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»Mat?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Ich habe ihn nicht gesehen, Loial, Sohn von Arent, Sohn von Halan«, erwiderte Aviendha. »Zumindest nicht, seit Ihr das letzte Mal vor Kurzem nach ihm fragtet.«

Loial errötete, dann verließ er sie. Draußen kam er an Elayne und Min vorbei. Ihre Geschichten würde er noch erfahren – ein paar Fragen hatte er bereits gestellt –, aber die drei Ta’veren … Sie waren am wichtigsten! Warum mussten Menschen immer so ungeduldig sein, konnten nie still dasitzen? Hatten niemals Zeit, um nachzudenken. Das war ein wichtiger Tag.

Allerdings war es tatsächlich seltsam. Min und Elayne. Sollten sie nicht an Rands Seite sein? Elayne schien Berichte über Verluste und die Versorgung der Flüchtlinge entgegenzunehmen, und Min saß da und schaute gedankenverloren zum Shayol Ghul hinauf. Keine von ihnen ging hinein, um Rands Hand zu halten, während er sich dem Tod näherte.

Nun, dachte Loial, vielleicht ist Mat ja an mir vorbeigeschlichen und zurück nach Merrilor. Nie blieben sie an Ort und Stelle, diese Menschen. Immer so eilig …

Matrim Cauthon schlenderte in das seanchanische Lager auf der Südseite von Merrilor, abseits der aufgeschichteten Toten.

Überall keuchten seanchanische Männer und Frauen auf, schlugen die Hand vor den Mund. Er lüftete den Hut vor ihnen.

»Der Prinz der Raben!« In gedämpftem Tonfall eilte ihm das durch das Lager voraus, wanderte von einem Mund zum anderen wie die letzte Flasche Branntwein in einer kalten Nacht.

Er ging auf direktem Weg zu Tuon, die in der Lagermitte an einem großen Kartentisch stand und sich mit Selucia unterhielt. Karede hatte überlebt, wie Mat sah. Vermutlich plagte den Mann deshalb ein schlechtes Gewissen.

Tuon sah zu Mat hoch und runzelte die Stirn. »Wo habt Ihr gesteckt?«

Mat hob den Arm, und Tuon sah zum Himmel auf, wo aber nichts zu sehen war. Mat fuhr herum und streckte die Hand noch höher.

Hoch oben über dem Lager explodierten Nachtblumen.

Mat grinste. Es hatte eine gewisse Mühe gekostet, Aludra dazu zu überreden, obwohl … so schlimm war es nun auch wieder nicht gewesen. Sie ließ so schrecklich gern Dinge explodieren.

Eigentlich war die Abenddämmerung noch nicht richtig angebrochen, aber es war trotzdem ein großartiges Schauspiel. Aludra hatte die Hälfte der Drachenmänner in der Herstellung von Feuerwerk ausgebildet. Sie schien nicht mehr ganz so geheimniskrämerisch darin zu sein wie einst.

Der Lärm des Schauspiels schlug über ihnen zusammen.

»Feuerwerk?«, fragte Tuon.

»Das verdammt beste Feuerwerk in der Geschichte meines Landes. Oder Eures«, verkündete Mat.

Tuon runzelte die Stirn. Die Explosionen spiegelten sich in ihren dunklen Augen wider. »Ich bin schwanger«, sagte sie. »Die Unheilseherin hat es bestätigt.«

Mat verspürte einen Stich, als wäre das Feuerwerk in seinem Bauch losgegangen. Ein Erbe. Zweifellos ein Sohn! Wie standen die Chancen, dass es ein Sohn war? Er zwang sich zu einem Grinsen. »Nun, dann bin ich jetzt ja wohl vom Haken. Ihr habt einen Erben.«

»Ich habe einen Erben«, sagte Tuon, »aber ich bin hier diejenige, die von diesem ›Haken‹ ist. Jetzt kann ich Euch hinrichten lassen, wenn ich will.«

Mats Grinsen wurde breiter. »Nun, wir werden sehen, worauf wir uns einigen können. Verratet mir, würfelt Ihr?«

Perrin setzte sich zwischen die Toten und fing endlich an zu weinen.

Gai’shain in Weiß und Stadtfrauen suchten die Toten ab. Von Faile war keine Spur zu finden. Nicht die geringste.

Ich kann nicht mehr. Wie lange war es jetzt her, dass er geschlafen hatte? Diese eine Nacht in Mayene. Sein Körper protestierte, dass das bei Weitem nicht genug gewesen war. Lange davor hatte er sich ohne Unterlass angetrieben, hatte das Gegenstück zu Wochen im Wolfstraum verbracht.

Lord und Lady Bashere waren tot. Hätte Faile gelebt, wäre sie die Königin gewesen. Perrin zitterte am ganzen Leib, konnte sich aber zu keiner Bewegung überwinden. Auf diesem Schlachtfeld lagen hunderttausend Tote. Die anderen Sucher ignorierten einen Körper, wenn er kein Leben aufwies, markierten ihn und gingen weiter. Er hatte versucht, die Nachricht weiterzugeben, dass man nach Faile Ausschau halten solle, aber die Sucher mussten sich um die Überlebenden kümmern.

Am dunkler werdenden Himmel explodierte Feuerwerk. Perrin begrub den Kopf in den Händen, dann rutschte er zur Seite und brach zwischen den Leichen zusammen.

Das Schauspiel am Himmel ließ Moghedien zusammenzucken. Jede Explosion ließ sie wieder das tödliche Feuer sehen, das die Sharaner zerfetzte. Das grell aufblitzende Licht, dieser Augenblick der Panik.

Und dann … und dann die Dunkelheit. Einige Zeit später war sie wieder aufgewacht; man hatte sie zwischen den Leichen der Sharaner für tot gehalten zurückgelassen. Als sie wieder zu sich gekommen war, war sie überall auf dem Schlachtfeld auf diese Narren gestoßen, die behaupteten, den Sieg davongetragen zu haben.

Behaupten?, dachte sie und zuckte erneut zusammen, als die nächsten Böller explodierten. Der Große Herr ist gefallen. Alles war verloren.

Nein. Nein. Sie ging weiter, zielbewusst, unverdächtig. Sie hatte eine Arbeiterin erwürgt und ihre Gestalt angenommen, hatte nur ein winziges bisschen Macht gelenkt und das Gewebe dann Umgedreht. Das sollte sie von diesem Ort entkommen lassen. Sie ging um Leichen herum, achtete nicht auf den Gestank in der Luft.

Nicht alles war verloren. Sie war noch am Leben. Und sie war eine der Auserwählten! Das bedeutete … das bedeutete, dass sie eine Kaiserin unter Niederen war. Der Große Herr war wieder eingekerkert, also konnte er sie nicht bestrafen. Und mit Sicherheit waren die meisten, wenn nicht sogar alle Auserwählten tot oder gefangen. Falls das stimmte, konnte niemand ihr Wissen übertrumpfen.

Das würde vielleicht sogar in die Tat umzusetzen sein. Das konnte ein Sieg sein. Neben einem umgestürzten Nachschubkarren blieb sie stehen, umklammerte ihr Cour’souvra – glücklicherweise war es heil geblieben. Sie lächelte breit, dann webte sie ein kleines Licht, um ihren Weg zu beleuchten.

Ja … Man musste den freien Himmel sehen, nicht die Gewitterwolken. Sie konnte das zu ihrem Vorteil nutzen. Mal sehen … in nur wenigen Jahren konnte sie die Welt beherrschen!

Etwas Kaltes schnappte um ihren Hals zu.

Entsetzt griff Moghedien danach, dann schrie sie auf. »Nein! Nicht noch einmal!« Ihre Verkleidung löste sich auf, und die Eine Macht floh sie.

Hinter ihr stand eine zufrieden aussehende Sul’dam. »Der Befehl lautete, dass wir keine von denen nehmen dürfen, die sich selbst Aes Sedai nennen. Aber du, du trägst keinen ihrer Ringe, und du schleichst hier wie jemand herum, der etwas Falsches getan hat. Ich glaube nicht, dass man dich vermissen wird.«

»Mach mich sofort los!«, rief Moghedien, kratzte an dem A’dam. »Mach mich los, du …«

Eine Woge des Schmerzes ließ sie zuckend zu Boden stürzen.

»Ich heiße Shanan«, sagte die Sul’dam, während eine andere Frau mit einer Damane im Schlepptau zu ihnen trat. »Aber du darfst mich Herrin nennen. Ich glaube, wir sollten schnell nach Ebou Dar zurückkehren.«

Ihre Gefährtin nickte, und die Damane öffnete ein Wegetor.

Sie mussten Moghedien hineinschleifen.

Nynaeve trat aus dem Heilzelt am Shayol Ghul. Die Sonne war schon fast am Horizont versunken.

»Er ist tot«, flüsterte sie der kleinen Menge zu, die dort draußen versammelt stand.

Diese Worte auszusprechen fühlte sich an, als würde sie sich einen Stein auf die Füße fallen lassen. Sie weinte nicht. Diese Tränen hatte sie bereits vergossen. Das bedeutete aber nicht, dass sie nicht am Boden zerstört war.