»Tatsächlich?« Sie hob die Brauen. »Bin ich jetzt zur Jungfrau ernannt worden, die gerettet werden muss, ja? Wie heldenhaft von Euch.«
Er errötete. »Sarkasmus? Von einer Aes Sedai? Ich hätte nie gedacht, so etwas je zu hören.«
Pevara lachte. »Ach je, Androl. Eigentlich wisst Ihr nichts über uns, oder?«
»Ganz ehrlich? Nein. Ich bin Euresgleichen den größten Teil meines Lebens aus dem Weg gegangen.«
»Nun, wenn man Eure angeborenen … Neigungen … bedenkt, war das vielleicht sehr klug.«
»Früher konnte ich die Macht nicht lenken.«
»Aber Ihr habt vermutet, dass Ihr es könnt. Ihr kamt her, um zu lernen.«
»Ich war neugierig. Es war etwas, das ich zuvor noch nicht ausprobiert hatte.«
Interessant. Ist es das, was dich antreibt, Sattler? Was dich dazu veranlasst hat, dich vom Wind von Ort zu Ort treiben zu lassen?
»Ich vermute«, sagte sie, »Ihr habt auch noch nie versucht, von einer Klippe zu springen. Die Tatsache, dass Ihr etwas noch nicht ausprobiert habt, sollte nicht immer ein Grund sein, es unbedingt versuchen zu wollen.«
»Tatsächlich bin ich schon von einer Klippe gesprungen. Sogar von mehreren.«
Sie sah ihn ungläubig an.
»Das Meervolk macht das«, erklärte er. »In den Ozean. Je mutiger man ist, umso höher die Klippe, die man wählt. Und Ihr habt wieder kunstvoll das Thema der Unterhaltung in andere Bahnen gelenkt, Pevara Sedai. Ihr seid darin sehr geschickt.«
»Danke.«
»Mein Vorschlag, Euch hier herauszuschmuggeln, liegt darin begründet, dass das nicht Euer Kampf ist. Ihr solltet hier nicht sterben müssen.«
»Also nicht, weil Ihr eine Aes Sedai schnell loswerden wollt, damit sie sich nicht in Eure Dinge einmischt?«
»Ich kam zu Euch, um Hilfe zu bekommen«, sagte Androl. »Ich will Euch nicht loswerden; ich würde Euch nur zu gern benutzen. Aber solltet Ihr hier fallen, dann geschieht das in einem Kampf, der nicht der Eure ist. Das ist nicht gerecht.«
»Lasst mich Euch etwas erklären, Asha’man.« Pevara beugte sich näher an ihn heran. »Das ist mein Kampf. Wenn der Schatten diese Burg übernimmt, hat das schreckliche Konsequenzen für die Letzte Schlacht. Für Euch und Euresgleichen habe ich die Verantwortung übernommen; davon werde ich mich nicht so ohne Weiteres abwenden.«
»Ihr habt für uns ›die Verantwortung übernommen‹? Was soll das denn wieder bedeuten?«
Vielleicht hätte ich das für mich behalten sollen. Aber wenn sie schon Verbündete sein wollten, dann wusste er vielleicht besser Bescheid.
»Die Schwarze Burg braucht Führung«, erklärte sie.
»Also darum geht es, darum wollten die Aes Sedai mit uns den Behüterbund eingehen?«, fragte Androl. »Damit man uns … zusammentreiben kann wie Hengste, die man zureiten muss?«
»Seid kein Narr. Sicherlich müsst Ihr den Wert anerkennen, den die Erfahrungen der Weißen Burg haben.«
»Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde. Mit Erfahrung kommt die Entschlossenheit, die gewohnten Wege zu bewahren, sich neuen Erfahrungen zu verschließen. Ihr Aes Sedai seid alle der Meinung, dass man die Dinge allein auf die Weise tun kann, wie man es schon immer getan hat. Nun, die Schwarze Burg wird sich euch nicht unterordnen. Wir können selbst auf uns aufpassen.«
»Und bis jetzt habt ihr ja so großartige Arbeit geleistet, was das angeht, nicht wahr?«
»Das war unangebracht«, meinte er leise.
»Vielleicht war es das«, gab sie zu. »Ich entschuldige mich.«
»Eure Motivation überrascht mich nicht«, sagte er. »Was ihr hier tun wolltet, war selbst den Schwächsten unter den Soldaten klar. Aber mich interessiert vor allem eines dabei: warum schickte die Weiße Burg von allen Frauen ausgerechnet Rote Schwestern, um mit uns den Bund einzugehen?«
»Wer wäre besser geeignet? Unser ganzes Leben ist dem Umgang mit Männern gewidmet, die die Macht lenken können.«
»Eure Ajah ist dem Untergang geweiht.«
»Tatsächlich?«
»Eure Existenz basiert auf der Jagd nach Männern, die die Macht lenken können«, sagte er und wandte sich ihr zu. »Um sie zu dämpfen. Um sich ihrer … zu entledigen. Nun, die Quelle ist gereinigt …«
»Das behauptet ihr alle.«
»Sie ist gereinigt, Pevara. Alle Dinge kommen und gehen, und das Rad dreht sich. Einst war sie rein, also muss sie irgendwann wieder rein sein. Das ist passiert.«
Und die Art und Weise, wie du dir jeden Schatten ansiehst, Androl? Ist das ein Zeichen der Reinheit? Oder wie Nalaam etwas in unbekannten Sprachen murmelt? Glaubst du, uns würden solche Dinge nicht auffallen?
»Als Ajah habt ihr zwei Möglichkeiten«, fuhr er fort. »Ihr könnt uns weiterhin jagen und unsere Beweise ignorieren, dass die Quelle gereinigt wurde. Oder ihr könnt aufhören, die Rote Ajah zu sein.«
»Unsinn. Von allen Ajahs sollten die Roten Eure größten Verbündeten sein.«
»Ihr existiert, um uns zu vernichten!«
»Wir existieren, um dafür zu sorgen, dass Männer, die die Macht lenken können, sich oder die Menschen in ihrer Nähe nicht aus Versehen verletzen. Würdet Ihr nicht zustimmen, dass das auch ein Ziel der Schwarzen Burg ist?«
»Das könnte schon sein. Mir hat man lediglich mitgeteilt, dass wir eine Waffe für den Wiedergeborenen Drachen sein sollen, aber gute Männer davon abzuhalten, sich ohne vernünftige Ausbildung selbst zu schaden, ist ebenfalls wichtig.«
»Dann können wir uns auf dieses Vorhaben einigen, oder nicht?«
»Ich würde das ja gern glauben, Pevara, aber mir ist keineswegs entgangen, wie Ihr und die anderen uns anseht. Ihr betrachtet uns wie … wie einen Flecken, den man auswaschen muss, oder Gift, das man in einer Flasche verschließen muss.«
Pevara schüttelte den Kopf. »Falls es stimmt, was Ihr sagt, und die Quelle gereinigt wurde, dann wird es Veränderungen geben. Die Rote Ajah und die Asha’man werden im Laufe der Zeit für ein gemeinsames Ziel zusammenwachsen. Ich bin bereit, jetzt und hier mit Euch zu arbeiten.«
»Uns zu kontrollieren.«
»Euch zu führen. Bitte vertraut mir.«
Er musterte sie im Licht der vielen Lampen, die in diesem Raum brannten. Ein ehrliches Gesicht hatte er ja. Sie konnte verstehen, warum die anderen ihm folgten, auch wenn er der Schwächste von ihnen war. Er verfügte über eine seltsame Mischung aus Leidenschaft und Demut. Wäre er doch bloß nicht einer von … nun ja, eben das gewesen, was er nun einmal war.
»Ich wünschte, ich könnte Euch glauben«, sagte Androl und schaute zur Seite. »Ich muss zugeben, dass Ihr Euch von den anderen unterscheidet. Ihr seid nicht wie eine typische Rote.«
»Ich glaube, Ihr werdet herausfinden, dass wir viel unterschiedlicher sind, als Ihr annehmt«, behauptete Pevara. »Keine Frau wählt die Roten allein aus einem einzigen Motiv.«
»Abgesehen vom Hass auf Männer.«
»Würden wir euch hassen, wären wir dann hergekommen, um mit den Asha’man den Behüterbund zu schließen?« Natürlich war das eine ausweichende Antwort. Auch wenn sie selbst Männer nicht hasste, traf das doch auf viele Rote zu – zumindest betrachteten viele von ihnen Männer mit großem Misstrauen. Sie hoffte, das ändern zu können.
»Die Beweggründe von Aes Sedai sind manchmal merkwürdig«, meinte Androl. »Das weiß jeder. Aber wie dem auch sei, auch wenn Ihr Euch von vielen Eurer Schwestern unterscheidet, habe ich dennoch diesen Ausdruck in Euren Augen gesehen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht glauben, dass ihr gekommen seid, um uns zu helfen. Genauso wenig wie ich glaube, dass die Aes Sedai, die Machtlenker jagten, in ihrem Inneren die Ansicht vertraten, den Männern damit zu helfen. Genauso wenig wie ich glaube, dass der Henker der Ansicht ist, dem Verbrecher einen Gefallen damit zu tun, dass er ihn tötet. Nur weil eine Sache getan werden muss, macht das denjenigen, der sie erledigt, noch lange nicht zum Freund, Pevara Sedai. Es tut mir leid.«