nynaeve erschien verstört. Sie hatte noch immer gerötete Augen, aber zuvor hatte sie jeden angefaucht, der es erwähnte, also sagte Loial nichts. Menschen schienen oft zu wollen, dass er nichts sagte, was schon seltsam für Leute war, die ihr Leben so schnell lebten.
Sie sah Loial an, und er neigte den Kopf.
»Loial«, sagte sie. »Was macht deine Suche?«
»Sie verläuft nicht gut.« Er verzog das Gesicht. »Perrin ignorierte mich, und Mat ist nicht zu finden.«
»Eure Geschichten können ein paar Tage warten, Baumeister«, sagte Lan.
Loial widersprach nicht. Schließlich war Lan nun ein König. Aber … nein, die Geschichten konnten eben nicht warten. Die Eindrücke mussten frisch sein, damit seine historische Abhandlung akkurat sein konnte.
»Es ist schrecklich«, sagte Flinn, der noch immer Rand anstarrte. »Aber, Nynaeve Sedai … Es ist so seltsam. Es scheint keine der drei Frauen zu berühren. Sollten sie sich nicht größere Sorgen machen …?«
Loial verließ sie, obwohl er in einem in unmittelbarer Nähe stehenden Zelt nach Aviendha sah. Sie saß da, während sich mehrere Frauen um ihre zerstörten, blutenden Füße kümmerten. Sie hatte mehrere Zehen verloren. Sie nickte Loial zu; anscheinend hatten ihr die Heilungen den Schmerz genommen, denn obwohl sie müde aussah, schien sie keine Qualen zu leiden.