Выбрать главу

Er wandte sich wieder seinem Leder zu und arbeitete im Licht der Lampe auf dem Tisch.

Pevara fühlte Zorn in sich aufsteigen. Fast hatte sie ihn so weit gehabt. Sie mochte Männer; sie hatte oft gedacht, dass Behüter nützlich sein würden. Konnte der Narr keine Hand erkennen, die sich ihm über den Abgrund ausstreckte, wenn er sie sah?

Beruhige dich. Wenn du dich vom Zorn leiten lässt, erreichst du gar nichts. Sie brauchte diesen Mann auf ihrer Seite.

»Das wird ein Sattel, richtig?«, fragte sie.

»Ja.«

»Ihr stuft die Nähte ab.«

»Das mache ich immer so«, erwiderte er. »Das hilft zu vermeiden, dass sich Risse ausbreiten. Außerdem finde ich, dass es hübsch aussieht.«

»Ein guter Leinenfaden, nehme ich an? Gewachst? Und nehmt Ihr für diese Löcher ein einfaches Locheisen oder ein Reihenlocheisen? Ich konnte keinen guten Blick daraufwerfen.«

Misstrauisch sah er sie an. »Ihr kennt Euch in Lederarbeiten aus?«

»Durch meinen Onkel. Er brachte mir ein paar Dinge bei. Ließ mich in seiner Werkstatt arbeiten, als ich noch klein war.«

»Vielleicht habe ich ihn ja kennengelernt.«

Sie verstummte. Trotz Androls häufiger Bemerkung, dass sie Unterhaltungen hervorragend steuern konnte, war sie jetzt auf direktem Weg zu einem Thema gestolpert, über das sie nun wirklich nicht reden wollte.

»Nun?«, fragte er. »Wo lebt er?«

»In Kandor.«

»Ihr seid eine Kandori?« Er klang überrascht.

»Natürlich bin ich das. Sieht man mir das nicht an?«

»Und ich dachte immer, ich könnte jeden Akzent erkennen.« Er zog einen Faden fest. »Ich bin dort gewesen. Vielleicht kenne ich Euren Onkel ja.«

»Er ist tot. Ermordet von Schattenfreunden.«

Androl verstummte. »Es tut mir leid.«

»Das ist jetzt über hundert Jahre her. Ich vermisse meine Familie, aber mittlerweile wären sie auch dann tot, wenn sie nicht von Schattenfreunden ermordet worden wären. Jeder, den ich zu Hause kannte, ist tot.«

»Dann tut es mir noch mehr leid. Ehrlich.«

»Es ist eine lange Vergangenheit«, sagte Pevara. »Ich kann mich voller Zuneigung an sie erinnern, ohne dass der Schmerz kommt. Aber was ist mit Eurer Familie? Gibt es Geschwister? Nichten, Neffen?«

»Von allem etwas.«

»Seht Ihr sie oft?«

Er musterte sie. »Ihr wollt mich in eine höfliche Unterhaltung verwickeln, um zu beweisen, dass Ihr Euch in meiner Gegenwart nicht unbehaglich fühlt. Aber ich habe gesehen, wie ihr Aes Sedai Leute wie mich anseht.«

»Ich …«

»Sagt, dass Ihr uns nicht abstoßend findet.«

»Ich finde nicht, dass Ihr das so …«

»Eine direkte Antwort, Pevara.«

»Also gut, schön. Männer, die die Macht lenken, bereiten mir Unbehagen. Ihr lasst meine Haut jucken, am ganzen Körper, und je länger ich hier bin, in eurer Nähe, umso schlimmer wird das.«

Androl nickte zufrieden, dass er ihr dieses Geständnis entrungen hatte.

»Aber ich empfinde so«, fuhr Pevara fort, »weil sich das Jahrzehnte meines Lebens so bei mir eingeprägt hat. Was ihr da tut, ist schrecklich unnatürlich, aber Ihr persönlich widert mich nicht an. Ihr seid bloß ein Mann, der versucht, das Richtige zu tun, und ich bin nun wirklich nicht der Meinung, dass das der Verachtung wert ist. Auf jeden Fall bin ich bereit, meine Hemmungen im Namen des Allgemeinwohls hinter mir zu lassen.«

»Das ist mehr, als ich vermutlich hätte erwarten können.« Er wandte sich wieder dem regennassen Fenster zu. »Der Makel ist entfernt. Das ist nicht länger unnatürlich. Ich wünschte … ich wünschte, ich könnte Euch das einfach zeigen, Frau.« Er blickte sie scharf an. »Wie macht man einen dieser Zirkel, von denen Ihr gesprochen habt?«

»Nun, das habe ich natürlich noch nie mit einem Machtlenker getan«, sagte Pevara. »Vor unserem Aufbruch hierher habe ich es nachgelesen, aber das meiste war natürlich Hörensagen. So viel Wissen ist verloren gegangen. Ihr greift nach der Quelle, ohne sie aber tatsächlich zu berühren, dann öffnet Ihr Euch mir. So etablieren wir die Verknüpfung.«

»Also gut«, sagte er. »Aber im Moment haltet Ihr die Quelle nicht.«

Es war einfach nicht richtig, dass ein Mann feststellen konnte, ob eine Frau die Eine Macht hielt oder nicht. Pevara umarmte die Quelle und überflutete sich mit dem süßen Nektar Saidars.

Dann griff sie nach Androl, um sich mit ihm wie mit einer Frau zu verknüpfen. So sollte man den Unterlagen zufolge beginnen. Aber es war nicht das Gleiche. Saidin war ein reißender Strom, und es stimmte, was sie gelesen hatte: Sie konnte nichts mit den Strömen anfangen.

»Es funktioniert. Meine Macht fließt in Euch hinein.«

»Ja«, erwiderte Pevara. »Aber wenn sich ein Mann und eine Frau verknüpfen, muss der Mann die Kontrolle übernehmen. Ihr müsst die Führung übernehmen.«

»Wie?«

»Das weiß ich nicht. Ich versuche sie an Euch abzugeben. Ihr müsst die Ströme kontrollieren.«

Er betrachtete sie, und sie bereitete sich darauf vor, ihm die Kontrolle zu übergeben. Stattdessen packte er sie irgendwie. Sie wurde in eine stürmische Verknüpfung gezogen, als würde man sie bei den Haaren packen und reinschleifen.

Die Heftigkeit ließ beinahe ihre Zähne wackeln, es fühlte sich an, als zöge man ihr die Haut ab. Pevara schloss die Augen und zwang sich dazu, sich nicht zu wehren. Schließlich hatte sie das versuchen wollen; es könnte nützlich sein. Aber den Moment tief empfundener Panik konnte sie nicht unterdrücken.

Sie befand sich in einem Zirkel mit einem Mann, der die Macht lenkte, eines der furchterregendsten Dinge, die die Welt je gesehen hatte. Jetzt hatte einer von ihnen die völlige Kontrolle über sie. Ihre Macht durchströmte sie und schlug dann über ihm zusammen, und Androl keuchte auf.

»So viel …«, sagte er. »Licht, Ihr seid stark.«

Sie gestattete sich ein Lächeln. Die Verknüpfung brachte einen Sturm der Wahrnehmung mit sich. Sie lernte Androls Gefühle kennen. Er hatte genauso viel Angst wie sie. Außerdem war er eine massive Präsenz. Sie hatte immer angenommen, dass eine Verknüpfung mit ihm wegen seines Wahnsinns furchtbar sein würde, aber davon konnte sie nichts wahrnehmen.

Aber Saidin … dieses flüssige Feuer, mit dem er rang, als wollte es ihn wie eine Schlange mit Haut und Haaren verschlingen. Sie zog sich zurück. War es verdorben? Sie war sich nicht sicher, es genau feststellen zu können. Saidin war so anders, so fremd. Die fragmentarischen Berichte der ersten Tage beschrieben den Makel als Ölschicht auf einem Fluss. Nun, den Fluss konnte sie sehen – eigentlich war es mehr ein tosender Strom. Anscheinend war Androl ehrlich zu ihr gewesen und wirklich nicht besonders mächtig. Einen Makel vermochte sie nicht zu spüren – andererseits wusste sie natürlich auch nicht, wonach sie Ausschau halten musste.

»Ich frage mich …«, sagte Androl. »Ich frage mich, ob ich mit dieser Macht ein Wegetor öffnen kann.«

»In der Schwarzen Burg funktionieren keine Wegetore mehr.«

»Ich weiß«, erwiderte er. »Aber ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass sie nur einen Fingerbreit außerhalb meiner Reichweite sind.«

Pevara öffnete die Augen und sah ihn an. In dem Zirkel fühlte sie seine Ehrlichkeit, aber ein Wegetor zu erschaffen erforderte viel von der Einen Macht, zumindest wenn es eine Frau tat. Androl würde viel zu schwach für ein derartiges Gewebe sein. War es möglich, dass ein Mann dazu weniger Kraft benötigte?

Er streckte die Hand aus und benutzte irgendwie ihre Macht, die er mit der seinen vermischte. Sie fühlte, wie er durch sie die Eine Macht in sich zog. Sie versuchte die Ruhe zu bewahren, aber es gefiel ihr nicht, dass er die Kontrolle hatte. Sie konnte gar nichts mehr tun!

»Androl«, sagte sie. »Gebt mich frei.«

»Es ist so schön …«, flüsterte er und starrte ins Nichts, als er aufstand. »Fühlt sich das so für die anderen an? Für die, die stark in der Macht sind?«